Ein Bundesgerichtsurteil hat grössere Auswirkungen auf die Bewilligung von Mobilfunkantennen, als sich viele Gemeinden dachten. Wird eine Antenne gut genug verkleidet, ist die Bewilligung so gut wie sicher.
Aus der Antennenfrage, sagt der Gemeindepräsident von Täuffelen im Berner Seeland, wolle er zwar keine grosse Sache machen. Doch als Erster im Kanton Bern merkt der 2600-Einwohner-Ort nun, dass ein Bundesgerichtsurteil von letztem Jahr die Errichtung von Handyantennen merklich vereinfacht. Verkleidet ein Handyanbieter zukünftig seine Antenne in einem ausreichenden Mass, sinken die Rekurschancen von Anwohnern gegen null.
Noch an der Gemeindeversammlung im Juni stimmte eine Mehrheit der Täuffeler einem neuen Passus in der Bauordnung zu. Dieser hätte den Bau von Handyantennen in Wohnzonen erschwert. Weit kam die Gemeinde mit der neuen Regelung nicht. Das Amt für Gemeinden und Raumordnung des Kantons Bern kassierte die Vorschriften umgehend. Es wies die Gemeinde an, die Einschränkungen auf «optisch als solche wahrnehmbare Antennen» zu beschränken. Für Antennen, die visuell nicht wahrnehmbar sind, dürfen über die sowieso schon im Bundesgesetz geregelten Immissionsgrenzwerte hinaus keine Einschränkungen erlassen werden. Ausnahme bilden Erwägungen im Zusammenhang mit dem Ortsbild- oder Denkmalschutz.
Das Amt stützt sich auf einen Bundesgerichtsentscheid von letztem Jahr. Provoziert hatte diesen die Gemeinde Hinwil. Die antennenkritische Heimatgemeinde von Bundespräsident Ueli Maurer wollte Handyantennen in die Gewerbezone verbannen. In Wohnzonen sollten diese nur noch erstellt werden dürfen, wenn es funktechnisch gar nicht anders geht und die Antenne der Erschliessung der eigenen Einwohner dient. Dieses Modell wurde unter dem Namen Kaskadenmodell bekannt.
Die rigorose Hinwiler Form wollten die Netzbetreiber Swisscom und Sunrise aber nicht hinnehmen. Sie zogen vor das Bundesgericht – und gewannen in einem entscheidenden Punkt. Weil eine gesundheitliche Gefährdung durch Handystrahlung wissenschaftlich nicht bewiesen ist und die Grenzwerte für nicht ionisierende Strahlung im Bundesgesetz abschliessend geregelt sind, dürfen Gemeinden in ihren Baureglementen nur Einschränkungen für ideelle Immissionen festlegen. «Diese knüpfen nicht an die Strahlungsintensität, sondern in erster Linie an den für die Anwohner wahrnehmbaren Antennenstandort an, der negative Empfindungen hervorrufen kann», schrieben die Bundesrichter – und machten damit klar, dass auch das Kaskadenmodell nur zulässig ist, wenn es sich auf sichtbare Antennen beschränkt «Es macht psychologisch einen Unterschied, ob die Mobilfunkanlage den Bewohnern unmittelbar vor Augen steht oder nicht», hiess es im Urteil.
Die neue Regelung bekommen nun jene Gemeinden zu spüren, die mit dem Kaskadenmodell weniger Antennen in Wohnquartieren zulassen wollen. Der Kanton Bern ist dabei keine Ausnahme: Einschränkungen für visuell nicht wahrnehmbare Antennen darf keine Gemeinde des Landes mehr erlassen.
«Wir orientieren uns am Bundesgerichtsurteil», sagt Herbert Limacher vom Zürcher Amt für Abfall, Wasser, Energie und Luft. Er gehe davon aus, dass das Urteil vom letzten Jahr auch im Kanton Zürich zu einem Anstieg von verkleideten Mobilfunkantennen führe. «Es ist durchaus davon auszugehen, dass solche getarnten Antennen vermehrt installiert werden», sagt auch Natalie Kamber vom Luzerner Amt für Umwelt und Energie. «Immissionsschutz über die gesetzlichen Grenzwerte hinaus darf kein Grund für die Ablehnung einer Antenne sein», sagt auch Axel Hettich, Abteilungsleiter des Lufthygieneamts beider Basel. «Der Kanton würde Einschränkungen für optisch nicht wahrnehmbare Antennen nicht gutheissen.» Noch sei aber kein derartiger Fall bekannt.
Die neue Gangart bringt Antennengegner auf die Palme. Von «Exzessen mit versteckten Antennen» spricht etwa die Interessensgemeinschaft Elektrosmog-Betroffener. Auf ihrer Homepage zeigt sie die Foto einer neuen Antenne in einem Berner Wohnquartier, die als Kamin verkleidet wurde. Dem Amt für Gemeinden und Raumordnung unterstellt die IG betrügerische Methoden: «Alle gegenwärtigen und vor allem künftigen Nachbarn werden arglistig getäuscht», schreiben die Antennengegner.
Nichts von einem Trend hin zu verkleideten Antennen wollen dabei jene wissen, die sie bauen. Swisscom, Orange und Sunrise verneinen eine Zunahme an getarnten Antennen. Zahlen gibt es allerdings keine: Von «vielleicht einer Handvoll» von Antennen spricht Swisscom-Sprecher Olaf Schulze, während Tobias Kistner von Sunrise «keine quantitative Aussage» machen kann. «Zur Anzahl versteckter Antennen, die bereits errichtet sind, und zu den Plänen für weitere, führen wir keine Statistik», sagt er.
Den Königsweg für neue Antennen haben die Betreiber mit der neuen Gangart auch nicht gefunden. Eine Antenne zu verkleiden, ist kompliziert. «Eine Verkleidung darf sich nicht als undefiniertes Objekt in einem Gesamterscheinungsbild exponieren», sagt Ivo Haueter vom Aargauer Departement für Umwelt, Bau und Verkehr. «Eine wirkungsvolle Kaschierung ist selten möglich.» Dennoch: Auch im Aargau spüren die Gemeinden die neue Gangart. Die Gemeinde Hirschthal etwa ereilte dasselbe Schicksal wie Täuffelen: Sie musste ihr Baureglement nachträglich wieder ändern.
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