Der Basler Staatsrechtsprofessor Markus Schefer* erklärt, wann die Polizei Fans einkesseln darf und stellt kritische Fragen zum Polizeieinsatz vom letzten Samstag in Aarau.
Wie schätzen sie die Polizeiaktion in Aarau ein?
Ich kann denn Einsatz nicht genau beurteilen, weil ich meine Informationen auch nur aus den Medien habe. Aber ich lese von Menschen, die offenbar ohne ersichtlichen Grund verhaftet wurden und das wirft doch einige Fragen auf.
Welche Fragen sind das?
Wie und aufgrund welcher Fakten schätzte die Polizei die Gefahrenlage ein? Nach welchen Kriterien wurden Personen kontrolliert und verhaftet? Welche Massnahmen wurden getroffen, um zu verhindern, dass Unbeteiligte verhaftet werden? Wichtig ist nun, dass die Betroffenen aber auch die Öffentlichkeit Antworten auf diese Fragen bekommen. Nur auf diese Weise kann das Vertrauen zwischen Fans, Clubs und Polizei wiederhergestellt werden.
Wer kann diese Antworten liefern?
Dafür muss das Aargauer Justizdepartement sorgen.
Aber es kann doch nicht sein, dass das Justizdepartement, das auch für die Polizei zuständig ist, den Einsatz untersucht.
Nein, natürlich nicht. Nur eine von allen Beteiligten unabhängige Untersuchung ist in diesem Fall glaubwürdig. In Basel gab es nach einem umstrittenen Polizeieinsatz gegen eine Anti-WEF-Demonstration im Jahr 2008 einmal eine solche Untersuchung. Sie könnte dem Aargau nun als Vorbild dienen.
Vor dem Stadion Brügglifeld wurden friedliche Fans stundenlang eingekesselt und mit Wasserwerfern und Gummischrot bedroht. Ihnen wurde die Wahl gelassen: Entweder freiwillige Kontrolle oder eine Anzeige wegen Landfriedensbruch. Die Fan-Anwältin Manuela Schiller beurteilt das Vorgehen als „an der Grenze zur Nötigung“. Was sagen sie?
Ich weiss nicht, ob das für eine Nötigung reicht, ich bin kein Strafrechtler. Viel wichtiger ist hier der staatsrechtliche Aspekt. Die Polizei muss sich an Grundrechte halten und muss vor allem verhältnismässig reagieren. Nicht erst das Strafrecht setzt der Polizei die Grenzen, sondern staatsrechtliche Grundsätze.
Was für Grundsätze sind das?
Ein Polizeikessel ist nicht per se grundrechtswidrig. Wenn damit eine erhebliche Straftat verhindert werden kann, ist er zulässig. Die Frage ist, ob die Lage so bedrohlich war, dass einen derart gravierender Eingriff in die Grundrechte von Fans und zufällig Anwesenden gerechtfertigt ist. Die Polizei muss zudem begründen können, warum es nötig ist, die Personalien einer ganzen Gruppe aufzunehmen.
Reichen denn befürchtete Sachbeschädigungen aus, um den Kessel vor dem Brügglifeld zu rechtfertigen?
Das müssten dann schon sehr erhebliche Sachbeschädigungen sein. Die Befürchtung, ein paar Schaufensterscheiben könnten eingeschlagen werden, reicht nicht aus, um den Polizeieinsatz vom letzten Samstag zu rechtfertigen. Aber beurteilen können wir die Lage erst, wenn wir die Fakten kennen.
Die Fans sagen, dass aufgrund einer Hysterie um Feuerwerk in den Stadien und wegen ein paar kaputten Schaufensterscheiben elementare Grundrechte wie die Versammlungsfreiheit aufgegeben werden.
Es geht in diese Richtung. Aber ob es in Aarau tatsächlich wieder nur um ein paar Lölis ging, die Feuerwerk ins Stadion schmuggeln wollten, müsste zuerst eine Untersuchung zeigen. Tatsache ist, dass in den letzten Jahren die Repressionsschraube vor allem für Fussballfans angezogen wurde. Die Toleranz nahm ab. Es kommt im Fussball aber tatsächlich regelmässig zu Gewalttaten. Da kann es durchaus sinnvoll sein, gewaltbereite Fans mit polizeilichen Mitteln in Schach zu halten. Aber die Verhältnismässigkeit muss gewahrt sein.
*Markus Schefer ist Professor für Staats- und Verwaltungsrecht an der Universität Basel
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