Auf dem Urnenhain sind die grossen lokalen Bildhauer verewigt. Als einziger noch lebender Künstler ist Lukas Gasser mit einem Werk vertreten.
«Schenk Liebe, Blumen, Verständnis an die Lebenden, denn die Verstorbenen brauchens nicht mehr.» Diesen Satz hat der Bildhauer Lukas Gasser auf seinem Kunstwerk angebracht, bevor es diesen Sommer auf dem Lungerer Urnenhain seine neue Heimat bekam. «Der Spruch ist mir wichtig», sagt der 75-jährige Lungerer Künstler. «Man fragt sich doch bei Todesfällen immer: Warum habe ich nicht noch dies oder das für oder mit dem Verstorbenen getan? Aber mit dem Tod ist das fertig. Es nützt nichts mehr, wenn man nachher jede Menge Blumen auf Gräber stellt.» Gestaltet hat er das Kunstwerk vor langer Zeit als Grabstein für ein Grab auf dem Friedhof im sankt-gallischen Inwil. Der Verstorbene – ein Cousin seiner Frau – hatte jemandem vor dem Ertrinken gerettet und brach unmittelbar danach tot zusammen. Herzversagen. Die in Silber und Blau gestalteten Wellen, die rund um den Stein laufen, haben eine tiefere Symbolik, als nur den Hinweis auf den tragischen Todesfall. «Die Wellen symbolisieren Leben, es geht immer weiter, Panta Rhei – alles fliesst», meint Lukas Gasser.
Der Lungerer Urnenhain entstand 2004. Massgeblich beteiligt war Ruedi Gasser, oder Lehrer-Walters Riodi, wie man ihn in Lungern nennt, um die vielen verschiedenen Gassers eindeutig zu identifizieren. «Als ich damals hörte, dass die Gemeinde eine Art Korpus als Gemeinschaftsgrab für die Asche Verstorbener plante, kam mir die Idee für einen Urnenhain mit Kunstwerken von Lungerer Künstlern», erzählt der heute 80-jährige Ruedi Gasser. Die Gemeinde erteilte ihm einen Auftrag für Vorschläge. Gasser rannte bei den Familien der verstorbenen Künstler offene Türen ein mit seiner Frage, ob sie Kunstwerke unentgeltlich zur Verfügung stellen würden. «Diese grossen Künstler sollen im Mittelpunkt stehen, es soll etwas von ihnen zurückbleiben», erklärt Ruedi Gasser. Unterstützt wurde das Vorhaben schliesslich von der Einwohner- und der Kirchgemeinde Lungern, aber auch von der kantonalen Kulturpflegekommission.
Heute sind im parkähnlichen Urnenhain mit 74 Urnengräbern sechs verstorbene Lungerer Künstler verewigt. Sie alle waren Angehörige der bekannten Lungerer Bildhauerkunst, die ihren Anfang um 1920 nahm. Der an der Kunstakademie Rom geschulte Holzbildhauer Beat Gasser wurde damals zum Begründer einer eigentlichen Lungerer Schule, deren junge Bildhauer sich später als Künstler selbstständig machten. Ihr Schaffen umfasste vorwiegend sakrale Kunst.
Lukas Gasser – in Lungern nennen sie ihn Brenners – ist mit dem siebten Kunstwerk auf dem Urnenhain der einzige Künstler, der heute noch lebt. Sein modernes Werk unterscheidet sich aber sehr von den traditionellen, sakralen Kunstwerken seiner Vorgänger, wie zum Beispiel der Statue des Bruder Klaus, den sein Vater Josef Gasser geschaffen hat. «Dazwischen liegen eben Generationen», sagt Lukas Gasser. «Früher wäre ein Werk wie meines auf einem Friedhof nicht möglich gewesen.» Der künstlerische Ausdruck hat sich gewandelt, immer öfter ist eine abstrakte Formensprache und Symbolik anstelle der früheren figurativen Darstellung von Heiligen getreten.
Auch Lukas Gasser, der mit Stein, Metall, Holz und Glas arbeitet, liebt die Symbolik. Viele seiner Kunstwerke sind von der griechischen Mythologie inspiriert und tragen entsprechende Namen, die ihn auf vielen Reisen so fasziniert hatten, dass er gar Griechisch lernte. «Götter, die so menschlich sind, dass sie saufen, Krach haben, morden, und die Geschichten, die daraus entstanden sind, haben durchaus etwas Anziehendes», schmunzelt Gasser. Angetrieben werde er von der Freude am Formen, seine Gedanken umsetzen zu können. «Ich bin Bildhauer, nicht Bildstreichler», ist seine deutliche Erklärung, warum er nicht Maler geworden ist. Wenn er etwas gestalte, habe er kein konkretes Bild im Kopf, sondern nur eine Idee. Und am Anfang wisse er manchmal gar noch nicht, was es schlussendlich werde. «Es ist oft einfach ein Ausdruck meiner Gefühle. Und wenn man es dann beschreiben oder interpretieren muss, ist es schon wieder verloren.»
Bei Auftragsarbeiten sei es etwas anderes. Da müsse er sich nach dem Auftraggeber richten und halt schon mal Kompromisse machen. «Es ist aber nur ein einziges Mal vorgekommen, dass ich einen Auftrag aufgrund meiner Überzeugungen abgelehnt habe», erklärt der Bildhauer. Wenn die fertigen Werke abgeholt würden, mache ihm das nichts aus. «Aber es reut mich etwas, dass ich mein Schaffen zu wenig dokumentiert und fotografiert habe. Von vielem weiss ich auch gar nicht, wo es hingelangt ist.» Doch es komme auch immer wieder vor, dass ihm seine eigenen Werke zu einem höheren Preis, als er sie damals verkauft habe, wieder angeboten würden. Und Lukas Gasser lächelt verschmitzt, wenn er sagt: «Der Preis meiner Kunst hat mit den Jahren schon zugenommen, aber bei mir ist es wie bei den meisten Kunstschaffenden: Ruhm und Preise steigen erst, wenn man tot ist.»