Novartis und Co.
Pharma-Firmen erhöhen «Spenden» an Patientenorganisationen massiv

Patientengruppen wie die Rheumaliga oder die Aids-Hilfe kassieren 3,9 Millionen Franken von Novartis & Co. Das ist deutlich mehr als noch vor einigen Jahren. Ein Experte attestiert den Geldnehmern ein "Glaubwürdigkeitsproblem". Dazu kommt, dass manche Transparenz vermissen lassen.

Andreas Möckli
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Novartis ist von den Pharma-Firmen am grosszügigsten zu Patientenorganisationen.

Novartis ist von den Pharma-Firmen am grosszügigsten zu Patientenorganisationen.

KEYSTONE/GEORGIOS KEFALAS

Die Liga für Zeckenkranke Schweiz erhält 2000 Franken, das Betroffenen-Netzwerk Kinderwunsch 20'000 Franken, die Multiple-Sklerose-Gesellschaft gar über 335'000 Franken. Dies sind nur drei von unzähligen Beispielen von Patientenorganisationen, die durch die Pharmaindustrie unterstützt werden.

Die Zahlen sind im Detail bekannt, da die Pharmafirmen in der Schweiz seit 2013 ihre Zahlungen freiwillig offenlegen. Die Branche hat sich dazu verpflichtet, nachdem dies zuvor auf europäischer Ebene beschlossen wurde.

Die «Schweiz am Wochenende» hat die Überweisungen von 20 grossen, hier ansässigen Pharmaunternehmen ausgewertet. Ein Vergleich mit einer ähnlichen Auswertung des Jahres 2003 zeigt, dass der Basler Konzern Novartis nach wie vor am spendabelsten ist. Allerdings sind die Beträge inzwischen deutlich höher.

Wurden damals 2,3 Millionen Franken gespendet, sind es heute bereits 3,9 Millionen Franken. Dies kommt einer Steigerung von knapp 70 Prozent gleich. Novartis hat seine Ausgaben auf über 780'000 Franken gar mehr als verdoppelt. Roche folgt mit rund 511'600 Franken auf Platz drei.

Was steckt hinter den Spenden?

Auch wenn diese Zahlungen für die milliardenschweren Konzerne kleine Beträge darstellen, stellt sich doch die Frage nach dem Motiv. Die Pharmaunternehmen geben ihr Engagement gerne als Teil ihrer unternehmerischen Verantwortung aus. So schreibt etwa die deutsche Bayer, sie sehe es als ihre Aufgabe an, Krankheiten zu heilen und das Leid von Patienten zu lindern. Ein «respektvoller und von Vertrauen geprägter Dialog und transparente Kooperationen auf partnerschaftlicher Ebene im Umgang mit Patientenorganisationen» sei dabei unverzichtbar.

Roche bezeichnet Patientenorganisationen als wichtige Partner. Als Stimme der Patienten vermitteln diese Organisationen einen Einblick in das Leben mit einer Krankheit. «Unser gemeinsames Interesse ist es, die Patienten im Umgang mit ihrer Krankheit zu unterstützen, dazu gehört auch der rechtzeitige und faire Zugang zu Behandlungen.» Und Novartis hält fest, dass es mit den Gruppen auf ethische Weise und transparent zusammenarbeite und dabei ihre Integrität respektiere.

Versteckte Werbung?

Doch letztlich geht es den Pharmakonzernen auch um ihre Geschäftsinteressen. Zu den grössten Profiteuren gehört etwa die eingangs erwähnte Multiple-Sklerose-Gesellschaft. Alle fünf Spenderfirmen – Novartis, Bayer, Sanofi, Biogen und die deutsche Merck – stellen Medikamente gegen die Nervenkrankheit her. Ähnlich verhält es sich mit der Rheumaliga, die 2016 knapp 190'000 Franken von Pharmafirmen erhielt. Viel Geld erhält auch die Stiftung Leukämiepatientenvertreter. Sie hat von Novartis umgerechnet rund 340'000 Franken erhalten.

Spricht von einer "psychologischen Abhängigkeit": Gesundheitsökonom Heinz Locher. (Archiv)

Spricht von einer "psychologischen Abhängigkeit": Gesundheitsökonom Heinz Locher. (Archiv)

Keystone

Kritiker monieren, dass die Pharmabranche mit solchen Spenden das in der Schweiz geltende Werbeverbot für rezeptpflichtige Medikamente umgeht. Indem die Firmen mit ihren Logos auf Websites, Broschüren oder Veranstaltungen der Organisationen präsent sind, werden Patienten auf die Hersteller der Medikamente aufmerksam.

Eine klare Haltung bezüglich Pharmaspenden hat Gesundheitsökonom Heinz Locher: «Patientenorganisationen, die Gelder von der Pharmaindustrie annehmen, haben ein Glaubwürdigkeitsproblem.» Selbst wenn die einzelnen Beträge nicht sehr hoch seien, bestehe doch zumindest eine psychologische Abhängigkeit.

Und wenn man denn schon Gelder annehme, sollen die Organisationen nicht nur den Betrag offenlegen, sondern auch, wofür die Mittel eingesetzt worden seien. Locher bemängelt generell das fehlende Problembewusstsein im Gesundheitswesen, was Transparenz angeht. Patientengruppen könnten hier vorangehen.

Nicht alle Gruppen transparent

Diverse Patientenorganisationen legen zwar die Namen der Firmen offen, nicht aber die Beträge. So etwa die Aids-Hilfe Schweiz, die Diabetes-Gesellschaft oder Parkinson Schweiz. «Jeder Betrag, den wir erhalten, ist mit einem Vertrag abgesichert, worin Leistung und Gegenleistung aufgeführt sind», sagt Doris Fischer-Taeschler, Geschäftsführerin der Diabetes-Gesellschaft. Der Mehrwert der Information einzelner Geldbeträge sei bescheiden, vor allem wenn angegeben werde, wofür das Geld ausgegeben werde.

Die Schweizerische Herzstiftung hat die Beträge der Pharmabranche erst auf Anfrage öffentlich gemacht. Bei der Organisation müssen einzelne Projekte mindestens von zwei Pharmafirmen unterstützt werden. Zudem hätten diese Firmen keinen Einsitz in den Leitungsgremien der Stiftung, sagt ein Sprecher. Die gleiche Politik verfolgt auch die Multiple-Sklerose-Gesellschaft, welche die Pharmaspenden detailliert im Finanzbericht aufführt. Ein Hauptziel der Organisation sei die Förderung und Unterstützung der MS-Forschung. Wie andere Organisationen auch hat die MS-Gesellschaft Richtlinien für den Umgang mit der Industrie aufgestellt. Auch die Rheumaliga gehört zu jenen Organisationen, welche die Spenden der Industrie auf ihrer Website detailliert öffentlich machen.