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Röbi Uhlmann (61) ist seit einem Vierteljahrhundert Hauswart im Grossratsgebäude. Wenn heute dort die Budgetdebatte beginnt, nimmt er das gelassen: «Die sagen mir, was sie wollen, und ich sage, was ich will.»
Es gibt ja diese Figuren, die sind immer da, und doch unsichtbar. Der König dieser Kunst ist der Hauswart. Nur, wenn er seine Arbeit nicht gemacht hat, wird jemand auf ihn aufmerksam. Er hat den vielleicht schweizerischsten Beruf überhaupt: «Wenn me nüt seit, isch guet.»
Robert Uhlmann, 61, genannt Röbi, sagt: «Es gibt hier 140 Ratsmitglieder, die alle aufs Foto wollen. Ich muss nicht unbedingt.» An diesem Novembernachmittag macht er für die AZ eine Ausnahme. Seit 27 Jahren hat er eine staatstragende Funktion: Kanton Aargau, Parlamentsdienst, Chef Hausdienst.
Er ist hauptsächlich für das Grossratsgebäude zuständig, hilft aber auch im Regierungsgebäude. Als er seine Stelle im Oktober 1990 antrat, gab es hier keinen einzigen Computer, im Pressezimmer standen Schreibmaschinen und Telex, in den Sitzungszimmern der Fraktionen wurde geraucht: «Da hat man kaum zu den Fenstern hinaus gesehen.» Seither habe sich «das Konsumverhalten verändert: Heute wollen sie den Kaffee lieber im Becherli. Und Zeit für eine richtige Pause hat eh fast niemand mehr.» Als der Grosse Rat noch 200 Mitglieder zählte, habe man auch mal fehlen dürfen. Heute zähle jede Stimme, bei fast jeder Abstimmung. Und das Pressezimmer wurde beim grossen Umbau 2005 eliminiert. Zugunsten eines Ausbaus der Frauentoilette.
Röbi Uhlmann steht im Grossratssaal, fährt mit seiner rechten Hand über die unterste Pultreihe, sagt: «Ich fühle mech scho e chli dehei i däm Huus.» Jetzt klingelt sein Telefon. «Uhlmann? – Grüezi Frau Misteli.» 35 Personen, das sei kein Problem. Sie könne ihm ja noch eine Mail machen wegen des Ablaufs, etwa eine Woche vor der Veranstaltung. «Denn lueg ich, das alles parat esch.»
Die Grossrätinnen und Grossräte sind nur ein kleiner Teil seiner Gäste. Oft finden Apéros oder Besprechungen der Kantonsverwaltung in den Fraktionszimmern statt. Im Ratssaal tagen auch Aaraus Einwohnerräte oder die Mitglieder der römisch-katholischen und der reformierten Synode. Zweimal im Jahr, im Frühling und im Herbst, finden die Anwaltsprüfungen im Saal statt, bis zu 50 Kandidatinnen und Kandidaten je Durchgang. Dann wird hier alles verkabelt, mit Laptops und Netzwerkgeräten, Drucker und eigenen Servern im Keller.
Dass er einmal für Parlament und Regierung arbeiten würde, hätte der gelernte Möbelschreiner nicht gedacht. Weil sein Körper mit den Spritzprodukten und dem Holzstaub nicht gut auskam, hatte er das Metier gewechselt. Beim Putzmaschinenhersteller Taski besuchte er einen Reinigungskurs. «Da hab ich gelernt, wie man Böden behandelt. Und dann habe ich begonnen. Ganz einfach.» Den Rest lernte er «on the job». Seine Schreinerfähigkeiten brauche er heute kaum noch – «aber ich war auch schon froh drum».
Er versuche einfach, alle Wünsche der Fraktionen zu berücksichtigen. Es sei halt nicht immer alles möglich – doch im Grunde sei es einfach: «Die sagen mir, was sie wollen, und ich sage, was ich will.» An einem Tag wie heute kommt Uhlmann auch «öppen emol is Gspröch». Zum Politischen sage er aber nicht viel. «Ich bekomme ja nur Bruchstücke mit. Sonst ist man natürlich am Arbeiten.» Wenn er etwas genauer wissen wolle, lese er am nächsten Tag die AZ. Interessieren tue ihn nämlich sehr, was ihm Rat gehe. Sein Vater sei in Balzenwil bei Murgenthal Ortsparteipräsident der SVP-Vorgängerpartei BGB gewesen. Er selber stehe «relativ nah an der SVP». Es passiere ab und zu, dass ein Grossrat zu ihm komme und seine Meinung hören wolle. Da halte er sich aber raus. «Dann schmunzle ich und sage: Ihr müsst ja nicht sehen, was ich zu Hause auf den Stimmzettel schreibe.»
Wir verlassen den Ratsaal, steigen die Treppe in die obere Etage hinauf. In einem Office steht Kaffeegeschirr bereit. Das Telefon klingelt. «Hoi Franco. Jo, be am Schaffe, was dänksch du denn!» Das sei die Abteilung Immobilien Aargau gewesen. «Die studieret au scho am Budget ume.» Wenn heute Dienstag im Grossen Rat die Budgetdebatte beginnt, steht einer wie Röbi Uhlmann nicht unter Strom. Doch es wird ein emotionaler Moment für ihn sein. Denn erstmals wird nicht mehr der kurz nach seiner Pensionierung verstorbene Alt-Finanzdirektor Roland Brogli vorne sitzen. Uhlmann stand im nahe. «Das hatte der Roli nicht verdient», sagt er und blickt kurz in die Leere.
Wenn die Ratssitzung um 10 Uhr eingeläutet wird, ist Uhlmann schon seit vier Stunden auf den Beinen. Sein Arbeitsweg aus der Dienstwohnung am Kunsthausweg: etwa 100 Meter. Frau Esther hilft mit. Sie richtet im Ratskeller das «Grossratscafé» ein, das sie auf eigene Rechnung führt. Mit Gipfeli, Nussgipfel, Sandwiches. Um 7 Uhr treffen die Fraktionen ein, vorher müssen die Sitzungszimmer vorbereitet werden. Für Uhlmann heisst das zuerst: die Aargauer Fahne hinaus hängen. Und dann: Kaffee brauen. Viel Kaffee. Abfüllen in Thermoskrüge. Putzen muss er selten etwas um diese Zeit. Das wurde längst extern vergeben, Vebego AG, «Facility Service nach Mass». Uhlmanns Aufgabe ist es, alles zu koordinieren. Aber natürlich sei es schon so, dass er noch schnell schaue, «ob alls i der Ornig esch».
Röbi Uhlmann wird heute wieder für alle da sein, und doch unsichtbar.