OHNE DEUTSCH IN DEN BUNDESRAT?

In der Waadt ist FDP-Regierungspräsident Pascal Broulis (44) der König. Nun will er auch Bern erobern. Obwohl er nicht Deutsch spricht und kaum Deutsch versteht. Geht das?

SaW Redaktion
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VON OTHMAR VON MATT
Die Schwierigkeiten für Pascal Broulis, den Waadtländer Regierungspräsidenten, werden beträchtlich sein. Davon sind Insider aus der Bundesverwaltung überzeugt, die ihn persönlich erlebt haben. «Er spricht ja wirklich kein Wort Deutsch», sagt einer – und sieht für Broulis mehrere Hürden:
Hearings: Schafft Broulis die Nomination in der FDP-Fraktion, wird er von den anderen Fraktionen zu Hearings eingeladen. Diese sind entscheidend. Als Westschweizer darf Broulis Französisch sprechen. Aber: Fragen können auf Deutsch gestellt werden – und diese muss Broulis zunächst einmal verstehen, um auf Französisch überhaupt entgegnen zu können. Kein leichtes Unterfangen, zumal Broulis auch thematisch handikapiert ist. Er kennt die sozial- und gesundheitspolitischen Sachdossiers schlecht.
Bundesrats-Sitzungen: Sollte Broulis die Wahl in die Regierung schaffen, kann er seine Dossiers in den Bundesratssitzungen zwar ebenfalls in seiner Muttersprache vortragen. Doch fünf der sieben Bundesräte argumentieren Deutsch. Damit hat Broulis ein ernsthaftes Verständigungsproblem. Auch die Mitberichte der anderen Bundesräte sind nur in einer Sprache gehalten – in ihrer Mehrzahl also in Deutsch.
Kontakte: Der neue Bundesrat wird aller Voraussicht nach Innenminister. Zwar gilt Broulis als ausgesprochen kontakt- , dialog- und lösungsfreudig. Doch wenn er seine Gesprächspartner, in der Mehrheit Deutschschweizer, nicht versteht, hilft ihm das nur bedingt.
Ein Regierungskollege aus einem anderen Kanton, der Broulis gut kennt, hat diesen noch nie Deutsch sprechen hören. Und CVP-Ständerat Philipp Stähelin, der ihn ebenfalls persönlich kennt, hält lakonisch fest: «Broulis versteht ein bisschen Deutsch.»
Broulis, der übrigens auch schlecht Englisch spricht, weilt zurzeit in den Ferien – in Italien. Er wird Mitte nächster Woche in Lausanne zurückerwartet, und vieles deutet darauf hin, dass er am Donnerstag, 30. Juli, sein Ja zu einer Bundesratskandidatur offiziell bekannt gibt. Bevor er dann Anfang August ans Filmfestival nach Locarno reist.
Dass sein Deutsch ein Problem ist, wissen er, seine Umgebung und die Spitzenfunktionäre der Waadtländer FDP genau. Nach einem Auftritt in St. Gallen war es selbst bei den Waadtländer FDP-Spitzenleuten zum Thema geworden, wie Präsidentin Christelle Luisier bestätigt. 2008 war der Kanton Waadt als Gastkanton an die Olma geladen, und Broulis hielt am 11. Oktober eine Rede. Er hatte sich im Vorfeld lange überlegt, wie viele Sätze er auf Deutsch formulieren sollte.
Der Auftritt missriet. «Das war für ihn eine gute Erfahrung, denn er realisierte, dass er etwas unternehmen muss», sagt FDP-Nationalrätin Isabelle Moret. Sie lässt durchblicken, dass Broulis zurzeit tatsächlich Deutsch büffelt – obwohl er nicht nach Deutschland reiste, wie spekuliert worden war. «Wie er das genau macht, weiss ich nicht», sagt Moret. «Aber seine Frau ist Holländerin und spricht sehr gut Deutsch.»
In der Waadt hat man sich offensichtlich auf ein Standardargument geeinigt, das Broulis’ Kandidatur trotz seiner Deutschschwäche rechtfertigen soll: «Eine Sprache kann man lernen. Aber ein Staatsmann zu werden, lässt sich nicht erlernen.» Das sagen unisono die FDP-Nationalräte Olivier Français, Isabelle Moret, Präsidentin Luisier und Broulis’ Mitarbeiter Olivier Meuwly.
Broulis gilt in der Waadt als Politstar. Er sanierte die Finanzen, wurde mit dem besten Resultat aller Regierungsräte (58,4 Prozent) wiedergewählt und amtet seit 2007 als Regierungspräsident und Finanzdirektor in Doppelfunktion – für fünf Jahre. Ihm ist das «Gleichgewicht von Wirtschaft, Freiheit und Staat» (Meuwly) wichtig.
Français und Moret gehen davon aus, dass Broulis bald Ja sagt zu seiner Kandidatur. Sie hatten ihre eigenen Kandidaturen in einer Art «Deal pro Broulis» zurückgezogen. Gemäss offiziellem Programm weilt Broulis zwar vom 13. bis am 16. September, dem Wahltag, in Moskau.
Der Kanton Waadt präsentiert sich dort auf Einladung der Schweizer Botschaft. Die Organisatoren haben aber bereits minuziös abgeklärt, dass er bei Bedarf schon am 15. September zurückfliegen kann – oder am 16. September frühmorgens.
Pascal Broulis selbst lotet zurzeit aus Italien seine Chancen in der Deutschschweizer FDP aus, wie Insider bestätigen. Und hofft, die Fraktionen mit unerwartet guten Deutschkenntnissen positiv überraschen zu können. Dank Deutschbüffeln in den Ferien.