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Die Saaser Bergbahnen wollten Dogmen sprengende Pioniere im Schweizer Tourismus sein. Nun flüchten sie sich in die Arme eines österreichischen Skikönigs. Von Aufstieg und Fall in einer Branche, die für die Schweiz zu einem zweiten Agrarsektor werden könnte.
Es ist Herbst 2016, als Saas-Fee das Unterland mit einer Kampagne überrollt. Die Walliser Winterdestination bot den «Hammer-Deal» an. Eine Wintersaisonkarte nicht wie sonst für 1050 Franken, sondern für nur 222 Franken. Unter der Bedingung, dass die Schnapszahl von 99 999 «Winterfans» in einem Crowdfunding zuschlagen würde.
Das Boulevardhaus Ringier begleitete die «ersehnte Revolution im Wintersport» mit Publi-Reportagen: «Darum nennt man Saas-Fee eine Perle der Alpen». Als der «Deal» zustande kam, wurde getitelt: «Saas-Fee schafft das Wintermärchen.»
Zwei Jahre später ist das Wintermärchen entzaubert. Von den Machern hält sich nur der Chef der Saaser Bergbahnen, Rainer Flaig, gerade noch im Amt. Im «Walliser Boten» wird über seine Nachfolge spekuliert: «Das Kandidaten-Karussell dreht sich». Pascal Schär, Chef der Saastal Marketing AG, galt als einer der Väter des «Saaser Wunders». Nun sucht er nach «Veränderung in beruflicher Hinsicht».
Die Lichtfigur im Wallis, Verwaltungsratspräsident Pirmin Zurbriggen, machte im Sommer entnervt «Platz für einen Neuanfang». Der erfolgreichste Schweizer Skifahrer aller Zeiten hatte sich an der Generalversammlung endgültig mit dem Grossaktionär verkracht.
Zuletzt mussten die Saaser Bergbahnen sich in die finanzstarken Arme des österreichischen Ski-Königs Peter Schröcksnadel flüchten. Dessen Gruppe wird voraussichtlich bald die Mehrheit halten an der Saastal Bergbahnen AG, immerhin grösster Arbeitgeber im Tal. Ein Ausgang, den Zurbriggen einmal «Ausverkauf der Heimat» nannte.
In zwei Jahren von der «Revolution» zum «Ausverkauf». Der schnelle Fall erklärt sich teils mit den Zwängen des Marketings. Passend zum «Hammer-Deal» musste eine gute Story her. Für Wintersportler wie für mögliche künftige Geldgeber. Da bot es sich wohl an, Saas-Fee als Hort cooler Revolutionäre zu positionieren, die die Wintersportbranche auf den Kopf stellen.
Dieses Kalkül dürfte mitgespielt haben, als Zurbriggen noch Anfang 2018 das Wintermärchen hochhielt. In einer Broschüre sprach er von der «wohl innovativsten Marketingaktion seit der Erfindung des Skitourismus bzw. seit dem Bau der ersten Bergbahn». Damit habe man nichts weniger getan, als das lähmende Dogma des Schweizer Tourismus gesprengt, wonach Qualität nun einmal ihren Preis habe.
Teil der revolutionären Rhetorik war es auch, auf die Konkurrenz einzudreschen. Im letzten Geschäftsbericht schrieben Zurbriggen und Chef Flaig, die gesamte Branche hätten «Ohnmachtsgefühle» erfasst. Die Anspannung sei förmlich zu spüren. «Vom Neid diktiert fielen die Reaktionen der Konkurrenz in der Regel negativ aus.» In der Branche kam das nicht gut an, zumal sich mancher Bergbähnler wegen des Hammer-Deals als «Abzocker» beschimpfen lassen musste.
In Wahrheit hoben die Saaser Bergbahnen nie so hoch ab, wie es die Kampagne glauben machte. Nach seinem Rücktritt holte Zurbriggen selbst die Dinge auf den Boden zurück. Der Hammer-Deal habe das «kurzfristige Liquiditätsproblem gelöst», sagt er dem «Walliser Boten». Luft für den Moment habe das gegeben, nicht für die Zukunft. So war die Revolution nur eine Geldspritze, die für ein oder zwei Jahre reichte. Aber es war viel zu wenig, um veraltete Bahnen zu ersetzen und das System zur Beschneiung zu erneuern.
Damit werden die Saaser Bergbahnen zum Normalfall in der Branche. Gemäss einer jährlichen Erhebung verdienen aktuell rund zwei Drittel der Unternehmen zu wenig, um die nötigen Investitionen aus eigener Kraft stemmen zu können. Ohne eine Wende werden vielerorts die Gemeinden mehr Geld einschiessen müssen, sagt Jürg Stettler, Tourismusprofessor an der Hochschule Luzern.
Schliessungen kämen kaum je infrage, weil die lokale Wirtschaft auf die Bahnen angewiesen ist. Doch damit werden Entscheidungen nur herausgeschoben, bis die Hilfe nicht mehr verkraftbar ist. Klassische Abläufe würden sichtbar, wie Abwanderung aus Tälern. Dann werde sich die nationale Politik ernsthaft mit dem alpinen Tourismus befassen müssen, so Stettler.
Der Tourismus sei für die Berggebiete matchentscheidend. «Soll die nationale Politik ihn dennoch behandeln wie jede andere Branche – oder braucht die Schweiz den Tourismus?» Wenn sie ihn benötigt, komme die nächste Frage. «Wie wollen wir den Tourismus unterstützen: Wie die heutige Landwirtschaft oder gibt es andere Wege?» Diese Diskussion werde nicht morgen geführt, auch nicht übermorgen. «Aber sie kommt, wird der aktuelle Trend nicht durchbrochen.»
Saas-Fee hat mit Schröcksnadel einen neuen privaten Geldgeber gefunden. Der Tiroler kennt den Wintersport wie kaum ein Zweiter. Seine Gruppe, mit Sohn Markus als oberstem Chef, führt mittlerweile neun Skigebiete, darunter Savognin GR. Schröcksnadel selber präsidiert Österreichs Skiverband schon seit 28 Jahren, was ihm Übernamen wie Skikönig oder Liftkaiser eintrug. Nun wird er sich auch den Hammer-Deal genau anschauen.
Dabei wird er nicht übersehen, dass der Deal von Anfang hinter den Erwartungen zurückblieb. In der ersten Saison wollte man 99 999 Saisonabos verkaufen. Es wurden um die 75 000, was man als wahr gewordenes Märchen vermarktete. In der Wintersaison 2016/17 war das Gedrängel in Saas-Fee gross.
Das Parkhaus war überfüllt, Hoteliers und Wirte rieben sich die Hände. Die Bergbahn jedoch hatte in der Bilanz nur einen Gewinn von 175 000 Franken stehen. Damit war man aus der Verlustzone raus. Aber es war zu wenig, um die anstehenden Investitionen zu stemmen.
Im zweiten Jahr kam der Einbruch. Die «Community», die man aufbauen will, verlangte nur 55 000 bis 60 000 Winterkarten. In der aktuellen Saison würde man sich mit 66 666 Karten begnügen, die mehr kosten, 255 Franken. Die Aktion läuft bis Ende Oktober. Freitagabend stand man bei rund 43 000 Käufern. Markus Schröcksnadel soll sich nicht begeistert gezeigt haben von der Wintercard, nahm aber sonst viel Rücksicht: «Wir sind alles Bergler. Die Mentalitäten der Tiroler und der Walliser liegen nicht weit auseinander.»