Schule
Unterricht wird nach dem Lockdown nicht normal weitergehen

Wie soll die Schule ab dem 11. Mai aussehen? Bildungsdirektorin Silvia Steiner erklärt zentrale Punkte, Lehrer stellen erste Forderungen.

Heinz Zürcher
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Wie der Schulalltag unter Einhaltung der Hygienerichtlinien erfolgen soll, ist noch unklar.

Wie der Schulalltag unter Einhaltung der Hygienerichtlinien erfolgen soll, ist noch unklar.

Limmattaler Zeitung

Ab dem 11. Mai sollen die Volksschulen wieder geöffnet werden, ab dem 8. Juni die Mittel-, Hoch- und Berufsschulen. Definitiv entscheiden und die Vorgaben bekanntgeben will der Bundesrat aber erst am 29. April. «Für die Kantone bedeutet das eine sehr kurze Vorbereitungszeit», sagt Silvia Steiner, Zürcher Bildungsdirektorin und Präsidentin der Schweizerischen Erziehungsdirektorenkonferenz.
Zentral seien bei der Umsetzung drei Punkte: «Erstens brauchen wir ein gutes Schutzkonzept für die Schulen. Dazu gehören neben Hygienemassnahmen vor allem auch der Schutz von vulnerablen Personen», sagt Steiner. Die Gesundheit der Lehrpersonen und der Schülerinnen und Schüler stehe für sie an erster Stelle.

«Zweitens müssen wir in den kommenden Tagen mit den Verbänden des Schulfeldes und den Gemeinden mehrere Vorschläge unterbreiten und mit ihnen diskutieren, was pädagogisch sinnvoll und umsetzbar ist.» Und drittens seien Rahmenbedingungen zu schaffen, unter denen man den Unterricht über mehrere Wochen gut in der Praxis umsetzen könne.

«Die Kinder werden Zeit ­brauchen, um sich einzuleben»

Mitreden will dabei auch der Zürcher Lehrerinnen- und Lehrerverband (ZLV). Dieser ist zwar froh, dass
der Bundesrat ein Datum genannt hat. Man dürfe aber nicht erwarten, dass der Schulbetrieb am 11. Mai
normal weitergehen werde, sagt ZLV-Präsident Christian Hugi. «Die Distanz- und Hygieneregeln werden einen grossen Einfluss auf die Arbeitsweise in der Klasse haben. Die Kinder werden auch Zeit brauchen, um sich wieder in die Klassengemeinschaft einzuleben.»

«Die Distanzregel etwa im Kindergarten durch­zuziehen, scheint mir enorm schwierig bis unmöglich.»

(Quelle: Christian Hugi, Zürcher Lehrerverband )

Dafür brauche es zusätzliche Ressourcen. Auch um die Chancengerechtigkeit zu wahren. Und zwar bereits nach den Frühlingsferien. Denn die Probleme der Kinder, die während des Fernunterrichts durch die Maschen fallen, werden sich laut Hugi verstärken. Zwar laufe es vielerorts recht gut, aber nicht alle Schülerinnen und Schüler hätten zu Hause ein gutes Lernumfeld, nicht alle ihr eigenes Zimmer, ein eigenes Notebook und Eltern, die ihnen jederzeit helfen und Deutsch sprechen. «Ist die Situation in der Familie dann noch aus emotionalen oder finanziellen Gründen belastet, wird das Lernen erst recht schwierig.»

Andere Kinder und Familien hätten wiederum vom Fernunterricht pro­fitiert und sich richtig ins Zeug ge-
legt. «Manche Eltern mussten wir ­sogar eher etwas bremsen», sagt Hugi. Wie gross die Lücken sind, die im Fernunterricht entstehen, würden die ­Lehrpersonen wohl erst abschätzen können, wenn sie die Kinder wieder zwei bis drei Wochen im Präsenzmodus unterrichten.

«Wir kommunizieren wie durch einen Tunnel»

Für Lernbeziehungen und Lernerfolg sei der direkte Kontakt mit den Schülerinnen und Schülern enorm wichtig. «Im Moment kommunizieren wir mit ihnen wie durch einen Tunnel, die Wahrnehmung ist reduziert, die feinen Signale fehlen.»
Mit Problemfällen hätten die Schulen bereits in den letzten Wochen den Austausch intensiviert und teilweise hätten sie auch Ratschläge in Erziehungsfragen erteilt. Doch die Klas­senlehrpersonen und Schulsozialarbeitenden benötigten dringend Unter­stützung. Erschwerend komme hinzu, dass die Lehrpersonen den Präsenzunterricht vorbereiten müssen, während sie weiterhin Fernunterricht er-
teilen.

Was ist mit Kindern, die zum Beispiel Diabetes haben?

Der ZLV schlägt zur Entlastung den Einsatz von Vikaren vor. Diese könnten auch einspringen für Lehrpersonen, die zur Risikogruppe gehören. Eine Lösung braucht es gemäss Hugi auch für Kinder, die gefährdet sind, weil sie beispielsweise Diabetiker sind. Sollen sie in Einzelzimmern unterrichtet werden? Müssen vulnerable Kinder und Lehrpersonen eine Schutzmaske tragen? Und wie soll die Distanz ein-
gehalten werden bei den aktuell hohen Schülerzahlen und räumlichen Engpässen?

Hier ist man sich einig: Es soll keine Noten geben

«Die Distanzregel etwa im Kindergarten durchzuziehen, scheint mir enorm schwierig bis unmöglich», sagt Hugi. Wichtig sei in diesem Zusammenhang auch Klarheit darüber, wie Kinder
das Virus übertragen. Mit dem Volksschulamt und Fachleuten aus Bildung und Medizin werde man in den nächsten Tagen und Wochen versuchen, möglichst viele Fragen zu beantworten.

Einig zu sein scheint man sich bereits, dass es vor den Sommerferien keine Noten geben wird. ZLV-Präsident Christian Hugi sagt: «Für uns ist klar, dass wir keine formellen Notenzeugnisse ausstellen können.» Der Verband fordert eine Lösung, in der in den Zeugnissen auf die Corona-Pandemie hingewiesen wird.

Lehrbetriebe sollen sich bei Lehrern informieren

«Für Schülerinnen und Schüler, die auf Lehrstellensuche sind, wären Lern­berichte möglich. Zusätzlich sollen Lehrbetriebe bei den Lehrper­sonen Referenzauskünfte einholen.» Beide Instrumente gibt es bereits. Hugi hofft zudem, dass Lehrverträge auch noch im Herbst ausgestellt werden können und Jugendliche, die erst auf September oder Oktober eine Stelle haben, trotzdem ohne Nachteile in die Ausbildung starten können.