Google hat sich seit seiner Gründung vor 20 Jahren vom Weltverbesserer zur Datenkrake entwickelt. Der Konzern ist nicht nur Milliarden Dollar schwer, sondern verfügt auch über zig Milliarden Daten der Nutzer.
Im August 1998 sitzen die beiden 25-jährigen Stanford-Informatikstudenten Larry Page und Sergey Brin in einer Garage im kalifornischen Menlo Park. Mit ihnen am Tisch sitzt der bayerische Investor Andreas von Bechtolsheim, der im Silicon Valley einige Jahre zuvor mit Sun Microsystems, einem Computerhersteller, ein Vermögen verdient hat. Page und Brin zeigen Bechtolsheim auf ihrem Computer, woran sie seit knapp drei Jahren arbeiten. Sie nennen ihr Projekt Google und erklären dem Investor, dass sie damit das gesamte Internet nach relevanten Informationen durchsuchen könnten. Suchmaschinen gab es damals schon mehrere. Altavista, Yahoo oder Excite. Diese Seiten waren jedoch sehr unübersichtlich dargestellt. Das Suchfeld ging neben Wetter, Nachrichten und Börsentipps unter. Google war von Beginn an eine aufgeräumte und übersichtliche Seite. Ausserdem verfügten Page und Brin über einen viel ausgefeilteren Suchalgorithmus als ihre Konkurrenten.
Ausgerechnet zu Beginn des dritten Lebensjahrzehnts wird Google vorgeführt. Zwar soll sich die heutige Anhörung im Geheimdienstausschuss des US-Senats vornehmlich um die Frage drehen, ob führende Tech-Unternehmen ausreichend Vorkehrungen getroffen haben, damit ausländische Akteure nicht erneut den Ausgang von US-Wahlen mittels Falschinformationen beeinflussen können – so wie dies 2016 der Fall war. Weil Google sich aber (bis zum Redaktionsschluss dieser Ausgabe) weigerte, im Gegensatz zu Twitter und Facebook, einen hochrangigen Vertreter an das Hearing zu entsenden, wird sich der Suchdienst Kritik von Demokraten wie Republikanern anhören müssen. «Es spricht Bände, dass Google nicht Teil dieser Debatte sein will», sagte der Demokrat Mark Warner der Fachzeitschrift «Wired». Republikaner wiederum werden ihren Fokus auf die angebliche politische Voreingenommenheit richten, unter der konservative Stimmen auf den führenden Internet-Plattformen leiden. (rrw)
Mit dem Page-Rank war es möglich, Suchergebnisse aufgrund der Anzahl von auf sie verlinkten Seiten der Wichtigkeit nach zu ordnen. Bechtolsheim hat bei seinem Besuch nicht viel Zeit, sein nächster Termin wartet. Bereits nach zehn Minuten unterbricht die Silicon-Valley-Legende die beiden Studenten und stellt ihnen einen Check über 100 000 Dollar aus. Wenige Tage später gründen die beiden mit dem Geld das Unternehmen Google. Bechtolsheim bezeichnet sein Investment heute als «die beste Idee aller Zeiten». Ihm und anderen Investoren war es allerdings etwas mulmig zu Mute. Als «Parental Advisor», quasi als Erwachsenenaufsicht, wurde 2001 der erfahrene Manager Eric Schmidt zu Google geholt.
Google ist vor 20 Jahren mit dem Versprechen angetreten, der Menschheit das ganze Wissen bereitzustellen und dabei nichts Böses zu tun. «Don’t be evil», lautete das Motto, das der Konzern übrigens vergangenen Frühling still und heimlich verschwinden liess. Gutes tun für die Welt sei der typische Silicon-Valley-Impetus, sagt Viktor Györffy, Rechtsanwalt und Mitglied der gemeinnützigen Organisation Digitale Gesellschaft Schweiz. «Gleichzeitig steht dann aber das Geldverdienen im Mittelpunkt und nicht der Idealismus.» Clever war auch die Idee, neben den Suchergebnissen Werbung zu schalten. Werbekunden müssen nur zahlen, wenn ihre Werbung angeklickt wird, einen Betrag von einigen Rappen. Bei einer Firma in der Grösse von Google, mit Millionen Werbekunden, kommen da schnell Milliarden zusammen. Google ist nicht alleine: Auch Facebook oder Apple gehören zu diesen Megafirmen. «Wir erleben die grösste Konzentration von Finanzkapital aller Zeiten», sagt Scott Galloway, Marketingprofessor an der New Yorker Universität Stern. Dank dem Anzeigengeschäft, hat sich der Technologieriese aus dem kalifornischen Mountain View in den vergangenen Jahren immer mehr in die Breite entwickelt. Google forscht heute an selbstfahrenden Autos, künstlicher Intelligenz oder versucht, den menschlichen Alterungsprozess zu stoppen. Möglich ist dies vor allem dank den Unmengen an Daten, welche Google über ihre Nutzer verfügt. Standorte, Profildaten, Browserverläufe, Suchhistorie, genutzte Geräte oder Gesprächsverläufe in Gmail und so weiter. «Google sammelt sehr konsequent Daten und verknüpft diese auch konsequent auf seinen einzelnen Plattformen», so Györffy. Viele sehen in Google deshalb vor allem eine Datenkrake. «Da immer mehr Menschen die Google-Dienste nutzen, spiegelt sich unser eigenes Leben auch immer mehr im digitalen Raum», so Györffy. Je genauer Google seine Kunden kennt, desto genauer und teurer kann das Unternehmen Werbung verkaufen.
