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Der Trend zu tieferen Mietpreisen setzt sich fort und erfasst immer mehr auch die Innenstädte. Das freut Kunden und Händler.
«Try and error», Versuch und Irrtum, das ist das derzeitige Leitmotiv vieler Detailhändler im Schweizer Markt. An Startplätzen für kommerzielle Versuchsballone herrscht kein Mangel. Die jüngsten statistischen Erhebungen der Zürcher Immobilienberatungsagentur Wüst Partner sprechen Bände: Auf Schweizer Inserate-Plattformen würden derzeit Verkaufsflächen von insgesamt 570'000 Quadratmetern zur Vermietung angeboten.
Das seien ein Drittel mehr als im Durchschnitt der vergangenen zehn Jahre. Die Angebotsausdehnung sei mithin ein Zeichen der sinkenden Lebensdauer von Verkaufsläden, schreiben Wüst Partner in der aktuellen Ausgabe von «Immomonitoring», einer der umfangreichsten Datenerhebungen zum Schweizer Immobilienmarkt. Auch die Erstellung neuer Flächen hat gemäss der Studie zur Erhöhung des Angebotes beigetragen. En vogue sind Grossüberbauungen mit Mischkonzepten für Wohnen, Arbeit und Einkauf.
Als Folge der Angebotserweiterung sind die Preise für Verkaufsflächen unter Druck geraten. Sie bewegen sich aktuell etwa auf dem Niveau von 2008. Dazwischen sind die Konsumausgaben der Schweizer Bevölkerung aber um mehr als 15 Prozent gestiegen – nicht zuletzt als Folge des Bevölkerungswachstums. Besonders ausgeprägt ist die Entwicklung seit 2013. Damals hatten die Ladenmieten ein zwischenzeitliches Hoch erreicht und sind seither um rund 10 Prozent gefallen, während die Konsumausgaben in der gleichen Zeit schweizweit um acht Prozent zugenommen haben. Der Abwärtstrend bei den Mieten lasse sich im ganzen Land beobachten, wobei auch die Bandbreite der Mieten zwischen guten und schlechten Lagen abgenommen habe, heisst es in dem Bericht.
Wüst Partner gehen davon aus, dass die Mieten auch 2019 um durchschnittlich 2,5 Prozent fallen werden. Stärker war die Preiskorrektur nur im Jahr 2015, als der zweite Frankenschock die Stimmung trübte und viele Konsumenten noch mehr dazu brachte, ihre Einkäufe jenseits der Grenze zu tätigen.
Der Frankenschock war allerdings lediglich ein Beschleuniger, aber mitnichten der Auslöser der Mietpreiskorrektur (vgl. Grafik). Diese dürfte vielmehr mit dem geänderten Kaufverhalten der Konsumenten und mit der wachsenden Popularität des Online-Shoppings zu erklären sein. Allein die beliebtesten Onlineplattformen wie Digitec, Zalando, Amazon und andere schöpfen gemäss einer in der Studie genannten Schätzung neun Milliarden Franken oder knapp acht Prozent des Umsatzpotenzials im Schweizer Detailhandel ab, und der Vormarsch der Onlineriesen ist wohl noch lange nicht zu Ende. Der Marktanteil des Onlinehandels ist schon heute ähnlich gross wie jener der grenznahen Händler im benachbarten Ausland.
Doch profitieren die Kunden von der Entwicklung?
Am besten seien die Aussichten für den stationären Handel dort, wo die Passantenzahlen am höchsten sind. Das sei zum Beispiel am unteren Ende der Zürcher Bahnhofstrasse der Fall. Dort also, wo jeden Tag Zehntausende von Pendlern auf dem Weg von und zur Eisenbahn durchkommen. An der unteren Bahnhofstrasse würden inzwischen die höchsten Mieten an der mithin teuersten Schweizer Einkaufsmeile bezahlt, heisst es im Bericht von Wüst Partner. Noch vor wenigen Jahren waren es die Anbieter von Luxusgütern im mittleren Abschnitt der Bahnhofstrasse, die sich die teuersten Flächen leisteten. Die höchsten Ladenpreise zahlen somit nicht mehr zwingend Geschäfte wie Cartier, Louis Vuitton oder Hermes, sondern Ladenketten, die sich diese dank hoher Kundenfrequenz auch mit kleineren Umsätzen pro Kopf leisten können. So gesehen ist es kein Zufall, dass die meisten neuen Läden von Migros, Coop, Aldi, Lidl oder Denner eröffnet wurden.
Der tiefgreifende Strukturwandel im Schweizer Detailhandel werde die Eigentümer von Verkaufsflächen in kleineren oder mittelgrossen Städten in den nächsten Jahren am härtesten treffen, prophezeien Wüst Partner. In diesen Gemeinden kommen auf 1000 Quadratmeter Verkaufsfläche durchschnittlich nur 128 bis 140 Personen als potenzielle Kunden. Der gesamtschweizerische Durchschnitt liegt bei 240 Personen.
Zuverlässige Prognosen über den weiteren Verlauf des Strukturwandels im Detailhandel gibt es keine. Die Branche sucht eifrig nach neuen Konzepten und geht dabei häufig nach dem erwähnten «Try-und-Error»-Prinzip vor. Der Anteil kurzfristiger Mietverträge mit Laufzeiten von weniger als fünf Jahren habe sich seit 2013 nahezu verdoppelt, liest man in dem Bericht.
Die langfristigen Mietverträge, mit denen einst die lokalen Platzhirsche ihre Reviere gegen unerwünschte Eindringlinge abzuschotten wussten, machten nur noch knapp ein Viertel der beobachteten Vertragsabschlüsse aus. Der Strukturwandel schafft somit auch neue Chancen – sowohl für die Händler als auch für die Konsumenten. «Augen auf», sollte deshalb für beide die Devise der Stunde lauten.