Facebook blamiert sich. Der Social-Media-Gigant hatte eigenhändig all seine Services lahmgelegt: die Plattformen Facebook und Instagram und den Messengerdienst Whatsapp. Das ist aber nicht das einzige Problem von Mark Zuckerberg. Mit diesen vier Baustellen muss er sich ebenfalls herumschlagen.
Mitarbeitende konnten nicht ins Büro, die digitalen Schlüssel versagten. Es musste in einem Datenzentrum von Hand ein «Reset» vorgenommen werden. Erst dann war Facebook wieder online, fast sechs Stunden hatte es gedauert. Und am Dienstag wird es nochmals peinlich. Die Managerin, Frances Haugen, sagt vor dem Senat gegen den ehemaligen Arbeitgebenden aus. Gekündigt hatte sie, nachdem ihr klar geworden sei, dass bei ihrem Arbeitgebenden «Profite über das Gemeinwohl gehen». Noch davor hatte sie dem «Wall Street Journal» zig interne Dokumente übergeben. Daraus entstand eine Serie vernichtender Artikel.
Doch es zeigt sich auch, wie die «New York Times» schreibt: «Facebook ist schwächer, als wir dachten.» Der Konzern habe die besten Tage hinter sich, erlebe einen schleichenden Niedergang, kämpfe zunehmend verzweifelt dagegen an – und verschlimmere damit seine Probleme.
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Mark Zuckerberg betonte immer, die Regeln von Facebook seien für alle die gleichen, egal ob Geschichtslehrer oder Fussballstar. Doch die Dokumente der Whistleblowerin Frances Haugen zeigen ein anderes Bild. Eine geheime Elite war ausgenommen von den Regeln – von allen oder einem Teil davon. Eine interne Untersuchung kam zum Schluss: «Wir tun nicht das, was wir öffentlich sagen, dass wir es tun.» Der Fussballstar Neymar durfte so Nacktfotos einer Frau posten, die ihn der Vergewaltigung beschuldigt hatte. Dutzende von Millionen von Nutzern sahen die Bilder, ehe sie von Facebook entfernt wurden. Sanktionen blieben aus. Ein Geschichtslehrer hatte hingegen 30 Tage lang nichts mehr posten dürfen, nachdem er witzelnd geschrieben hatte: «Mann, jetzt spinnst du aber!».
Die Plattform Instagram ist geradezu toxisch für viele Mädchen. Bilder von perfekt aussehenden Influencern verstärken die Unzufriedenheit mit dem eigenen Körper, was Essstörungen auslösen kann oder gar Depressionen. Das wusste auch Facebook, wie interne Dokumente nun zeigen. In der Öffentlichkeit hat Facebook diese Effekte ständig heruntergespielt, auch gegenüber dem amerikanischen Kongress. Intern hingegen wurde dazu über Jahre hinweg geforscht. Dabei wurden die negativen Effekte wiederholt nachgewiesen. Die Forschungsergebnisse wurden jedoch unter Verschluss gehalten.
Mitarbeitende von Facebook hatten wiederholt Alarm geschlagen: In Entwicklungsländern hatten Drogenkartelle die Plattform für ihre Zwecke missbraucht, so auch Menschenhändler. Doch der Konzern habe nicht angemessen reagiert oder schlicht gar nichts getan. Konkret hatten etwa mexikanische Drogenhändler versucht, mit Hilfe von Facebook neue Auftragskiller anzuwerben.
Doch gemäss den Haugen-Dokumenten wurden sie nicht gestoppt. Im Nahen Osten wurde Facebook genutzt, um Frauen in missbräuchliche Arbeitssituationen zu locken, in denen sie wie Sexsklaven behandelt wurden. In Äthiopien wurde zur Gewalt aufgerufen gegen ethnische Minderheiten.
Facebook gab vor, den Diskurs auf seiner Plattform freundlicher gestalten zu wollen – stattdessen wurde er noch wuterfüllter. Dieser gescheiterte Versuch hatte eine Vorgeschichte. Facebook waren schon länger die Jungen davongelaufen. Jene, die blieben, verbrachten dort weniger Zeit. «Facebook ist für alte Leute», war das brutale Verdikt, das ein elfjähriger Junge den Firmenforschern hinknallte. Und der Ruf von Facebook litt. Forschungsergebnisse hatten gezeigt, dass die Nutzung sozialer Medien der geistigen Gesundheit schadete. Ehemalige Facebook-Grössen schlugen verbal zu. «Facebook beutet Schwächen in der menschlichen Psychologie aus», sagte ein früherer Präsident. Und ein ehemaliger Vizepräsident sagte gar in einer Talkrunde:
«Diese kurzfristigen, dopamingesteuerten Feedbackschleifen, die wir geschaffen haben, zerstören das Funktionieren der Gesellschaft.»
Facebook verweigert sich dieser Kritik lange. Erst 2018 reagierte Mark Zuckerberg. Der Konzern verkündete, nur «passive» Nutzung sozialer Medien sei ungesund. Die Lösung sei mehr «aktive» Nutzung. Das sei gut für die Stimmung und das allgemeine Wohlbefinden. Interne Forschung habe dies gezeigt. Also stellte Facebook den Algorithmus um. Die Nutzer wurden dazu bewegt, mehr mit Freunden und Familie ihre Messages, Posts oder Kommentare zu teilen. Zuckerberg verkaufte diese Umstellung öffentlich als gute Tat. Facebook werde wohl Nutzer verlieren, tue es zum Wohle der Gesellschaft aber dennoch. Intern jedoch war klar: Facebook erhoffte sich mehr Engagement seiner Nutzer.
Schon bald musste ein vernichtendes Fazit gezogen werden: «Fehlinformationen, giftige und gewalttätige Inhalte sind unter den geteilten Seiten überdurchschnittlich verbreitet», hiess es in einer internen Auswertung. Verlage und politische Parteien hätten ihre Beiträge anders ausgerichtet, mehr auf Empörung und Sensationslust. Politische Parteien meldeten sich. Sie hätten auf negativere Positionen gewechselt, um mehr Aufmerksamkeit zu erhalten. In einem Memo stand: «Auch diese Parteien geben an, sich Sorgen zu machen um die langfristigen Folgen für die Demokratie.»
Doch eine Reaktion von Facebook blieb aus. Der geänderte Algorithmus wurde beibehalten. Mitarbeitende schlugen zwar Zuckerberg eine erneute Korrektur vor. Doch dieser lehnte ab. Denn die Anzahl Kommentare und Reaktion war sehr wohl gestiegen – was wiederum für Facebook einen Erfolg darstellte. Dass die Rechnung langfristig aufgeht, bezweifeln Beobachter. Wie es die «New York Times» überspitzt formuliert: Die jungen Nutzer flüchten zu Snapchat oder Tiktok, die älteren posten Antiimpfungsmemes und streiten über die Politik.