Traumschiff für Süsswassermatrosen

Die «Star Clipper» ist oben ein Segel- und unten ein Motorschiff. Und deshalb bestens geschaffen für einen Turn von Landratten über das Andamanische Meer.

David Sieber
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Pittoreske Natur: Fahrt der «Star Clipper» durch die Gewässer zwischen den thailändischen Ao Phang Nga Islands.

Pittoreske Natur: Fahrt der «Star Clipper» durch die Gewässer zwischen den thailändischen Ao Phang Nga Islands.

Schweiz am Wochenende

Am Anfang war dieses Bild. Ein Schiffskörper von zeitloser Eleganz. Vier Masten unter vollen Segeln. Eine gleissend weisse Schönheit auf azurblauem Meer. Ein Bild wie aus einem Werbeprospekt, was es auch war. Ein Bild, das Träume und Sehnsüchte weckt, Freiheit und Abenteuer verspricht. Mit Vollpension. Das Bild zierte eine redaktionsinterne E-Mail, in der die neuesten Pressereisen ausgeschrieben wurden. Diese besondere Reise, zu der Thailand Tourismus, Thai Airways und Star Clippers, die Besitzerin des Traumschiffs, eingeladen hatten, war so verlockend, dass der Schreibende sofort seine Vorbehalte gegen diese Art von Journalismus vergass.
Nun denn, die Reise beginnt. Ziemlich komfortabel, denn die thailändische Fluggesellschaft lässt sich nicht lumpen und steckt das kleine Trüppchen Schweizer Journalisten in die Business Class nach Bangkok, von wo es direkt weiter nach Phuket geht. Am Horizont ist es schon zu sehen, das Objekt der Begierde. Doch zuerst heisst es einschiffen. An Land. Allerlei Unterlagen erhält man da und vor allem viele Formulare, die man zu unterschreiben hat. Es geht um Haftungsfragen. Damit die Passagiere den Gefahren sehenden Auges begegnen.
Dann ist es endlich so weit. Das Tenderboot wartet am Quai. Es sollte einer der einzigen Transfers sein, bei dem die Füsse trocken bleiben. Die «Star Clipper», so heisst das 115 Meter lange Schiff, das 170 Passagieren und 75 Besatzungsmitgliedern Platz bietet, kommt rasch näher. Die See ist bewegt. Wir auch. Denn sie sieht tatsächlich aus wie auf dem Promobild. Nur eindrücklicher. Schöner. Eleganter. Dieser Schnitt! Diese Masten! All die Seile! Das Messing! Die Täferung! Und die Bar erst! Man könnte von maritimem Kitsch sprechen. Vor allem bei der Inneneinrichtung. Oder sich einfach von der Woge romantischer Gefühle mittragen lassen, die auch in der grosszügigen Kabine (zur Einzelbenützung!) anhält.
An Bord kümmert sich Peter Kissner um die Passagiere. Ein grosser Mann mit langem blondiertem Haar, dessen Englisch ihn als Bayer verrät. Er gibt das jeweilige Tagesprogramm durch, hält Vorträge über die Schifffahrt sowie Land und Leute und sagt einmal: Zur See fahren, das ist moderne Sklaverei. Denn alle an Bord hätten, wie das in der Branche üblich ist, Zeitverträge. Damit sparen sich die Arbeitgeber die Sozialbeiträge. Und die Angestellten, vom Kapitän bis zum Raumpfleger, wissen nie, ob, wann und wo sie einen neuen Job ergattern würden.
Der grösste Teil der Mannschaft (Frauen gibts nur wenige) sei der Besitzerin Star Clippers, die neben einem Schwesterschiff zur «Star Clipper» noch einen grösseren Segler ihr eigen nennt (und einen noch grösseren gerade bauen lässt), aber seit Jahren treu. Das beruhigt das Gewissen. Nicht aber, was Peter über die nachts hellbeleuchteten Fangflotten zu erzählen weiss. Dort gibt es Menschen, die quasi als Leibeigene gehalten und abscheulich behandelt werden. Und das, um Fische zu fangen, die weitgehend zu Futter für Hund und Katz verarbeitet werden.
Gehobene Hotelküche
Dieser moralische Tiefschlag hallt nach. Doch nach einer Weile an der Bar, dem Epizentrum des gesellschaftlichen Lebens an Bord, geht wieder alles seinen geregelten Gang, der sich erstaunlich schnell einstellt. Bereits am zweiten Tag an Bord ist klar, wer beim Essen (das übrigens als gehobene Hotelküche bezeichnet werden darf) wo sitzt, wer wann was zum Apéro bestellt. Überhaupt die Passagiere. Die meisten sind geschätzte 45 plus. Gegen oben setzt eigentlich nur die körperliche Fitness Grenzen. Denn Lifte gibt es nicht, und das Umsteigen vom Schiff aufs Tenderboot und von dort allenfalls aufs Dingi ist nicht ganz ohne. Nach unten dürfte der Preis eine Rolle spielen und vielleicht auch Charlie, der ungarische Alleinunterhalter, dessen Songrepertoire irgendwann in den Siebzigerjahren endet.
