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Eine 54-Jährige aus einem Luzerner Vorort wird auf Facebook angeflirtet. Übers Internet entsteht eine Freundschaft, sie entwickelt Gefühle. Irgendwann fordert der Mann Geld – gerade noch rechtzeitig findet sie heraus, dass er gar nicht existiert.
Die 54-jährige Frau aus einer Luzerner Vorortsgemeinde meldet sich, weil sie erzählen will, was ihr widerfahren ist. «Mir geht es darum, andere Frauen zu warnen und aufzuzeigen, dass dies jedem passieren kann», erklärt sie. Luzia Meier* führt ein Unternehmen, steht mit beiden Beinen im Leben und ist versiert im Umgang mit sozialen Medien.
Genau dort spielt sich die Geschichte ab, welche sie Anfang Jahr erlebt hat. Auf Facebook erhält Luzia Meier eine Freundschaftsanfrage von einem Mann. Er schreibt ihr auf Deutsch, dass er ihr Foto sympathisch findet und in Leeds studiert hat. Der Name einer englischen Stadt, an welche Meier viele schöne Erinnerungen hat, lebte sie doch zwei Jahre dort. Die Mutter zweier Kinder ist seit einigen Jahren geschieden und fühlt sich geschmeichelt. Dennoch bleibt sie skeptisch, reagiert nicht auf die Anfrage.
Der Mann, der sich Marcello nennt, kontaktiert sie wieder. «Irgendwann habe ich mir gesagt, dass ich ja nichts zu verlieren habe», meint die Frau, die sich einige Jahre nach der Scheidung wieder nach einer Beziehung sehnt. Sie gibt Marcello eine Mailadresse, welche sie nur noch für Werbemails braucht. Marcello schreibt ihr eine lange Nachricht, gibt Infos zu seinem Privatleben – auch er ist geschieden und Vater einer Tochter – und zu seinem Beruf preis. Er gibt an, in der Schweiz zu leben, wohlhabend zu sein und als Bauingenieur viel zu reisen. Mehr und mehr wird Luzia Meier klar: «Hinter dem Unbekannten scheint sich ein Traummann zu verbergen.» Doch schnell ergänzt sie:
«Im Hinterkopf behielt ich immer, dass er eigentlich zu gut ist, um wahr zu sein.»
Während des Austausches, der sich immer mehr intensiviert, werden Luzia Meier die Gemeinsamkeiten bewusst. Marcello erzählt von seiner irischen Mutter, welche aus einem Ort stammt, wo die Luzernerin schon Ferien gemacht hat. Mehrere Wochen schreiben sich die beiden täglich, per Mail, aber auch per Whatsapp. Und immer öfters unterhalten sie sich am Telefon in englischer Sprache – teils mehrmals pro Tag. Obwohl Luzia Meier Macello nie gesehen hat, sagt sie: «Ich habe in den sechs Wochen, in welchen wir Kontakt hatten, Gefühle für den Mann entwickelt und mich in die Idee einer gemeinsamen Zukunft verliebt.» Meier will Marcello treffen. Stimmt das Bild überein, dass sie sich von ihrem «Traummann», wie sie ihn bezeichnet, gemacht hat? Marcello spricht von einer gemeinsamen Zukunft und auch er unterstreicht sein Interesse an einem baldigen Treffen. Doch beruflich stark gefordert, sei es derzeit nicht möglich.
Trotz der Gefühle ist da die Skepsis. Etwa die Sprache: Müsste ein Mann mit italienischem Vater und irischer Mutter, der in England aufgewachsen ist, nicht akzentfrei englisch sprechen? Zeigt das Bild, das der angebliche Bauingenieur von seinem Chalet-Projekt aufgenommen hat, wirklich einen Vorort von Mailand? Immer wieder spricht Luzia Meier Marcello auf diese Ungereimtheiten an. «Er reagierte darauf wütend, warf mir fehlendes Vertrauen vor. Ein paar Stunden später war er dann aber sanfter», erzählt die Luzernerin.
Obwohl Luzia Meier Marcello vertrauen will, fallen ihr weitere Ungereimtheiten auf. So gibt Marcello etwa an, in die Türkei zu reisen. Sie findet zur von ihm angegebenen Zeit keinen Flug und die genannte Uhrzeit in der Türkei stimmt nicht mit der tatsächlichen Zeitverschiebung überein. Rückblickend sagt sie:
«Natürlich fand ich das seltsam, doch ich wollte die Hoffnung nicht aufgeben.»
