Nach Berlin: Opferschutz vor Datenschutz

Politiker fordern, dass Videos von Überwachungskameras bis zu hundert Tage lang gespeichert werden dürfen.

Sarah Serafini
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Was treibt Jugendliche dazu, einen Menschen anzuzünden? Die unfassbare Tat ereignete sich in der Weihnachtsnacht. Sieben Jugendliche setzen die Kleider eines schlafenden Obdachlosen in einer Berliner U-Bahn-Station in Flammen. Danach steigen sie in die nächste Strassenbahn. Nur durch das schnelle Eingreifen von Passanten verbrannte der Obdachlose nicht an lebendigem Leib. Die Täter merken nicht, dass sie von Überwachungskameras gefilmt werden. Die Bilder landen in Internet und nur 14 Stunden später kann die Polizei sechs Syrer und einen Libyer festnehmen.
Doch nicht immer gelingen so schnelle Fahndungserfolge. Denn die Rechtslage setzt die Deutschen Ermittler unter Zeitdruck. Wird ein Verbrechen erst nach einem Tag bekannt, sind die Bilder der Überwachungskameras oft gelöscht. Deshalb wird nun in Deutschland die Forderung laut, die strengen Datenschutzregelungen zu lockern. Insbesondere die kurze Löschfrist für Bilder von Überwachungskameras an U-Bahnstationen wird kritisiert. Gegenüber der «Welt» fordert der Geschäftsführer des Städte- und Gemeindebundes, dass die Bilder mindestens zwei Monate gespeichert werden. Der Schutz der Allgemeinheit gehe vor.
Schweizer Strafverfolger stehen vor einem ähnlichen Problem: Bei der SBB gelten Löschfristen von 72 Stunden. Danach sind die Bilder weg. 1600 Kameras sind schweizweit an Bahnhöfen installiert, 13 000 weitere in den Zügen. Kurt Fluri, Solothurner Nationalrat (FDP) und Präsident des Schweizerischen Städteverbands hält fest, dass die Löschfristen für die SBB-Kameras zu kurz sind. «Eine Woche Frist wäre angemessen», sagt er. Dass dabei Daten von unbeteiligten Personen gesammelt und gespeichert werden, findet Fluri nicht schlimm. Er sagt: «Wer nichts verbrochen hat, hat auch nichts zu befürchten.»
Zuspruch erhält Fluri von Hans-Jürg Käser, Berner Regierungsrat (FDP) und Präsident der Kantonalen Polizeidirektoren. Er geht einen Schritt weiter und sagt, dass auch eine 100-tägige Löschfrist noch in Ordnung wäre. «Wenn Ermittlungsarbeit zu Erkenntnissen führen soll, braucht es schon eine gewisse Zeit», sagt er.
Unterschiede zwischen Kantonen
Die SBB müssen sich bei der Videoüberwachung an das Bundesrecht halten. Wollen hingegen die Kantone den öffentlichen Raum überwachen und auf Schulhausplätzen, in Unterführungen oder bei gefährlichen Strassen eine Kamera anbringen, ist dies über die kantonale Gesetzgebung geregelt. Die Forderung von Fluri und Käser ist dabei in einigen Kantonen bereits Praxis. So darf in den Kantonen Zürich, Zug oder St. Gallen Videomaterial von Überwachungskameras bis zu hundert Tage lang gespeichert werden. Im Kanton Aargau hingegen müssen die Filme nach drei Tagen gelöscht werden.
Von einer Lockerung der Datenschutzregelung hält der eidgenössische Datenschutzbeauftragte, Adrian Lobsiger, nicht viel. «Es ist falsch, aus einer Aktualität heraus mit mehr Überwachung zu antworten», sagt er. Dass grundsätzlich überwacht werde, fände er gut. Aber es dürfe nicht flächendeckend gefilmt werden und es müsse transparent sein, wo Kameras installiert sind.
Dass die Löschfristen verlängert werden müssen, findet Lobsiger nicht nötig. Es dürfe nicht sein, dass auf Vorrat Daten gespeichert würden. Er sagt: «Die Aufklärung von einem Einzeldelikt rechtfertigt nicht, dass Bilder von tausenden Personen über eine lange Zeit aufbewahrt werden.»
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