Die meisten Bürgerinnen und Bürger scheinen ihr Budget im Griff zu haben, wegen der Coronakrise kämpfen allerdings mehr als sonst mit Schulden. Auch weil gewisse Ausgabenposten unterschätzt werden.
Wissen Sie eigentlich, wohin Ihr Geld Monat für Monat fliesst? Falls nicht, sind Sie in guter Gesellschaft: Viele Menschen sind erstaunlich ahnungslos, was ihre persönlichen Finanzen angeht. Laut Umfragen wissen sie zwar, ob ihr Gehalt für ihren Lebensstil ausreicht oder nicht, genau beziffern können sie die grössten Ausgabenposten oder den möglichen Sparbetrag aber nicht.
Mit der Coronakrise hat sich der Umgang mit Geld zudem stark verändert. Der letzte Gang zum Bankautomaten dürfte bei vielen Personen lange her sein, umso länger ist am Ende des Monats dafür die Kreditkarten-Abrechnung, die sich wegen ausgiebigen Onlineshoppings je nachdem als böse Überraschung entpuppen kann. Wie sehr die Pandemie die Ausgaben von Schweizern verändert hat, lässt sich derzeit noch nicht exakt sagen. In Bereichen wie Reisen und Restaurants werden sie sicherlich tiefer sein als in Vorjahren, dafür dürften die Haushalte mehr gespart haben (siehe Box unten).
Welches traditionell die grössten Ausgabenposten sind, weiss das Bundesamt für Statistik. Die Behörde erhebt regelmässig und detailliert die Ausgaben von Schweizer Haushalten. Die aktuellste Haushaltsbudget-Erhebung stammt aus dem Jahr 2018 und geht von durchschnittlich 2,16 Personen pro Haushalt mit einem gemeinsamen Bruttoeinkommen von 10'114 Franken aus. Das waren 2018 die Top-15-Ausgaben in der Schweiz:
Im Schnitt bleibt einem Haushalt dieser Grösse vom Bruttoeinkommen von 10'114 Franken nach obligatorischen Auslagen wie Krankenkassenprämien, Steuern, Gebühren und Versicherungsbeträgen noch 6500 Franken auf dem Konto. Davon werden rund 5300 Franken für alle Konsumausgaben aufgewendet (Miete, Mobilität, Lebensmittel und so weiter). Zusammen mit einem zusätzlichen sporadischen Einkommen von 385 Franken spart ein Haushalt so durchschnittlich rund 1590 Franken im Monat.
Während Kosten für Miete, Steuern und Versicherungen den meisten recht klar sein dürften, überrascht die Höhe von manchen anderen Posten: etwa Geschenke und Spenden mit 165 Franken pro Monat (1,6 Prozent) oder Körperpflege mit 110 Franken (1,1 Prozent). Fleisch lassen sich Schweizerinnen und Schweizer 131 Franken (1,3 Prozent) kosten, Schokolade 19 Franken (0,2 Franken), Haustiere 32 Franken (0,3 Prozent) und Alkohol und Tabak (inklusive Drogen) 100 Franken (1 Prozent). Fürs Reisen entfallen 140 Franken pro Monat (1,4 Prozent).
«Gerade Kosten für Geschenke werden meistens unterschätzt. Wir sind ein grosszügiges Volk, rechnen diese Kosten aber nur selten bewusst mit ein», sagt Andrea Schmid-Fischer. Sie ist Präsidentin des Dachverbands Budgetberatung Schweiz. Wie beurteilt sie die durchschnittlichen Ausgaben der Haushalte in der Schweiz? Haben sie ihre Finanzen im Griff? Darauf gebe es keine pauschale Antwort, meint Schmid-Fischer: «Jeder Haushalt ist einzigartig. Ein massgeschneidertes Budget ist sinnvoll, weil Durchschnittswerte die eigene Situation nur bedingt wiedergeben.»
