Griechenland verlässt nach acht Krisenjahren das Euro-Rettungsprogramm und steht ab August finanziell wieder auf eigenen Beinen. Zum Abschluss erhält das verschuldete Land noch eine letzte Finanzspritze und Schuldenerleichterungen.
Mehr als zehn Stunden berieten die Euro-Finanzminister in Luxemburg über Griechenland. Umso grösser war die Erleichterung, als am frühen Freitagmorgen das Paket geschnürt war: Athen bekommt Schuldenerleichterungen und eine letzte Finanzspritze. Im Gegenzug verpflichtet sich das Land zur Fortsetzung des Spar- und Reformkurses. Damit können die seit Frühjahr 2010 auferlegten Hilfsprogramme am 20. August planmässig auslaufen.
Eurogruppen-Chef Mario Centeno stellte erleichtert fest: «Es ist geschafft. Wir haben nach dieser langen und schwierigen Anpassung eine sanfte Landung hingelegt.» Der griechische Finanzminister Euklid Tsakalotos war ebenfalls hochzufrieden: «Ich denke, das ist das Ende der griechischen Krise – ein historischer Moment.» EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker meldete sich per Twitter zu Wort: «Mit der Einigung der Eurogruppe öffnet sich ein neues Kapitel für Griechenland. Die Opfer des griechischen Volkes waren nicht umsonst.»
Nach acht Jahren eines harten Anpassungsprogramms, das viele Griechen als «Spardiktat» der internationalen Geldgeber empfanden, und nach der tiefsten sowie längsten Rezession der Nachkriegsgeschichte will Griechenland wieder auf eigenen Beinen stehen. Die Schuldenerleichterungen sollen den Weg zurück an den Kapitalmarkt ebnen.
Oktober 2009: Der Sozialist Giorgos Papandreou gewinnt die Wahl. Wenige Tage später teilt Finanzminister Giorgos Papakonstantinou mit, das Defizit im Staatshaushalt werde nicht, wie von der konservativen Vorgängerregierung gemeldet, 6, sondern mindestens 12 Prozent vom Bruttoinlandsprodukt (BIP) betragen. Europa ist geschockt.
März 2010: Griechenland scheitert mit der Emission einer Staatsanleihe, die Risikozuschläge für langfristige griechische Schuldpapiere klettern auf neue Rekordwerte.
April 2010: Die Euro-Staaten und der Internationale Währungsfonds schnüren das erste Hilfspaket von 107,3 Milliarden Euro. Im Gegenzug soll Athen ein Sparprogramm und Strukturreformen umsetzen. Griechenland rutscht aber tiefer als erwartet in die Rezession.
Juli 2011: Als Reaktion beschliessen die Euroländer und der IWF ein zweites Rettungspaket von 164 Milliarden Euro. Februar 2012: Um eine drohende Staatspleite abzuwenden, verzichten Griechenlands private Gläubiger auf gut 53 Prozent ihrer Forderungen. Mit 107 Milliarden Euro ist es der bisher grösste Schuldenschnitt der Geschichte.
Juni 2012: Bei Neuwahlen kehren die Konservativen an die Macht zurück, Antonis Samaras wird neuer Ministerpräsident.
April 2014: Griechenland kann erstmals seit vier Jahren wieder eine Anleihe am Kapitalmarkt platzieren und 3 Milliarden Euro einnehmen.
Januar 2015: Das radikale Linksbündnis Syriza gewinnt die Wahlen in Griechenland.
Juni 2015: Das Land steht am Abgrund der Staatspleite. Premier Alexis Tsipras kapituliert vor den Gläubigern. Die Euro-Staaten schnüren ein drittes Rettungspaket von 86 Milliarden Euro.
Juni 2018: Die Eurogruppe attestiert Athen die Erfüllung der Vorgaben und bewilligt die letzte Kreditrate. Damit kann das Griechenland-Hilfsprogramm am 20. August planmässig auslaufen.
Die Laufzeiten der Kredite aus dem zweiten Rettungspaket, rund 97 Milliarden Euro, werden um zehn Jahre verlängert. Tilgung und Zinsen werden überdies um weitere zehn Jahre gestundet. Bis 2022 soll Athen ausserdem jährlich rund 1,2 Milliarden Euro aus den Gewinnen kassieren, die die Zentralbanken der Euro-Länder mit dem Ankauf griechischer Staatsanleihen machten. Die Schuldenerleichterungen sind allerdings an Bedingungen geknüpft. Griechenland muss die vereinbarten Reformen vollständig umsetzen. Dazu gehören Privatisierungen, Rentenkürzungen, die Fertigstellung eines landesweiten Katasters, Verwaltungs- und Steuerreformen. Hinzu kommen strikte fiskalische Vorgaben: Bis 2022 muss Griechenland im Haushalt einen jährlichen Primärüberschuss (ohne Schuldendienst) von 3,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) erwirtschaften. Anschliessend soll das Land bis 2060 jährliche Primärüberschüsse von 2,2 Prozent ausweisen.
Athen bleibt also auch nach dem Ende des Hilfsprogramms im Sparkorsett – und muss sich regelmässige Kontrollen gefallen lassen: Die EU-Kommission und der Euro-Stabilitätsfonds ESM als grösster Gläubiger werden alle drei Monate überprüfen, ob Griechenland auf Kurs bleibt. 2023 wollen die Euro-Finanzminister prüfen, ob weitere Schuldenerleichterungen nötig sind.
Die Eurogruppe beschloss auch die Freigabe der letzten Kreditrate aus dem Hilfsprogramm. Sie fällt mit 15 Milliarden Euro deutlich grösser aus als die bisher erwarteten 12 Milliarden. Die Mittel stammen aus dem dritten Rettungspaket, das die Geldgeber im Sommer 2015 für Griechenland geschnürt hatten. Die gute Nachricht: Von den 86 Milliarden Euro, die das Paket umfasst, wird Athen bis zum Programmende nur knapp 62 Milliarden benötigen. Mit einem Teil des jetzt bewilligten Geldes, rund 3,3 Milliarden Euro, soll Griechenland Darlehen des Internationalen Währungsfonds vorzeitig zurückzahlen. Dadurch wird das Land kurzfristig beim Schuldendienst entlastet. Der Grossteil der letzten Kreditrate fliesst in einen Liquiditätspuffer von insgesamt 24,1 Milliarden Euro. Diese Rücklage soll es Griechenland ermöglich, sich nach dem Auslaufen des Programms mindestens 22 Monate zu refinanzieren, ohne die Finanzmärkte anzapfen zu müssen.
Noch sind die Risikozuschläge für griechische Staatsanleihen sehr hoch. Die ersten Reaktionen der Finanzmärkte auf den Schulden-Deal waren aber positiv. Der Leitindex der Athener Aktienbörse konnte gestern zeitweilig um bis zu 2,5 Prozent zulegen. Auch die Kurse der griechischen Staatsanleihen zogen an. Spiegelbildlich fiel die Rendite des zehnjährigen Bonds von knapp 4,4 auf 4,1 Prozent. Finanzminister Tsakalotos kündigte an, Griechenland werde in den nächsten zwei Jahren die Stimmung der Anleger mit vier bis fünf Bond-Emissionen testen.