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Bietet sich eine Übernahme an, muss es manchmal schnell gehen. Der Schienenfahrzeugbauer Stadler hat für solche Fälle vorgesorgt: Der Verwaltungsrat kann bei Bedarf das Aktienkapital in Eigenregie um bis zu 10 Prozent erhöhen.
Ein wesentlicher Grund für Stadlers Börsengang ist laut Hauptaktionär und Verwaltungsratspräsident Peter Spuhler, dass das Unternehmen so leichter Zugang zum Kapitalmarkt erhält. Dies kann wichtig werden beispielsweise zur Finanzierung von Firmenübernahmen oder zum Kauf neuer Technologien, Stichwort Digitalisierung. Stadler könnte dafür etwa eine Anleihe begeben. Oder das Kapital durch die Ausgabe neuer Aktien erhöhen. Dabei hat Stadler zwei Möglichkeiten: Entweder emittiert Stadler die Aktien, sammelt das Geld ein, das dem Unternehmen aus dem Verkauf der Papiere zufliesst und erwirbt dafür beispielsweise eine Firma. Oder Stadler nutzt die neu geschaffenen Aktien als Währung, um den Verkäufer der Firma zu bezahlen. Dieser würde dann Aktionär Stadlers.
Die Sache hat einen Haken: Um das Kapital zu erhöhen, müssen die Aktionäre zustimmen. Das ist im Falle Stadlers zwar Formsache, kontrollieren doch Spuhler und seine Getreuen – die deutsche RAG-Stiftung und die Mitglieder von Verwaltungsrat und Konzernleitung – auch nach dem Börsengang zusammen eine absolute Mehrheit der Stadler-Aktien. Aber um das Plazet der Aktionäre zu erhalten, muss der Verwaltungsrat bis zur ordentlichen Generalversammlung (GV) warten oder eine ausserordentliche GV einberufen. Beides kann unter Umständen relativ viel Zeit beanspruchen und, falls diese drängt, allenfalls zu viel Zeit. Kommt hinzu: An der GV, an der die Kapitalerhöhung zum Beispiel zur Finanzierung einer Firmenübernahme traktandiert ist, ist Widerstand und Murren einzelner Aktionäre nicht ausgeschlossen. Denn als Folge der Kapitalerhöhung wird ihr Gewinn je Aktie verwässert. Kompensieren lässt sich das, falls die Übernahme zum Erfolg wird, der Wert Stadlers also zunimmt. Im Idealfall aus Aktionärssicht steigen der Aktienkurs und der Gewinn, und als Folge wird die Dividende erhöht. Doch sicher ist das nicht.
Unternehmen können dieses Prozedere aber vereinfachen. Sie können sich von den Aktionären die Zustimmung zur Schaffung von genehmigtem Kapital geben lassen. Das bedeutet: Der Verwaltungsrat erhält die Kompetenz, das Aktienkapital innert einer gewissen Frist um einen gewissen Maximalbetrag oder Teilbeträge davon zu erhöhen. Dann erübrigt sich eine erneute Befragung der Aktionäre, sobald eine Übernahme konkret wird. Genau für so einen Fall hat Spuhler vorgesorgt: An einer GV vor dem Börsengang ist Stadlers Verwaltungsrat ermächtigt worden, das Aktienkapital jederzeit bis zum 17. März 2021 durch die Ausgabe von 10 Millionen Aktien zu erhöhen. Das ist Stadlers Finanzbericht 2018 und den Statuten zu entnehmen. 10 Millionen neue Aktien im Börsenwert von aktuell 412 Millionen Franken entsprächen einer Erhöhung des Kapitals um 10 Prozent.
Gemäss OR Artikel 652 wird den bestehenden Aktionären bei der Ausgabe neuer Aktien ein Bezugsrecht eingeräumt. So können sie die Gewinnverwässerung verhindern und vermeiden, dass ihr Anteil am Unternehmen sinkt. Werden die Bezugsrechte nicht vollständig ausgeübt, werden die restlichen Aktien üblicherweise Dritten angeboten. «Aus wichtigen Gründen» kann das Bezugsrecht aber durch Beschluss der GV aufgehoben werden. Auch dazu hat eine GV den Stadler-Verwaltungsrat bereits ermächtigt: Dieser kann im Falle einer Kapitalerhöhung aus dem oben genannten Kapital den Aktionären das Bezugsrecht entziehen oder beschränken. Dies unter anderem, «sofern die Aktien für die Übernahme von Unternehmen, Unternehmensteilen oder Beteiligungen, den Erwerb von Produkten, Immaterialgüterrechten oder Lizenzen (…) oder die Finanzierung von neuen Investitionsvorhaben der Gesellschaft verwendet werden».
Bedeutet die Schaffung des genehmigten Kapitals, dass Stadler konkrete Übernahmepläne in der Pipeline hat? Stadler-Sprecherin Marina Winder kann sich auf diese Frage allein schon aus börsenrechtlichen Vorschriften nicht äussern. Sie sagt aber: «Mit dem genehmigten Kapital halten wir uns alle Handlungsmöglichkeiten offen.» Abgesehen davon hätte Stadler auch andere Optionen, Wachstumsprojekte zu finanzieren. So hat das Unternehmen per Ende 2018 über eine Nettocash-Position von 532 Millionen Franken verfügt.
Ein weiterer Passus in den Statuten behandelt bedingtes Aktienkapital für Mitarbeiterbeteiligungen. Demnach kann Stadlers Aktienkapital via die Ausgabe von maximal 2 Millionen Aktien erhöht werden, und das Bezugsrecht der Aktionäre ist ausgeschlossen. Denn diese Aktien dienen als Element der Vergütung des Verwaltungsrats, der Geschäftsleitung und des Kaders. Ihnen wird unter anderem jeweils ein Teil des Bonus in Aktien zugeteilt.
Im Geschäftsjahr 2018 wurden auf diese Weise 7916 Aktien als Bonus zugeteilt, 2017 waren es 8031. Unter rückwirkender Berücksichtigung des Aktiensplits im Verhältnis von 1:50 per 15. Juni 2018 betrugen die Zahlen der Zuteilungen 395'800 Aktien (2018) im durchschnittlichen Anrechnungswert von 6.49 Franken pro Titel respektive 401'550 Aktien (2017) im Anrechnungswert von 5.84 Franken pro Titel.
Die zugeteilten Aktien unterliegen einer Veräusserungssperrfrist von sechs Jahren. Verwaltungsrat und Geschäftsleitung haben sich zudem verpflichtet, in den zwölf Monaten nach dem Börsengang keinerlei Aktien aus ihren Beständen zu verkaufen.
Am Dienstag schloss die Aktie der Stadler Rail AG an der Schweizer Börse auf 41.20 Franken, 2,6 Prozent tiefer als am Vortag und 8,4 Prozent über Ausgabepreis. Am Dienstagabend gab Stadler zudem bekannt, dass die Mehrzuteilungsoption wie erwartet vollständig ausgeübt worden ist. Damit beträgt der Streubesitz im Publikum 43,41 Prozent, und Spuhlers Aktienanteil sinkt auf 39,7 Prozent. (T. G.)