Schulterschmerzen werden oft durch einen Sehnen(an)riss an der sogenannten Rotatorenmanschette verursacht. Und der sollte rechtzeitig behandelt werden, ansonsten drohen irreparable Schäden. Eine Operation ist aber nicht immer notwendig.
Nach einem Sturz auf die Schulter stellen Ärzte, wenn auf dem Röntgenbild kein Bruch zu sehen ist, häufig die Diagnose Schulterprellung. Doch es kann sich auch um einen Sehnenein oder -abriss handeln, eine sogenannte Ruptur. Im Gegensatz zu einer Prellung sollte der Sehnenriss weiter abgeklärt werden. Denn ansonsten kann es zu irreparablen Schäden an der sogenannten Rotatorenmanschette kommen, einer Gruppe von vier Muskeln, deren Sehnen das Schultergelenk umfassen. Im schlimmsten Fall muss dann ein künstliches Schultergelenk eingesetzt werden. Typische Zeichen einer Rotatorenmanschettenruptur sind Schmerzen, Kraftverlust und Bewegungseinschränkungen – ähnlich wie bei einer Prellung oder Schleimbeutelentzündung. Sicher nachweisen lässt sich eine Ruptur mit einer Ultraschalluntersuchung oder Magnetresonanztomografie. Somit sollte bei Beschwerden, die nicht innerhalb der normalen Frist abklingen, die weitergehende Beurteilung durch den Spezialisten erfolgen.
Häufiger als rein traumatische, also unfallbedingte Risse, sind degenerative Rotatorenmanschettenrupturen und Mischformen. Den Verschleiss begünstigen verschiedene Faktoren, die individuell sehr unterschiedlich sein können (Beruf, sportliche Aktivitäten, Vorerkrankungen, Lebenswandel etc.). Das Risiko, einen Riss zu erleiden, steigt mit dem Alter. Prophylaktisch könne man leider nichts tun, ausser sich selbst gesund und die Muskulaturfit zu halten, weiss Dr. med. Felix Toft, Leiter Schulterund Ellbogenchirurgie der Abteilung Orthopädie des Kantonsspitals Aarau. Die Auswirkungen eines Sehenrisses seien sehr unterschiedlich: «Grosse abnützungsbedingte Sehnenrisse können mitunter kaum Beschwerden verursachen, während kleine traumatische Risse die Schulterfunktion manchmal schmerzbedingt völlig lahmlegen.» Traumatische Vorfälle soll man laut Toft möglichst rasch abklären: «Eine operative Versorgung sollte idealerweise innerhalb der ersten sechs Monate nach dem Unfall erfolgen. Auch wenn die Schulter chronisch schmerzt, sollte man nicht zu lange warten und es abklären lassen.» Denn nach einem Riss der Rotatorenmanschette verkürzen sich die Sehnen (Sehnenretraktion), die Muskulatur bildet sich zurück und wandelt sich teilweise in Fettgewebe um (fettige Atrophie). «Wenn die Muskulatur schon weitgehend fehlt, macht es keinen Sinn mehr, die Sehne zu reparieren», betont Toft. Ob ein Sehnenriss operativ oder konservativ behandelt werden sollte, hängt von vielen Faktoren ab, etwa vom Leidensdruck, Allgemeinzustand und Alter des Patienten oder eben auch von der Qualität der gerissenen Sehne und der dazugehörigen Muskulatur. «Ziel der Operation ist es, die Schmerzen zu reduzieren und die Funktion bestmöglich wieder herzustellen», erklärt Toft. Mittels minimalinvasiver Schlüsselloch-Chirurgie (Arthroskopie) näht er die Sehne wieder an den Knochen. Gleichzeitig können auch andere Schmerzursachen, welche häufig zusammen mit einem Sehnenriss auftreten, mitbehandelt werden und ungünstige biomechanische Voraussetzungen korrigiert werden. Allgemein würden jedoch nur gut zehn Prozent der Patienten mit einer Rotatorenmanschettenruptur operiert, so Toft; im KSA aktuell etwa fünf bis acht pro Monat. Bei den anderen reichten entweder Schmerzspritzen respektive Physiotherapie oder aber sei eine Operation nicht sinnvoll, etwa weil wenig erfolgsversprechend oder zu riskant, zum Beispiel, wenn eine schwere Erkrankung vorliege oder der Patient schon sehr alt sei. «Der Aufwand nach einer OP ist für die Patienten gross», betont Toft: «Die Nachbehandlung ist extrem wichtig. Das Ergebnis hängt auch sehr von der Eigenmotivation der Patienten ab.» Die brauchen sehr viel Geduld: Nach der Operation wird die Schulter in einer sogenannten Orthese ruhiggestellt, damit die Sehne unter möglichst wenig Spannung am Knochen wieder anwachsen kann. Der Belastungs- und Kraftaufbau beginnt erst etwa drei Monate nach der Operation. Bis die Kraft im Arm und die Beweglichkeit der Schulter wieder zufriedenstellend ist, dauert es laut Toft in der Regel sechs bis neun Monate. In den meisten Fällen ist die Schulter dann wieder schmerzfrei und voll funktionstüchtig. Zu den Operationsrisiken zählt neben den allgemeinen Risiken einer Operation (Infektion, Nachblutung, Verletzung von Strukturen im OP-Gebiet) vor allem die Reruptur, also das fehlende Anheilen der Sehne am Knochen oder das frühzeitige erneute Reissen der Sehne. Eine normale Begleiterscheinung ist laut Toft eine in der Regel vorübergehende Schultersteife, welche nach einer Sehnennahtoperation an der Schulter individuell sehr unterschiedlich ausgeprägt sein kann. «Gelegentlich bedarf es bei sehr stark ausgeprägten Fällen, die sich nicht von selbst lösen und den Patienten stark einschränken, eine nochmalige Operation, um narbige Verklebungen und eine Verdickung der Gelenkkapsel zu behandeln.»
Entscheide man sich für ein konservatives, also nicht operatives Vorgehen, sollte die restliche, intakte Muskulatur der Rotatorenmanschette wie auch des restlichen Schultergürtels und Rumpfes unter physiotherapeutischer Aufsicht trainiert werden. Toft: «Im besten Fall lässt sich auch so eine deutliche Schmerzlinderung und Verbesserung der Schulterfunktion herbeiführen.» Der Kraftverlust durch den Sehnenriss könne konservativ jedoch nicht komplett behoben werden. Eine nicht behandelte Sehnenverletzung kann durch die veränderte Biomechanik eine Arthroseentstehung des Schultergelenks begünstigen und zu einer sogenannten Cuff-Arthropathie führen. Dann ist laut Toft eine inverse Prothese oft das Mittel der Wahl. «Dadurch können sowohl die Schmerzen wie auch die Schulterfunktion in der Regel deutlich verbessert werden.» Drei bis vier Schulterprothesen pro Monat würden sie im KSA einsetzen. Die Erfahrungen seien gut: «Es dauert in etwa drei bis vier Monate, bis die Funktion und Kraft wieder da ist. Die meisten Patienten sind sehr zufrieden mit dem künstlichen Gelenk.» Mit den heute verfügbaren inversen Schulterprothesen sei bei gutem Resultat sogar eine Bewegung über Kopf möglich.