Grober Fehler der Luzerner Staatsanwaltschaft: Todesdrohung bleibt ungestraft

Ein Mann verlangt den Rückruf einer Firma, ansonsten werde er die Geschäftsleitung erschiessen. Statt einer Strafe erhält er nun Geld vom Kanton Luzern.

Manuel Bühlmann
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Am Bundesgericht in Lausanne (im Bild) wurde der Fall anders beurteilt als am Kantonsbericht Luzern. (Bild: Keystone/Laurent Gillieron)

Am Bundesgericht in Lausanne (im Bild) wurde der Fall anders beurteilt als am Kantonsbericht Luzern. (Bild: Keystone/Laurent Gillieron)

Die Bundesrichter finden deutliche Worte. Für sie steht fest, wer für ein schiefgelaufenes Strafverfahren im Kanton Luzern verantwortlich ist: «Die Staatsanwaltschaft hat das Recht falsch angewandt.» Die Folgen: Ein Mann kann für seine Tat nicht bestraft werden und der Kanton muss ihm 3000 Franken Parteientschädigung bezahlen.

Der Vorfall, der zum Strafverfahren geführt hat, liegt über vier Jahre zurück. An einem Mittwochmorgen im August 2014 betrat der Beschuldigte das Gebäude einer Firma und verlangte von der anwesenden Angestellten am Empfang, ein bestimmter Mitarbeiter oder ein Geschäftsleitungsmitglied müsse ihn bis spätestens 17 Uhr zurückrufen. Wenn nicht, werde er einen anderen Mitarbeiter sowie die Geschäftsleitung erschiessen.

Fehler passierte beim Ausstellen des Strafbefehls

Die Drohung verfehlte ihre Wirkung nicht: Noch am selben Tag erhielt er den geforderten Anruf. Rund drei Monate später reichte jener Mitarbeiter, der das Telefongespräch geführt hatte, aber Strafantrag wegen Nötigung und Drohung ein. Die Luzerner Staatsanwaltschaft verurteilte den Beschuldigten wegen Nötigung zu einer bedingten Geldstrafe und 800 Franken Busse. Beim Ausstellen des gleichen Strafbefehls passierte dann der Fehler: Neben dem Schuldspruch enthält das Dokument auch die Einstellung des Strafverfahrens wegen Drohung, weil sich der Bedrohte nach eigenen Aussagen durch die Drohungen nicht in Angst oder Schrecken habe versetzen lassen.

Den Strafbefehl akzeptierte der Beschuldigte nicht, allerdings sprachen ihn in der Folge sowohl das Bezirksgericht Willisau als auch das Luzerner Kantonsgericht der Nötigung und der versuchten Nötigung schuldig. Die Strafe: 160 Stunden gemeinnützige Arbeit.

Der Mann, der die Todesdrohung ausgesprochen hatte, wehrte sich auch dagegen und verlangte vor dem Bundesgericht in Lausanne einen Freispruch. Seine Begründung: Der Drohung und der Nötigung läge der gleiche Sachverhalt zugrunde, beide Vorwürfe seien auf die Äusserung gegenüber der Mitarbeiterin am Empfang zurückzuführen. Weil die Staatsanwaltschaft das Verfahren wegen Drohung rechtskräftig eingestellt habe, dürfe sie das Verfahren wegen Nötigung nicht mehr weiterführen, argumentierte der Beschuldigte weiter und verwies auf den juristischen Grundsatz «ne bis in idem» – eines der zentralen Prinzipien des Strafrechts. Demnach darf wegen der gleichen Straftat nicht erneut verfolgt werden, wer rechtskräftig verurteilt oder freigesprochen worden ist.

Bundesgericht widerspricht Kantonsgericht

Das Kantonsgericht befand hingegen, dem Beschuldigten hätte klar sein müssen, dass das Verfahren gegen ihn wegen seinen Äusserungen nicht eingestellt worden sei. Nach Ansicht des Bundesgerichts könne dies zwar zutreffen, ändere aber nichts an der Tatsache, «dass im gleichen Dokument – fälschlicherweise – zwei prozessuale Erkenntnisse über den gleichen Sachverhalt ergingen». Die Einstellung eines Verfahrens komme einem Freispruch gleich. Weil Drohung und Nötigung auf den gleichen Vorfall am Empfang zurückzuführen seien, dürfe der Beschuldigte deswegen nicht erneut strafrechtlich verfolgt werden, hält das Bundesgericht in seinem am Mittwoch veröffentlichten Entscheid fest. Über eine Tat müsse einheitlich entschieden werden, die Verurteilung verstosse gegen den Rechtsgrundsatz «ne bis in idem».

«Der staatliche Strafanspruch wurde durch einen Fehler der Staatsanwaltschaft getilgt.»

Auszug aus dem Urteil des Bundesgerichts

Das Urteil des Kantonsgerichts wird aufgehoben. Die obersten Richter halten sich in der schriftlichen Begründung nicht mit Kritik an der Strafverfolgungsbehörde zurück: «Der staatliche Strafanspruch wurde durch einen Fehler der Staatsanwaltschaft getilgt.»

Der Luzerner Oberstaatsanwalt Daniel Burri führt den Vorfall auf eine Praxisänderung des Bundesgerichts zurück. Dieses hielt laut Burri noch im Dezember 2015 fest, dass eine Einstellungsverfügung einem Strafbefehl nicht entgegenstehen könne. Im aktuellen Entscheid kommt das Bundesgericht nun zum Schluss, dass es dieser Feststellung nicht folgen kann. Im vorliegenden Fall erging der Strafbefehl mit der Teileinstellungsverfügung bereits im Februar 2015, wie Burri betont. «Inzwischen haben wir unsere Staatsanwälte instruiert, in Verfahren mit nur einem Lebenssachverhalt künftig keine Teileinstellungen mehr zu machen.» Burri weist ausserdem darauf hin, dass mit dem Bezirksgericht Willisau und dem Kantonsgericht alle kantonalen Instanzen den Entscheid der Staatsanwaltschaft bestätigt hätten.

Der Fall aus Luzern dürfte Einfluss auf die künftige Rechtsprechung haben: Als Leitentscheid ist er für die Publikation in der amtlichen Sammlung des Bundesgerichts vorgesehen.

Hinweis: Bundesgerichtsurteil 6B_1346/2017