Rocker hinter Gittern

Legendäre Auftritte im Schällemätteli dienen als Vorbild für das Revival von Gefängniskonzerten

Andreas Maurer
Drucken
Schällemätteli, 1994: Der Auftritt der Band Osibisa freute nicht nur die Gefangenen, sondern auch das Personal. Foto: ZVG/Baloise Session

Schällemätteli, 1994: Der Auftritt der Band Osibisa freute nicht nur die Gefangenen, sondern auch das Personal. Foto: ZVG/Baloise Session

Schweiz am Wochenende

Kurt Freiermuth, der pensionierte Direktor der ehemaligen Basler Strafanstalt Schällemätteli, unternahm viele Versuche, um Abwechslung in den Alltag der Gefangenen zu bringen. Erfolglos probierte er, sie mit Schulunterricht anzusprechen. Erst mit Konzerten glückte es ihm. Mit Musik könne man auch in einer multikulturellen Gesellschaft alle Leute erreichen, stellte er fest. 1989 begann er, drei bis vier Konzerte pro Jahr zu organisieren. Der Kanton sprach dafür jährlich 5000 Franken. Hinzu kamen Sponsoren. In den 90er-Jahren veranstaltete die Rheinknie Session, die heute Baloise Session heisst, die Konzertreihe.
Freiermuth erinnert sich vor allem an das «tolle Spektakel», das der Schweizer Countrysänger John Brack im Schällemätteli geboten habe. Der Auftritt sei besonders eindrücklich gewesen, weil er vom Basler Harley-Davidson-Club begleitet worden sei, der mit zwanzig Maschinen in der Strafanstalt auffuhr. Freiermuth erzählt: «Die Stimmung war wie bei den legendären Gefängniskonzerten von Johnny Cash.» Dieser schaffte den internationalen Durchbruch, nachdem er in den Staatsgefängnissen Folsom (1968) und San Quentin (1969) gespielt hatte.
Das Schällemätteli nahm die Idee auch wegen des PR-Effekts auf. 1993 sagte der stellvertretende Gefängnisleiter Jörg Oberli in der «Basellandschaftlichen Zeitung»: «Wir machen es für die Insassen, aber auch für die Institution, damit man sieht, dass wir uns nicht abschotten.» Er äusserte diesen Satz am Tag, als die Hardrock-Band Churchill vor 85 Männern in der Kapelle des Schällemätteli auftrat. Klassik interessiere die Insassen kaum, gab Oberli zu Protokoll.
Freiermuth sagt, dass die Basler Gefängniskonzerte nie Probleme verursacht hätten. «Andere Anstalten hatten Angst wegen der Sicherheit. Wir waren da schon mutig», sagt er. Intern seien die Konzerte wegen der Kosten hinterfragt worden. Da viele Entertainer jedoch keine übliche Gage verlangt hätten, sei die Strafanstalt mit einem kleinen Budget durchgekommen. Die Bühne wurde von Insassen aufgebaut, die in der Gefängnis-Schreinerei arbeiteten.
Als das Schällemätteli 2004 abgerissen wurde, endete die Basler Tradition. Nun soll sie im Oktober wiederbelebt werden. Die Baloise Session organisiert in der interkantonalen Strafanstalt Bostadel von Basel-Stadt und Zug ein Konzert der Blackberry Brandies, das vom Basler Swisslosfonds finanziert wird.
Der Titel des aktuellen Albums der Basler Rockgruppe passt zum Rahmen: «From Sinners To Saints». Sängerin Bettina Schelker sagt: «Die einzige Botschaft, die ich persönlich bei so einem speziellen Auftritt vermitteln möchte, ist, dass wir für diese 45 bis 60 Minuten die Musik sprechen lassen und dass es in diesem kurzen Zeitfenster keine Rolle spielt, wer wir sind, woher wir kommen, für was wir büssen und was wir getan haben.»
Schelker war noch nie in einem Gefängnis, hat aber eine familiäre Verbindung: Ihr Grossvater war einst Direktor des Schällemätteli. Dass es als Sängerin in einem Gefängnis unangenehm werden kann, erfuhr Sarah Cooper von der Basler Band Taïno 1996. Die Männergesellschaft hatte wohl länger keine Frau mehr zu Gesicht gekriegt, sagt Schlagzeuger Marc Krebs. Die Stimmung sei aufgeheizt gewesen: «Die Gefangenen schlugen den Takt gegen die Gitterstäbe. Einige riefen: ‹ausziehen!›» Ein Konzert hinter Gittern habe aber auch Vorteile, wie er scherzt: «Es war das treuste Publikum unserer Karriere. Niemand ist vorzeitig gegangen.»
In der Zeit vor den Konzerten sorgte Radio Basilisk im Schällemätteli für Unterhaltung. In den 80er-Jahren moderierte Peter Küng eine Weihnachtssendung hinter Gittern. Damals wurden die meisten Gefangenen über die Festtage freigelassen. Nur Schwerverbrecher mussten bleiben. «Während der gesamten Sendung ist aber nie auch nur ein Funken Aggression aufgekommen», sagt Küng. Viele Gefangene hätten die Gelegenheit genutzt, um über den Äther Grüsse nach Hause zu schicken. Im Nachhinein erschrickt Küng über seinen eigenen Mut: «Heute wäre das aus Sicherheitsgründen kaum mehr möglich.»
Mehr Themen finden Sie in der gedruckten Ausgabe oder über E-Paper