Mit anderen Worten: Jede Person muss selber entscheiden, ob sie zum Beispiel mehr Geld für Konsumgüter oder fürs Reisen ausgibt. Einige Empfehlungen gibt Schmid-Fischer aber doch: Die Miete oder das Eigenheim sollten nicht mehr als 25 Prozent des Nettoeinkommens kosten. Früher lautete diese Faustregel noch 30 Prozent. Ein hohes Sparpotenzial gibt es in Sachen Nachwuchs:
«Das Projekt Kind läuft häufig nach dem Motto: Nur das Beste ist gut genug für mein Kind. Auf sehr viele Anschaffungen kann man jedoch verzichten, ohne dass das Kind leidet.»
Sparen lässt sich auch im Bereich Mobilität: «Selbst wenn viele Leute das Gefühl haben, dass der öffentliche Verkehr in der Schweiz wahnsinnig teuer ist – Autos sind immer teurer als der ÖV.» Schliesslich empfiehlt Schmid-Fischer, wann immer möglich monatlich einen Betrag für Unvorhergesehenes auf die Seite zu legen. Bei Jobverlust, Kurzarbeit, Krankheit oder Unfall kann das Geld schnell nicht mehr reichen – gerade jetzt haben Budget- und Schuldenberatungsstellen wegen der Coronakrise besonders viel Zulauf.
Unterschiede zu Europa gibt es erstaunlich wenige. Auch die 27 EU-Mitgliedsländer geben im Schnitt einen ähnlich hohen Anteil für Wohnen, Mobilität oder Gesundheit aus. Das zeigen Zahlen von der europäischen Statistikbehörde Eurostat aus dem Jahr 2019. Einige Differenzen gibt es aber: Zum Beispiel für Restaurants und Hotels greifen Schweizerinnen und Schweizer anteilmässig tiefer in die Tasche als der Durchschnittseuropäer. Vielleicht weil sie sich öfter bewirten lassen – oder weil Gaststätten im Ausland im Verhältnis schlicht günstiger sind.
Etwas mehr Geld geben Europäer hingegen für Alkohol und Tabak aus, wobei hier sowohl ein leicht höherer Konsum als auch eine höhere Besteuerung eine Rolle spielen dürfte. Nicht berücksichtigt werden in den EU-Zahlen die Ausgaben für Steuern, Krankenkasse oder Versicherungen, da diese je nach Wohlfahrtssystem des Landes bereits direkt vom Einkommen abgezogen werden, wie zum Beispiel in Schweden.
Wie sich die Ausgaben seit Ausbruch der Pandemie ungefähr verändert haben, zeigt ein Blick auf die Daten von Monitoring Consumption Switzerland, die mehr oder weniger in Echtzeit Kredit- und Debitkartenumsätze aufweisen, nicht aber Bargeldzahlungen und Überweisungen. Beispielsweise sieht man dort, wie zeitgleich mit den Lockdowns die Ausgaben für Lebensmittel zugenommen und jene für Restaurants, Hotels oder Verkehr abgenommen haben. Monitoring Consumption Switzerland ist ein Joint Venture der Universitäten St.Gallen und Lausanne und weiterer Partner wie Six.
Aufgrund der coronabedingten Einschränkungen haben Schweizerinnen und Schweizer unter dem Strich mehr gespart, im ersten Lockdown waren es rund 30 Prozent des Einkommens und damit das Doppelte. Dieser Überschuss wird laut dem Monitor Schweiz der Credit Suisse schon bald wieder den Konsum beflügeln. Millionenbeträge warten demnach darauf, ausgegeben zu werden. Auch hier hat Andrea Schmid-Fischer von der Budgetberatung eine Empfehlung parat: Käufe über Sofort-Zahlmittel wie Twint oder Debitkarten sind besser als Käufe auf Kredit – sie bilden den Kontostand direkt ab und ermöglichen einem eine bessere Übersicht. (gjo)