Zürich
Was andere wegwerfen, wird für Studenten zum Festmahl

Eine sechsköpfige Wohngemeinschaft findet ihr Essen im Abfall von Supermärkten.

Anina Gepp
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Was andere wegwerfen wird für Studenten zum Festmahl
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Überblick über eine nächtliche Ausbeute aus dem Container
In den Containern befindet sich viel Gemüse
Viele Produkte werden weggeschmissen, nachdem sie zum reduzierten Preis nicht verkauft werden konnten
Neben Frischprodukten finden sich auch immer wieder einmal Süssigkeiten
Die Studenten führen Buch über alle ergatterten Produkte
Kiloweise Spargeln
Aus mehreren Kilogramm Tomaten haben die Studenten Sauce für den ganzen Winter eingekocht
Eine Tonne voller Essen

Was andere wegwerfen wird für Studenten zum Festmahl

Anina Gepp

Das Szenario, noch kurz vor Ladenschluss in ein Geschäft zu stürzen und in Eile eine lange Einkaufsliste abzuarbeiten, bleibt Valentin M. und Lucas P. erspart. Erst nach Schliessung der Supermärkte verlassen die 21-Jährigen die Wohnung für ihre Lebensmittelbesorgung. Die Studenten kaufen ihr Essen nicht aus dem Regal, sondern finden es in Abfallcontainern von Geschäften.

Mit zwei grossen Säcken und einer Taschenlampe machen sie sich kurz vor 22 Uhr auf den Weg zum nächsten Supermarkt. Im Kühlschrank ihrer 6-köpfigen Wohngemeinschaft herrscht nach dem Wochenende gähnende Leere, alle freuen sich auf die nächste grosse Ausbeute.

Ganze Kisten Bier

Zu Beginn der Woche quillt der Abfallcontainer regelrecht über, sodass sich nicht einmal mehr der Deckel schliessen lässt. Den jungen Männern steht die Vorfreude ins Gesicht geschrieben. Während Lucas P. den ersten Sack aufhält, beginnt Valentin M. die Tonne zu durchforsten. Es muss schnell gehen, die beiden wollen keine Aufmerksamkeit erregen. Neben Tomaten und mehreren Kilo Bananen wandern weitere Früchte, Toast und Joghurts in die Tüte. «Es ist unglaublich, was alles weggeschmissen wird», sagt Valentin M. und schüttelt den Kopf. Mittlerweile gebe es fast nichts mehr, das sie noch nie gefunden hätten. Sogar ganze Kisten Bier würden in den Abfall wandern, weil eines davon im Laden kaputt gegangen ist. Ein Grossteil der Lebensmittel habe zudem noch nicht einmal das Ablaufdatum erreicht.

Das Fischen von Lebensmitteln ist in der Schweiz gesetzlich erlaubt, solange die Geschäfte ihre Container nicht abschliessen. «Die Polizei ist auch schon vorbeigekommen und hat gefragt, was wir hier denn machen», so Valentin M. «Doch sie konnten nichts dagegen unternehmen.» Dümmer sei es, wenn Anwohner Fotos knipsten und dem Lebensmittelgeschäft direkt zukommen lassen. Dann würden diese ihre Container meistens abschliessen.

Gesündere Ernährung

Die Studenten wollen mit ihrer Aktion ein Zeichen gegen die Lebensmittelverschwendung setzen. Gleichzeitig sehen sie in der Suche von Lebensmitteln im Abfall den finanziellen Nutzen. «Lediglich Milch, Brot und Butter müssen wir noch von unserem Geld bezahlen», so Valentin M. Zudem würden sie viel gesünder essen als zuvor, zumal hauptsächlich frische Produkte wie Gemüse oder Früchte weggeworfen würden.

Mit Kochen wechseln sich die Bewohner der Wohngemeinschaft ab. «Wer als erstes Hunger hat, begibt sich an den Herd», so Valentin M. Es sei spannend, in der Küche kreativ zu werden. Oftmals habe man die unterschiedlichsten Zutaten, die verwertet werden müssen, da sie kurz vor dem Ablaufdatum stehen oder dieses bereits überschritten haben. Besonders heikel dürfe da niemand sein. Bisher sei es aber noch nie vorgekommen, dass sich jemand eine Lebensmittelvergiftung einhandelte. «Mittlerweile essen wir auch abgelaufene Bratwürste», so Valentin M. Sowieso sei der Fund von Fleisch jeweils ein Highlight. Im Winter könne man dieses ohne Bedenken mitnehmen, da die Temperaturen genug tief seien. Letztes Jahr an Weihnachten durfte sich die Wohngemeinschaft sogar über einen saftigen Braten freuen und Fondue chinoise gab es gleich dreimal hintereinander.

Lebensmittel verschenken

Bei der grossen Auswahl an Lebensmitteln, die in den Containern jeweils warten, verliere man schnell die Vernunft. «Manchmal verfallen wir in einen Wahn und nehmen Dinge mit, die wir gar nicht brauchen», sagt Valentin M. So würden bis heute gegen 40 Flaschen Kindersekt im Kellerabteil gelagert. Manchmal nehmen die jungen Männer aber auch Lebensmittel mit, die sie dann weiterverschenken. «Wir haben vor kurzem eine ganze Kiste mit Bananen vor die Haustür gestellt. Die waren bald einmal weg.»

Derzeit ist die Wohngemeinschaft daran, kiloweise Tomaten einzukochen und Sauce für den ganzen Winter einzufrieren. Ans Aufhören will keiner der Studenten denken. Im Gegenteil: Immer mehr Freunde aus ihrem Umkreis sind begeistert von der Idee des «Containerns» und tun es der Wohngemeinschaft gleich. «Wir machen schliesslich nichts Verbotenes», so Valentin M. Und wenn sie einmal etwas wegschmeissen müssten, so plage sie immerhin nicht das schlechte Gewissen. «Was bei uns im Abfall landet, hat den Weg dorthin schon einmal gefunden.»