Tüftelnder Kapitän
Die Passagiere liessen sich in drei Gruppen aufteilen, sagt Direktor Peter Kissner. Segler, deren Frauen mit diesem Hobby nicht viel anfangen können, weshalb die «Star Clipper» der Kompromiss ist. Vielreisende, die auf vielen Kreuzfahrtschiffen waren und mal etwas anderes erleben wollen. Sowie jene, die sparen, um etwas Einmaliges erleben zu können. Sie kommen aus England, Deutschland, Frankreich, der Schweiz und Australien. Ein US-Amerikaner ist auch dabei. Er erklärt jedem, der es nicht wissen will, dass die Wahl Trumps gut für sein Land und die Welt sei.
Aber da ist ja noch Kapitän Sergey Tunikov. Ein Russe. Schlank, stolz, ganz offensichtlich gut trainiert. Graumeliert, entsprechend der Schnauz. Zwei Doktortitel hat er im Sack. Am Überschallsegeln, was theoretisch möglich sein soll, tüftelt er, wenn er nicht gerade einen Viermaster zu befehligen hat. Für ihn, der in jungen Jahren vom Kriegs- bis zum Industrieschiff alles kennen gelernt hat, ein Traumjob. Es braucht schon ausserordentliche Fähigkeiten, den Wind in die Segel zu zwingen, um die jeweiligen Tagesziele rechtzeitig zu erreichen. Auch wenn es die Romantik nun etwas trüben sollte: Dabei hilft ihm ein Motor. Die Segel sind zwar viel mehr als Show oder Dekoration, aber ohne dieselbetriebene Pferdestärken geht es eben auch nicht. Eigentlich bestehe die «Star Clipper» aus zwei Schiffen, sagt Tunikov. Oben ein Segler, unten ein Motorschiff. Und es ist auch nicht so, dass eine Heerschar Matrosen die Masten rauf- und runterklettern muss. Die Segel lassen sich vollautomatisch hissen und einziehen.
Gesegelt (oder eben gefahren) wird meist über Nacht, sodass man morgens zwischen 10 und 12 Uhr vor einer jener Inselgruppen ankern kann, die zahlreich sind im Andamanischen Meer. Similan Islands, Ko Rok Nok und Ko Kradan stehen heute alle unter Naturschutz. Das ist super. Für die Natur. Weniger für die Besucher, die sich mit unzähligen vorwiegend chinesischen Touristen, die per Speedboat vom Festland hergerast werden, einen relativ schmalen Strandabschnitt teilen müssen. Im Schnorchelparadies ist man nie allein. Da empfiehlt sich, dort, wo möglich, eine Wanderung ins Hinterland. Nur wenige Meter rein in den Dschungel und vorbei an ausgehärteten Zementsäcken, leer getrunkenen PET-Flaschen und rostenden Ölfässern, schon fühlt man sich als Entdecker, der neue, unbekannte Welten erforscht. Nicht mehr miterlebt haben wir den Besuch von Khao Phing Kan, auch als James-Bond-Island bekannt. Hier war der «Mann mit dem goldenen Colt» daheim, der im Showdown dem britischen Superspion natürlich unterlag. Bond-Darsteller Sir Roger Moore war übrigens vor einigen Jahren Gast auf der «Star Clipper» – und bitter enttäuscht, dass ihn niemand erkannte, als er die Insel besuchte.
Abenteuerliches Umsteigen
Aber eigentlich ist der Sinn einer Segelkreuzfahrt die Segelkreuzfahrt. Die Landgänge sind hauptsächlich wegen der abenteuerlichen Umsteigemanöver interessant. Das Hissen der Segel, dazu aus den Lautsprechern «Conquest of Paradise» der Bombastkitsch-Gruppe Vangelis, nachts unter vollen Segeln die Sterne betrachten und sich vom (mehr oder weniger) sanften Wellengang in den Schlaf wiegen lassen.
Für eine Woche ist das wunderbar. Und man ist erholt und gestärkt für eine Reise ins Landesinnere. In unserem Fall ging es nach Bangkok, diesem Moloch von einer Grossstadt. Es ist laut und wuselig, der Smog sorgt für ein Kratzen im Hals, die Menschen aber sind freundlich und die Garküchen für jeden interessierten Esser ein Muss.
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