Offengelegt: So viel verdient ein Nationalrat wirklich

Erstmals zeigt mit dem Grünen Jonas Fricker ein Parlamentarier einen detaillierten Lohnausweis.

Christof Moser
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Kritisiert Intransparenz: Jonas Fricker. Foto: Keystone

Kritisiert Intransparenz: Jonas Fricker. Foto: Keystone

Schweiz am Wochenende

Seine Tätigkeit als Nationalrat beendete Christoph Blocher im Mai 2014 mit einem Paukenschlag, der selbst in den eigenen SVP-Reihen für Irritation sorgte. Der Parlamentsbetrieb sei «ineffizient», wetterte er, die Entschädigung für National- und Ständeräte zu hoch. Und er kündigte zu seinem Abschied nach 26 Jahren Bundespolitik eine Volksinitiative zur Senkung der Parlamentarierentschädigungen auf 50 000 Franken an. Der «schleichende Wandel des Miliz- zu einem Berufsparlament», so der Parteistratege, solle damit gestoppt werden.
Von dieser Initiative, obwohl sie ausgearbeitet in der Schublade liegen soll, hat in Bern seither niemand mehr etwas gehört. Trotzdem bleibt die Politiker-Entschädigung ein politischer Dauerbrenner. Derzeit befragt die Universität Genf im Auftrag der parlamentarischen Verwaltungsdelegation National- und Ständeräte nach ihrem Arbeitsaufwand. Daraus soll die durchschnittliche Entschädigung pro Arbeitsstunde errechnet werden. Die Ergebnisse werden Anfang 2017 präsentiert.
Vergleichbar mit Sekundarlehrer
Obwohl die groben Eckwerte der Entschädigung für Parlamentarier bekannt sind, bleibt ihre tatsächliche Höhe insgesamt unübersichtlich. 140 000 Franken pro Jahr sind es im Durchschnitt bei Nationalräten, 155 000 Franken bei Ständeräten. Mit Vehemenz weisen Parlamentarier jedoch immer wieder darauf hin, dass davon nach Abzug der Abgaben an Partei und Fraktion, der Auslagen für Büroinfrastruktur und Wahlkampf sowie Einzahlungen in die Pensionskasse unter dem Strich nur noch rund 63 000 Franken übrig bleiben.
Mit Jonas Fricker, Grünen-Nationalrat aus dem Kanton Aargau, legt jetzt erstmals ein Parlamentarier einen detaillierten Lohnausweis seiner Entschädigung vor, der sich direkt mit dem Salär für übliche Erwerbsarbeit vergleichen lässt. Demnach hat Fricker nach Abzug der Mandatsabgaben von 11 000 Franken für sein erstes Jahr als Nationalrat brutto 109 055 Franken verdient. «Meine Entschädigung liegt damit leicht unterhalb der 112 307 Franken Bruttolohn, die ich als Aargauer Sekundarlehrer verdienen würde. Vom Arbeitsaufwand und von der Verantwortung her erscheint mir das nachvollziehbar», sagt Fricker. Gemäss seinen Berechnungen arbeitete er im letzten Jahr rund 200 Stunden pro Monat für das Nationalratsmandat. 59 295 Franken sind steuerfreie Spesenentschädigungen.
So viel Lohntransparenz wie der grüne Aargauer hat bisher kein Parlamentarier geschaffen. Einzig sein Aargauer SP-Nationalratskollege Cédric Wermuth geht ähnlich weit. «Mir ist Transparenz grundsätzlich wichtig, ich arbeite als Parlamentarier im Dienst der Öffentlichkeit», begründet der 39-Jährige die umfassende Offenlegung. Die Entscheidung, am Ende des ersten Jahres im Nationalrat die Einkünfte vollumfänglich offenzulegen, fällte er in der letzten Sommersession, nachdem mehrere Vorstösse für mehr Transparenz abgelehnt wurden: «Das hat mich enttäuscht.» Er glaubt, dass die Politik insgesamt transparenter werden müsse – auch bei der Parteienfinanzierung, deren Intransparenz sich negativ auf die Qualität der Demokratie auswirkt. «In der Schweiz ist die Meinung verbreitet, wir hätten die beste Demokratie der Welt. Dies ist wissenschaftlich nachweislich falsch.»
Mehr Profis, mehr Transparenz
Tatsächlich landet die Schweiz in internationalen Studien gerade mal im Mittelfeld. Dazu tragen auch die sehr knappen Ressourcen des Schweizer Parlaments bei. Im OECD-Ländervergleich ist der Nationalrat die am zweitschwächsten professionalisierte Volkskammer. Und nur in Spanien verdienen Parlamentarier weniger als ihre Schweizer Kolleginnen und Kollegen.
«Wenn die Politik ihr Primat über die Wirtschaft verteidigen will, dann muss sie finanzielle Transparenz schaffen, sonst verliert sie ihren moralischen Anspruch auf das Primat», ist Jonas Fricker überzeugt. Folglich wehrt er sich auch gegen die Pläne für die Kürzung der Entschädigung für Parlamentarier. «Das hätte eine weitere Schwächung des Parlaments zur Folge und wäre ein Schritt Richtung weniger Know-how, weniger Unabhängigkeit und letztlich weniger Demokratiequalität – und das in einer immer komplexer werdenden Welt», sagt Fricker. Durch diese Schwächung des Parlaments würde die Macht des intransparent fliessenden Geldes weiter zunehmen. Zudem könnten sich dann noch stärker als heute nur Gutverdienende ein Mandat als Parlamentarier überhaupt leisten: «Das ist nicht im Interesse der Schweizer Demokratie.»
Fricker will mit seiner Transparenz-Offensive die Diskussion in die andere Richtung lenken: «Meiner Meinung nach wäre eine grundlegende Reform unseres Systems angesagt, die auf eine Professionalisierung und eine Erhöhung der Transparenz zielt – zur Stärkung der Demokratie.»
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