In der EU versuchen Kartellbehörden und Politiker seit längerem, Google zu zerschlagen. Erst im Juli hat die EU-Kommission Google mit einer Busse von 4,34 Milliarden Dollar bestraft. Es geht um den Missbrauch der Marktmacht von Google mit seinem Smartphone-Betriebssystem Android. Ob das Unternehmen die Busse jemals bezahlen wird, ist fraglich. Unklar bleibt auch, wie viel Google über uns weiss. Weder der genaue Suchalgorithmus, der bestimmt, welche Informationen wir angezeigt erhalten, noch die gespeicherten Daten sind offengelegt.
Google kann man alles fragen. Seit gestern auch, wo in der Welt ein Doppelgänger zu finden ist. Nicht im realen Leben, sondern als Porträt auf Zehntausenden von Kunstwerken. «Art Selfie» heisst die App von Google, die gestern weltweit freigeschaltet worden ist. Dank «Art Selfie» finde ich vielleicht heraus, ob ich irgendeine Ähnlichkeit mit einem Gesicht auf einem Van-Gogh-Gemälde in Amsterdam habe. Nur schnell ein Selfie machen und abgleichen. Nicht alles bei Google ist von grossem Gehalt.
Will man sonst etwas von Google wissen, fragt man die Suchmaschine am besten gleich selbst. Dann erfährt man zum Beispiel, dass weltweit pro Jahr zwei Billionen Suchanfragen gemacht werden, täglich 5,6 Milliarden, 64000 pro Sekunde. Jeder Google-Nutzer sucht 3,4 Mal pro Tag. Eine Suche dauert durchschnittlich 55 Sekunden. Ungefähr die Hälfte der Anfragen fallen auf die Bildersuche. Wohl mit hohem Porno-Anteil, da sich 25 Prozent der Suchanfragen im Internet um Pornografie drehen. Aufgrund der Häufigkeit der Google-Klicks lassen sich Trends und Gewohnheiten analysieren – der Zeitgeist, gespeichert in einem riesigen Datenberg.
Und Googeln rentiert, denn der Werbeumsatz – und davon lebt der Internet-Riese – betrug im Jahr 2016 geschätzte 75 Milliarden Dollar. Google hat heute einen weltweiten Marktanteil bei Suchmaschinen von über 90 Prozent. Die 2015 übergeordnet gegründete Holding Alphabet, zu der neben Google auch Youtube und Android gehören, hat einen momentanen Börsenwert von etwa 800 Milliarden Dollar. All diese Zahlen, die man auf Google findet, sind mit Vorsicht zu geniessen. Teilweise sind die Daten veraltet oder stammen von anderen Quellen, da Google kein Interesse hat, Genaueres zu vermitteln. So weiss man auch nicht, wie viel Steuern das Unternehmen bezahlt.
Auch nicht in Zürich, wo Google ein grosses Forschungs- und Entwicklungszentrum führt. Die Büros im vor zehn Jahren eröffneten Google-Gebäude im Hürlimann-Quartier waren damals in ihrer leichten, offenen Art vorbildlich für viele. Auf der Rutsche gleitet man im Gebäude von Stock zu Stock, «Quick connections» überall. Massage, Fitness und Tischfussball gehören dazu und führen Privates und Beruf in der Online-Gesellschaft zusammen. Ein attraktiver Arbeitsplatz ohne Stechuhr-Mief soll die gescheitesten Köpfe anziehen.
Viele davon werden an der nahen ETH Zürich ausgebildet. Wie viele bei Google anheuern, weiss die ETH nicht. Derzeit gebe es auch keine grössere Forschungskooperation mit Google. «Es gibt jedoch Doktorate, die durch Google PhD Scholarships gesponsert werden», sagt Markus Gross von der ETH Zürich. Hochschule und Google profitierten schon voneinander. So zeige der rasante Ausbau des Zürcher Standorts von Google, dass die ETH Zürich und andere Bildungsinstitutionen in der Schweiz Fachleute ausbilden, die auf ihrem Gebiet zur Weltspitze gehörten. Dank Unternehmen wie Google steige die Strahlkraft Zürichs, davon profitiere die ETH, weil sie so für Studierende aus aller Welt an Attraktivität gewinne. Gute Job-Aussichten und ein bekannter Name wie Google führten dazu, dass das Interesse an Informatik-Studiengängen steige. «So hat sich die Zahl der Informatik-Studierenden an der ETH über die letzten fünf Jahre verdoppelt», sagt Gross. Google ist also nicht nur wegen der tiefen Steuern in der Schweiz. (Kn.)