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Führt das Ende des Bargelds in den Überwachungsstaat?

Geht es bei der Idee der Abschaffung des Bargelds wirklich nur um das Verhindern von Geldwäsche? Überwachung und Geldpolitik dürften eine grössere Rolle spielen

Adrian Lobe
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Die Politik hat einen Anreiz, Bargeld abzuschaffen.

Die Politik hat einen Anreiz, Bargeld abzuschaffen.

/KEYSTONE/MARTIN RUETSCHI

Einen Gebrauchtwagen für 10 000 Euro kaufen? Oder mal eben einen Ring für 7500 Euro beim Juwelier erstehen? Geht es nach der deutschen Bundesregierung, sind solche Geschäfte in Zukunft nicht mehr möglich. Das Bundesfinanzministerium plant Medienberichten zufolge eine Bargeldobergrenze von 5000 Euro. Damit sollen Geldwäsche und die Finanzierung terroristischer Aktivitäten erschwert werden.

Schweden gilt als Vorreiter des bargeldlosen Bezahlens. Gemeindemitglieder entrichten ihren «Zehnt» via Textnachricht. Obdachlose in der Stockholmer Innenstadt nehmen Almosen mit einem Kartenlesegerät entgegen. Scheine und Münzen machen nur noch rund zwei Prozent der Wirtschaft aus, verglichen mit 7,7 Prozent in den USA und 10 Prozent in der Euro-Zone. In Schweden zahlen die Menschen immer mehr mit Kreditkarte oder via Banking-Apps.

Die Zeiten, in denen Dandys lässig ein paar Dollarnoten in ihrem Hemd stecken hatten oder man als Händler hohe Geldbeträge in der Brieftasche mit sich herumtrug, könnten bald vorbei sein. Das grosse Versprechen bargeldlosen Bezahlens lautet, dass die Transaktionskosten reduziert werden und der Zahlungsverkehr sicherer wird. Mit der Abschaffung des Bargelds sollen vor allem die Finanzströme der organisierten Kriminalität ausgetrocknet werden. Kenneth Rogoff, ein Befürworter der Abschaffung, wies darauf hin, dass bei der Verhaftung des Drogenbosses Joaquín Guzmán («El Chapo») 200 Millionen Dollar in 100-Dollar-Noten gefunden wurden. Geld ist schmutzig, behauptet das Kreditkartenunternehmen Mastercard.

In Datenbanken gespeichert

Die Zahlung mit Kreditkarte mag komfortabel sein. Doch jede Transaktion, und sei sie noch so geringfügig, wird in den Datenbanken der Kreditkartenunternehmen gespeichert – und liefert somit ein Instrument zur Überwachung. Die Kreditkarte verrät so einiges über unseren Lebensstil. Zwar werden nur die Metadaten wie Datum, Ort und Uhrzeit erfasst, doch aus den Daten lassen sich relativ leicht Rückschlüsse auf einzelne Personen ziehen. Ein Forscherteam des Massachusetts Institute of Technology (MIT) und der Universität von Aarhus, das drei Monate lang die Kreditkartenkäufe von insgesamt 1,1 Millionen Menschen analysierte, hat herausgefunden, dass schon Angaben zu vier Bezahlvorgängen ausreichen, um 90 Prozent der Personen in einer anonymisierten Liste zu identifizieren. Weiss man zum Beispiel, dass jemand am Montag seinen Kaffee gekauft hat, am Dienstag im Restaurant essen war und am Mittwoch im Kino, kann man diese Finanzdaten zweifelsfrei einer Person zuordnen. Sag mir, was Du kaufst, und ich sage Dir, wer Du bist. Der Bürger wird damit durchschaubar und berechenbar.

Datenschützer und Ökonomen kritisieren, dass es dabei weniger um die Kriminalitätsbekämpfung als vielmehr um Überwachung gehe. «FAZ»-Mitherausgeber Holger Steltzner, ein Kenner des Geld- und Bankwesens, schrieb in einem Kommentar: «Politiker träumen vom gläsernen Wähler und Steuerbürger, Internetfirmen wollen alles über alle Kunden wissen, Banken brauchen neue Gebührenquellen, und manche Zentralbank will die Leute mit Strafzinsen zum Konsum treiben. Deshalb wird viel von Schwarzgeld oder Steuerflucht geredet und so getan, als kauften IS-Terroristen ihre Kalaschnikow bar in der Eckkneipe oder als wasche die Mafia ihr Geld in der Pizzeria statt in der eigenen Bank. Die Wahrheit ist schrecklicher: Die Feinde des Bargelds streben nach totaler Kontrolle.»

Das sieht auch der Ökonom Daniel J. Mitchell vom Cato Institute in Washington so. Im Gespräch sagt er: «Der offensichtliche Zweck dieser Massnahme ist es, der Regierung die Macht zu geben, private Transaktionen zu überwachen. Das ist besorgniserregend, weil Regierungen eine äusserst schlechte Menschenrechtsbilanz haben. Wäre es nicht klüger, die Ressourcen auf traditionelle Polizeiarbeit zu konzentrieren, um die Pläne von Kriminellen zu durchkreuzen?».

Zum Konsum gezwungen

Die Politik hat einen Anreiz, Bargeld abzuschaffen. Sollten die Zentralbanken Negativzinsen einführen, mit der Folge, dass man für Einlagen zahlen muss, könnte man in einer bargeldlosen Gesellschaft nicht mehr einfach sein Guthaben auf dem Sparbuch abheben und das Geld unters Kopfkissen legen. Man wäre zum Konsum gezwungen. Unser Verhältnis zum Geld wird sich dadurch radikal ändern. Die bargeldlose Gesellschaft will mit dem archaischen Ideal brechen, dass Geld etwas Dingliches ist – und es durch die Vorstellung eines Bewertungssystems ersetzen. Schon heute berechnen Banken die Bonität aufgrund von Social-Media-Aktivitäten wie Tweets und Facebook-Likes. Wer die «falsche» Band likt oder im falschen Viertel wohnt, bekommt unter Umständen keinen Kredit. In einer bargeldlosen Gesellschaft wäre es möglich, dem Zuckerkranken den Kauf von Cola zu verweigern.

Der Computerwissenschafter Jason Hong von der Carnegie Mellon University glaubt nicht, dass die Abschaffung von Bargeld Geldwäsche unterbindet. «Die organisierte Kriminalität wird immer Wege finden, das System zu umgehen», sagt er zu dieser Zeitung.

Die Annahme, man müsse nur das Bargeld aus dem Geldkreislauf ziehen, um ominöse Finanzströme trockenzulegen, ist eine Illusion. Die Gewinner sind am Ende der Staat und die Kreditkarteninstitute, die noch mehr Daten – und damit auch Kontrolle – über ihre Kunden gewinnen. Der Verbraucher zahlt die Abschaffung des Bargelds mit seiner Freiheit.