Startseite
Wirtschaft
Die Versicherungsgesellschaft wirft dem Gesundheitsamt Pfusch vor.
Der Geduldsfaden ist endgültig gerissen. Die Krankenversicherung Helsana will gegen das Bundesamt für Gesundheit (BAG) klagen. Anlass für den grossen Ärger sind die hohen Medikamentenpreise in der Schweiz, die vom BAG festgelegt werden. Die Krankenversicherung ist überzeugt, dass die Prämienzahler dank tieferen Preisen markant entlastet werden könnten.
Die Klagedrohung eines Privatunternehmens gegen ein Bundesamt ist ein ziemlich einmaliger Vorgang in der Schweiz. Der Grund für den Frust der Helsana: Das BAG gehe mit der Pharmaindustrie viel zu lasch um, indem sie die Medikamentenpreise sehr grosszügig zugunsten der Hersteller festlege, sagt Guido Klaus, Leiter Politik und Ökonomie bei der Helsana. «Leider fehlt uns die Transparenz, um die Preisfestsetzung des BAG nachvollziehen zu können.»
Man könnte nun argumentieren, dass eine Drohung, Klage einzureichen, noch nicht allzu viel wert ist. Doch für die Helsana stellt sich eine zentrale Frage: Wie weit soll die Firma gehen, ohne die eigene Aufsichtsbehörde zu verärgern? Denn das BAG ist nicht nur für die Medikamentenpreise, sondern auch für die Aufsicht der Krankenkassen zuständig. Die Frage, ob und welches rechtliche Mittel Helsana wählen soll, ist daher von Bedeutung. Die Versicherung will sich hier jedoch nicht in die Karten blicken lassen.
Das BAG sei jene Behörde, die für die Prämienzahler dieses Landes die kassenpflichtigen Medikamente einkaufe, sagt Klaus. Immerhin mache dies ein Volumen von über 7 Milliarden Franken aus. «Es hängt vom BAG ab, wie viel wir in der Schweiz für Arzneimittel ausgeben.»
Um den enormen Frust der Helsana zu verstehen, muss man in die Vergangenheit zurückblenden. Letztmals senkte das Bundesamt für Gesundheit die Medikamentenpreise in den Jahren 2012 bis 2014. Wichtig zu wissen: Das Amt passt jeweils nicht alle Preise auf einen Schlag an, sondern überprüft jeweils nur ein Drittel aller Medikamente, die von den Krankenkassen bezahlt werden müssen. Damit fängt der Ärger der Versicherer bereits an. Im Konzert mit dem Preisüberwacher und der Stiftung für Konsumentenschutz fordern die Kassen seit Jahren, dass jedes Jahr die Preise aller kassenpflichtigen Medikamente gesenkt werden.
Für die Krankenversicherer und ihre Alliierten ist dies deshalb so wichtig, weil der Preis eines Medikaments in der Schweiz zur Hälfte von den Preisen im Ausland abhängt. Insgesamt werden neun europäische Länder herangezogen. Eine wichtige Rolle spielt dabei der Wechselkurs, insbesondere das Währungspaar Euro/Franken. Dieses war in den vergangenen Jahren starken Schwankungen ausgesetzt. Die Talfahrt des Euros im Vergleich zum Franken brachte die Arzneimittelpreise zwar ins Rutschen, jedoch aus Sicht der Krankenversicherungen nicht stark genug.
Da die letzte Überprüfung drei Jahre zurückliegt, sind die Preise einer grossen Zahl von Medikamenten anhand von Wechselkursen festgelegt worden, die weit über dem heutigen Niveau sind. Aus Sicht von Guido Klaus wird hier Heimatschutz für die Pharmaindustrie betrieben, obwohl die Mehrheit der Medikamente gar nicht hier hergestellt, sondern importiert wird. Aufgrund der Passivität des BAG hätten die Prämienzahler in den letzten drei Jahren zusammengerechnet über 2 Milliarden Franken zu viel für kassenpflichtige Medikamente bezahlt, sagt Klaus. Aus seiner Sicht hätte das Bundesamt die Medikamentenpreise zwischen 2015 und diesem Jahr laufend senken müssen. Doch die Gesundheitsbehörde liess die Preise ruhen.
