Nicolas Sarkozy hoffte vergeblich, dass seine Kandidaturerklärung von Mitte Februar und die folgende Themen-Offensive das Blatt wenden würden.
Nach einem kurzen Aufschwung in den Meinungsumfragen ist er bereits wieder auf seine alten, miserablen Umfragewerte abgesackt.
Und langsam zeigt der Präsident Nerven. In einer Fernsehsendung räumte er ein, seine Wahlfeier 2007 im Luxusrestaurant Fouquet's auf den Champs-Elysées sei ein schwerer Imagefehler gewesen. Die Franzosen staunten aber vor allem, weil sie den sonst druckreif sprechenden Staatschef erstmals beim Stottern erlebten.
http://www.youtube.com/watch?v=m6iQqbiBsqA&feature=player_embedded
Noch stärker unter Druck steht sein wichtigster Berater Henri Guaino, der in einer TV-Debatte ausrastete.
http://www.youtube.com/watch?v=cn6FIfZMFMU
Der Sozialist Jérôme Guedj forderte den entnervten Ghostwriter des Präsidenten auf, «in ein paar Wochen» ein paar Ruhetage einzulegen. Das heisst, wenn Sarkozy abgewählt sein wird.
Betont locker gibt sich dagegen die Rechtsextremistin Marine Le Pen, obwohl sie nicht einmal sicher ist, genug Wahlmänner-Unterschriften zusammenzubringen, um an der Wahl Ende April teilnehmen zu können. Als Antwort auf eine Journalistenfrage, was sie zu den neusten Reden und Ankündigungen Sarkozys meine, stimmte sie nur ein Dalida-Chanson («blosse Worte, ständige Worte, nichts als Worte») an:
http://www.youtube.com/watch?v=IDkZBRQpT8E&feature=player_embedded
Hollande feierte am Donnerstag in Lyon einen weiteren triumphalen Wahlauftritt. Vor 25 000 Anhängern listete er auf, wie der Bürgerliche Sarkozy 40 neue Steuern eingeführt und die Staatschuld um 600 Milliarden Euro erhöht habe.
http://francoishollande.fr/actualites/discours-de-francois-hollande-a-lyon/
Vom Präsidenten machten gleichentags ganz andere Fernsehbilder die Runde: Sie zeigten, wie er in Bayonne an der spanischen Grenzen mit Pfiffen und Buhrufen empfangen wurde und vor Eierwürfen in ein Restaurant flüchten musste.
http://www.youtube.com/watch?v=NHeTf3p5XyU
Ein Tiefschlag mehr für den Staatschef? Nicht unbedingt. Sarkozy zog sofort Nutzen aus der Affäre und erklärte, er werde sich von solchen «voyous» (Strolchen) nicht unterkriegen lassen. Die Wortwahl erinnete an Sarkozys turbulente Banlieue-Besuche, bei denen er der «racaille» (Pack) den Kampf angesagt hatte. Solche starken Worte sicherten seinen Wahlsieg 2007. In Bayonne warf Sarkozy den Sozialisten und den baskischen Automomisten vor, hinter dem Auflauf zu stecken.
http://www.youtube.com/watch?v=LQRwbWViLgE&feature=player_embedded
Einige Demonstranten hielten in der Tat Hollandes neustes Buch gegen den Präsidenten hoch. Der sozialistische Spitzenkandidat musste sich noch in seiner Rede in Lyon von jeder «verbalen und physischen Gewalt» distanzieren. Fazit: Ein Punkt für Sarkozy. In Aktion bleibt er stark. Hollande ist gewarnt.
29. Februar 2012
Armenischer Sarkozy
Die Meldung ist am Dienstag um die Welt gegangen: Das hohe Verfassungsgericht in Paris hat ein Gesetz annulliert, das die Leugnung des ottomanischen Völkermords an den Armeniern unter Strafe stellen wollte.
Allerdings hatte das französische Gesetz schon vorher Wirkung entfaltet: Im Krankenhaus der armenischen Stadt Gyumri beschloss das Ehepaar Avetisian im Januar, ihren Erstgeborenen "Sarkozy" zu nennen. Damit dankte es dem französischen Präsidenten für seinen unermüdlichen Einsatz für die Sache der Armenier.
http://www.youtube.com/watch?feature=endscreen&NR=1&v=xSmt1PBqXbc
Der Namensgeber im Elysée hatte das nun aufgehobene Gesetz initiiert. Er kündigte noch am Dienstagabend an, er lasse sofort einen neu formulierten Erlass ausarbeiten, der die Meinungsäusserungsfreiheit, aber auch die armenischen Forderungen berücksichtige. Dazu muss man wissen, dass in Frankreich heute 500 000 Armenischstämmige leben, von denen die meisten nach den Massakern im Ersten Weltkrieg emigriert waren. Ihr Stimmengewicht beträgt fast ein Wählerprozent. Sarkozy Avetisian natürlich nicht mitgezählt.
27. Februar 2012
Die letzte Revolution
Karl Marx kandidiert bei den französischen Präsidentschaftswahlen nicht mehr. Zu finden ist er nur noch in hinteren Landeswinkeln.
Le Creusot liegt im tiefsten Burgund, unweit berühmter Rebberge. Doch die Weintouristen machen selten halt in dem Ort, der in seinem Wappen einen Schmiedehammer führt: Le Creusot ist nur bekannt für seine Stahlproduktion (Dampflokomotiven, Eisenbrücken, Bahnhofshallen), und seine Einwohner können sich die teuren Edeltropfen der Hautes Côtes de Nuit gar nicht leisten.
Fast 40 000 Arbeiter und ihre Familien zählte die Fabrikstadt vor knapp einem Jahrhundert. Heute sind es noch die Hälfte, und die Tendenz ist abnehmend. Einige Weltkonzerne wie Alstom, General Electric oder ArcelorMittal unterhalten dort noch kleinere Werkstätten, aber der Arbeiterstolz hat sich längst verflüchtigt. Im Stadtzentrum zeugt nur noch ein Schaufenster von der ruhmvollen Vergangenheit: Der Parti Communiste Français, der in Le Creusot schon immer ein Heimspiel hatte, behält als einzige Partei und gut sichtbar ein Empfangsbüro.