Doch während seines angeblichen Aufenthalts in der Türkei gibt es laut Marcello ein Problem. Er gibt an, dass er dringend Geld benötigt, weil eine Transportfirma ihm Material nicht aushändigt, wenn er nicht sofort eine grosse Summe zahlt. Er verliere seine Arbeit, wenn er nicht einlenke, sagt er Luzia Meier und bittet sie um 17 500 Euro. Danach könne er zu ihr kommen. Doch die 54-Jährige zahlt die Summe nicht – zum Glück.
Bereits mehr als skeptisch, verlangt sie nun die Kopie seines Passes. Tatsächlich schickt er ihr diesen kurz darauf zu – mit Vorwürfen mangelnden Vertrauens. Dass sein kommuniziertes Alter nicht mit dem seines Passes übereinstimmt, macht sie einmal mehr stutzig. Eine Suche nach seinem Namen hat bei Google keinen Treffer erzielt. Sie ergibt erneut seinen Namen in der Suchmaske ein, diesmal ergänzt sie diesen aber um das Wort «Fake» (Fälschung). Was die Suchmaschine nun ausspuckt, macht bei Luzia Meier alle Hoffnungen auf ein Liebesglück mit Marcello zunichte. Es zeigt sich, dass ihre Bekanntschaft das Foto eines finnischen Politikers missbraucht hat.
Mit wem Meier wochenlang intensiv kommuniziert hat, wird sie wohl nie erfahren. «Obwohl ich von Anfang an skeptisch war, war es für mich einige Tage schwierig, zu akzeptieren, dass Marcello nicht existiert.» Diese Erfahrung hat ihr Verhalten gegenüber anderen Personen kurzzeitig verändert:
«Ich war während der ersten Tage sehr verunsichert, habe in allen etwas Schlechtes gesehen.»
Dies hat Luzia Meier aber zum Glück schnell ablegen können und sie gewinnt der Erfahrung sogar Positives ab: «Es hat mir gezeigt, dass ich bereit bin, mich wieder neu zu verlieben.» Etwas vorsichtiger sei sie dennoch. So hat sie ihre Handynummer im Online-Telefonbuch gelöscht und nennt ihren Wohnort auf Datingportalen nicht mehr. Frauen rät sie: «Man darf sich schon auf eine virtuelle Bekanntschaft einlassen, muss aber stets hellhörig bleiben.» Dass sie naiv gehandelt habe, glaubt sie nicht. «Ich denke, dass viele erfolgreiche Frauen mit dem Wunsch nach einer Beziehung Opfer werden können.» Meier ist überzeugt, dass die Betrüger sehr viel über die Frauen recherchieren, bevor sie diese anschreiben – eben um vermeintlich Schicksalhaftes wie ein gemeinsamer Studienort in die Geschichte einzubauen.
Als der Schwindel aufflog, hat sich Luzia Meier an die Luzerner Polizei gewendet. «Man sagte mir dort aber, dass es sich nicht lohnt, eine Anzeige einzureichen.» Meier findet es schlimm, dass Opfer, insbesondere wenn sie finanziell geschädigt wurden, kaum Möglichkeiten haben, sich zu wehren. «Dass es viele solche Fälle gibt, hat mir eine Dokumentation gezeigt. Das Vorgehen war sehr ähnlich.» Dort sei der Verdacht geäussert worden, dass es sich bei den Betrügern um afrikanische Banden handeln könnte. Diese würden sich besonders oft an Schweizer Frauen wenden. «Wir sind verhältnismässig wohlhabend und vielleicht etwas gutgläubig.» Luzia Meier hat sich auch an Interpol gewendet, wo ihr bestätigt wurde, dass es sich wohl um einen sogenannten Romance-Scam handeln könnte. Bei dieser Stelle wurde Meier aber wieder an die Luzerner Polizei verwiesen.
Die Luzerner Polizei verfügt über keine Zahlen zu den Romance-Scamming Fällen, da diese laut Christian Bertschi, Chef Kommunikation, nur deliktsbezogen ausgewiesen werden. Er sagt aber: «Da derartige Machenschaften seit Längerem bekannt sind, gehen wir davon aus, dass solche Fälle auch im Kanton Luzern vorkommen.» Dabei müsse auch die Dunkelziffer beachtet werden. «Viele Geschädigte schämen sich und erstatten aus diesem Grund keine Anzeige.» Laut Bertschi ist es für die Polizei «praktisch unmöglich, die Täter zu eruieren». Diese würden aus Internetcafés und mit gefälschten Social Media-Profilen meist ausländischer Rechtshoheit operieren. Unter den Opfern sind nicht nur Frauen, in Online-Medien werden auch Fälle von Männern geschildert, welche betrogen wurden.
*Name wurde durch die Redaktion geändert
Die Luzerner Polizei gibt folgende Tipps, um sich vor Love-Scamming, der oben beschriebenen Art des Internetbetrugs, zu schützen :