Ein zentraler Grund für die Zurückhaltung des BAG ist eine Klage der Pharmaindustrie. Die Branche zog wegen der letzten Preissenkungsrunde in den Jahren 2012 bis 2014 bis vor Bundesgericht. Die Firmen prangerten die Praxis des BAG an, nur auf den Preisvergleich mit dem Ausland abzustützen, nicht aber die Wirkung eines Präparats in den Preis einfliessen zu lassen. Das oberste Gericht entschied zugunsten der Pharmaindustrie. Es verlangte vom BAG, nicht nur die ausländischen Preise heranzuziehen, sondern die Medikamente zusätzlich mit ähnlichen Arzneimitteln zu vergleichen, die in der Schweiz zugelassen sind.
Obwohl das Urteil Anfang 2016 publiziert wurde, geschah vorerst nichts. Das BAG passte zuerst die Regeln basierend auf den Vorgaben des Bundesgerichts an. Ein solcher Prozess braucht bekanntlich Zeit. Die neuen Verordnungen traten im März dieses Jahres in Kraft. Folglich sinken die Preise per 1. Januar 2018. Wie gehabt, wird jedoch nur ein Drittel aller Medikamente überprüft. Hinzu kommt eine einmonatige Verspätung für eine unbekannte Zahl an Präparaten, da das BAG mit der Preisberechnung in Verzug geraten ist.
Doch auch bei der laufenden Preissenkungsrunde streiten sich das BAG und die Helsana. Während die Krankenversicherer für das erste Drittel der Medikamente von einem Einsparpotenzial von 300 Millionen Franken ausgehen, rechnet das BAG lediglich mit Einsparungen von 60 Millionen Franken. «Ich kann nicht verstehen, wie man auf eine derart geringe Summe kommt», so Klaus.
Zusammen mit den Krankenkassenverbänden Santésuisse und Curafutura hat die Helsana für die anstehende Überprüfungsrunde ein Sparpotenzial von 19 Prozent errechnet. Klaus argumentiert, dass beim ersten Drittel der Präparate viele umsatzstarke Arzneimittel an die Reihe kommen.
Das BAG fühlt sich zu Unrecht von der Helsana kritisiert. Ohnehin gebe es keine rechtliche Grundlage, die Helsana zu einer Beschwerde berechtigen würde, sagt Sprecher Andrea Arcidiacono. Beschwerden gegen die Preisfestsetzung von Medikamenten habe der Gesetzgeber nicht vorgesehen, dies sei auch vom Bundesgericht vor rund einem Jahr bestätigt worden. «Weshalb die Helsana bereits vor Abschluss der Überprüfung das BAG undifferenziert kritisiert, entzieht sich unserer Kenntnis», sagt Arcidiacono weiter. Das Anliegen des BAG sei es, die vom Bundesrat vorgegebenen Ziele zu erreichen und die Prämienzahler zu entlasten.
Das BAG kann nicht nachvollziehen, wie die Helsana auf ein Sparpotenzial in den letzten drei Jahren von über 2 Milliarden Franken kommt. Das Amt schätzt, dass pro Jahr ohne Preisüberprüfung Einsparungen von rund 100 Millionen Franken entgangen sind.
Die Behörde wehrt sich zudem gegen den Vorwurf, aus Ressourcengründen jeweils nur ein Drittel aller Medikamente pro Jahr zu überprüfen. Die Umsetzung der neuen Verordnungen führe zu einem grossen Mehraufwand. Der Vergleich der Wirkung eines Medikaments müsse separat für jedes einzelne Arzneimittel durchgeführt werden und sei somit viel aufwendiger als der Auslandpreisvergleich. Mit den bestehenden rechtlichen Bestimmungen und Ressourcen sei eine jährliche Überprüfung der Medikamentenpreise realitätsfremd.