Lindt-Vertreter nimmt nicht mehr an Vorstandssitzungen des Verbands Chocosuisse teil. Das Zerwürfnis kommt zum schlechtestmöglichen Zeitpunkt.
Eine Lindor-Kugel enthält 74 Kalorien, wiegt 12 Gramm und ist eine nationale Schoggi-Berühmtheit. Die Adoro-Kugel sieht gleich aus, schmeckt ähnlich und ist der Grund für ein heftiges Zerwürfnis in der Schokoladen-Branche. Sie wird von der Migros-Tochter Chocolat Frey produziert. Die Original-Lindor-Kugel von Lindt & Sprüngli.
Wie die «Schweiz am Sonntag» aus Insider-Kreisen erfahren hat, hängt der Haussegen im Verband der schweizerischen Schokoladenproduzenten wegen der Lindor-Kopie schief. Der Vertreter der Original-Produzentin, Lindt-Schweiz-Chef Kamillo Kitzmantel, nimmt an den Verwaltungsratssitzungen des Verbands nicht mehr teil. Offiziell heisst es bei Lindt, dass Kitzmantel «aus zeitlichen Gründen bei ein paar Verwaltungsratssitzungen gefehlt» habe.
Inoffiziell wird in der Branche ein anderer Grund genannt: Kitzmantel boykottiert die Sitzungen, weil das Kilchberger Unternehmen beziehungsweise dessen langjähriger Lenker Ernst Tanner reichlich angesäuert ist wegen der Migros-Tochter und deshalb im Verband ein Exempel statuieren will. Die angeschossene Chocolat Frey schweigt zur delikaten Angelegenheit. Chef Hans-Ruedi Christen, der ebenfalls im Vorstand von Chocosuisse sitzt, will auf Fragen der «Schweiz am Sonntag» «derzeit keine Stellung nehmen», wie seine Assistentin Pascale Buschacher ausrichten lässt.
Tief sitzende Ressentiments
Der Verband geht auf Tauchstation und will sich zu «verbandsinternen Angelegenheiten wie die Teilnahme oder Nichtteilnahme an Sitzungen nicht äussern», wie Direktor Urs Furrer sagt. Sehr diplomatisch äussert sich Vizepräsident Daniel Bloch in einer E-Mail-Antwort: «Auf diese Thematik kann ich leider nicht eintreten. Weder sollte sich meines Erachtens Chocosuisse zu solchen Interna äussern, noch wäre es meine Rolle, im Namen von Chocosuisse dazu Stellung zu nehmen.» Bloch ist der Chef des bernjurassischen Traditionsunternehmens Camille Bloch, das unter anderem Ragusa produziert.
Gegen aussen ist der Verband bemüht, grossmögliche Harmonie zu demonstrieren. Auch Lindt versucht, die Wogen zu glätten. Sprecherin Nathalie Zagoda betont, dass das Unternehmen nach wie vor hinter den Zielen und der Arbeit des Verbandes stehe. «Unser Vertreter ist bereits seit über 20 Jahren aktives Verbandsmitglied.» Doch unter der glänzenden Couverture treten tief sitzende Ressentiments und Bitternis hervor. Zur Kugel-Affäre sagt die Lindt-Sprecherin: «Es ist natürlich unschön, wenn ein Produkt, in das wir seit über 60 Jahren viel Ressourcen und Leidenschaft gesteckt haben, einfach so kopiert wird.»
Die Rechtsabteilung des Schoggi-Multis hat sich inzwischen der Sache angenommen. Ganz eskalieren lassen will man den Fall offenbar noch nicht und setzt weiterhin auf Diplomatie: «Wir versuchen, die Angelegenheit im direkten Gespräch mit Chocolat Frey einvernehmlich zu lösen», sagt Zagoda.
Der Streit im Verband kommt zum schlechtestmöglichen Zeitpunkt. Denn die Schweizer Schoggiproduzenten plagen ganz andere Sorgen. Der Pro-Kopf-Schokoladekonsum in der Schweiz ist rückläufig, doch das eigentliche Problem ist, dass die Bevölkerung hierzulande immer weniger in der Schweiz produzierte Schokolade isst. Die Inlandverkäufe der hiesigen Herstellerfirmen brachen gegenüber dem Vorjahr um 5,9 Prozent ein. Der starke Franken führte zu einer Verbilligung der Importe, was den Anteil der Importschokolade am Inlandkonsum ansteigen liess (von 37,2 auf 38,7 Prozent). Fairerweise muss man sagen: Nicht nur ausländische Konzerne wie Mars oder Ferrero verkaufen immer mehr Schokoladenprodukte in der Schweiz, es sind auch Schweizer Hersteller, die vermehrt im Ausland produzieren und die Waren in die Schweiz einführen. So stammt etwa der berühmte Goldhase von Lindt aus Deutschland.
Sorgen mit Milch-Grundstoffen
Das führt dazu, dass die Schweizer Produzenten wegen des rückläufigen Inlandkonsums immer mehr exportieren müssen. Das klappte in den vergangenen Jahren gut. Doch in Zukunft könnte das schwieriger werden. Sorgen bereiten der Branche nicht nur die steigenden Lohnkosten, sondern auch die exorbitant hohen Preise für Milch-Grundstoffe, die sie von den Schweizer Bauern beziehen muss. Bisher glich das sogenannte Schoggigesetz diesen Kostennachteil aus. Doch nicht mehr lange. Die WTO wird der Sonderregelung den Garaus machen. Wirtschaftsminister Johann Schneider-Ammann wälzt zwar Pläne für eine Ersatzlösung. Doch entschieden ist bisher nichts.
Eine Beilegung der Kugel-Affäre würde derzeit sicher nicht schaden, sind sich Insider einig. Wenigstens in einem Streit, den ironischerweise Lindt anzettelte, kam es inzwischen zu einer Lösung. Sie lancierte eine neue Schokolade mit dem Namen «Blond». Dies ärgerte Konkurrentin Camille Bloch, die ein Produkt mit dem gleichen Namen herstellt. «Hier stand nicht das Produkt im Vordergrund, sondern die Wortmarke ‹Blond›. Die Sache konnte mit Camille Bloch rasch geregelt werden», sagt Sprecherin Zagoda von Lindt. Camille-Bloch-Chef Daniel Bloch zieht auch in dem Fall die wortkarge Diplomatie vor. Er schreibt: «Auch zu ‹Blond› möchte ich hier keine Stellung nehmen.»
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