Der vergleichsweise milde Winter führt diesen Frühling nicht zu einer Invasion der Blutsauger – das Gegenteil ist der Fall. Fachleute empfehlen trotzdem die Impfung gegen ein gefährliches Virus, das der Holzbock übertragen kann
Sonne und Wärme treiben die Menschen derzeit in Scharen in die Wälder, auf die Wiesen, an See- und an Flussufer. Neben der menschlichen Unternehmungslust weckt der Frühling auch ein Tier aus der Winterstarre, auf das man beim Spaziergang durch den Wald oder beim Sonnenbaden am See gut verzichten könnte: die Zecke. Die blutsaugenden Viecher kommen in der ganzen Schweiz bis auf eine Höhe von 1500 Metern über Meer vor. Das Limmattal gehört dabei, wie der Grossteil des Kantons Zürich, zu den Gebieten, in denen die Tiere neben Borreliose auch die Frühsommer-Meningoenzephalitis (FSME; Hirnhautentzündung) übertragen können (siehe Kontext).
Nach dem besonders milden Winter fragt sich der Laie: Muss man dieses Jahr mit einer Invasion des ungeliebten Holzbocks rechnen? Rahel Gäumann vom Nationalen Referenzzentrum für zeckenübertragene Krankheiten (NRZK) beruhigt: «Ob der Winter kalt oder warm war, spielt keine Rolle.» Es gebe dieses Jahr deshalb nicht mehr Zecken als nach einem kalten Winter. Einfluss auf die Population der Zecken hat das Wetter trotzdem, erklärt Gäumann: «Die Tiere mögen es, wenn es nach der kalten Jahreszeit auf einen ‹Chlapf› warm wird und bleibt.» Schlecht für die Zecken sei hingegen, wenn nach einer warmen Phase erneut ein Kälteeinbruch komme. «Bei Wärme verlassen die Zecken ihre Unterschlüpfe im Laub oder in lockerer Erde. Und erfrieren, wenn es wieder kalt wird.»
Eine Zunahme der Zecken-Populationen hat es laut Gäumann in den letzten Jahren nicht gegeben. Was dagegen zugenommen habe, sei das Bewusstsein in der Bevölkerung für die Gefahren eines Zeckenbisses. «Die Angst davor ist natürlich nicht unbegründet. Aber mit den richtigen Vorsichtsmassnahmen ist das Risiko, gestochen zu werden, relativ klein», sagt Gäumann.
Stabil geblieben sei in den letzten Jahren die Anzahl Fälle, bei denen Personen durch einen Zeckenbiss mit dem FSME-Virus infiziert worden seien. «Abgesehen von einer Häufung 2006, gab es die letzten 15 Jahre keine Zunahme der Infektionen.»
Dies beobachtet auch Roberto Buonomano, leitender Arzt der Infektiologie am Spital Limmattal. «Die letzten Jahre sind die FSME-Infektionen stabil geblieben», sagt er. Aufgrund des warmen respektive kurzen Winters geht Buonomano davon aus, dass die Zecken dieses Jahr schon früher aus ihrer Winterstarre erwacht sind. «Mit dem früheren Frühlingsbeginn verlängert sich damit die Periode, in der die Tiere aktiv sind.» Wie viele Patienten das Spital Limmattal dieses Jahr bereits wegen Zeckenstichen behandelt hat, kann Buonomano nicht beziffern. Ohnehin würden die meisten Betroffenen bei einem Stich den Hausarzt und nicht das Spital aufsuchen.
Der Stadtzürcher Hausarzt Norbert Satz, schweizweit bekannt als Zeckenspezialist, behandelt derzeit zahlreiche Patienten, die von einer Zecke gestochen wurden. Das liege aber nicht daran, dass die Zahl der Tiere dieses Jahr besonders hoch sei, sagt er. Im Gegenteil: «Theoretisch müsste es nach einem warmen Winter etwas weniger Zecken geben.» Besonders tiefe Temperaturen begünstigten die Winterstarre der Spinnentiere, während der sie weniger Energie verbrauchten.
Auf die Fälle von Stichen habe die Zahl der Zecken aber ohnehin kaum einen Einfluss. «Entscheidend ist, ob die Leute oft in der Natur sind.» Und dies hänge wiederum damit zusammen, ob das Wetter schön sei. «Wenn es oft regnet, gehen die Leute nicht nach draussen – was sich natürlich auf die Zahl der Stiche auswirkt.»
Während sie bei den Auswirkungen des milden Winters auf die Zecken zu unterschiedlichen Annahmen gelangen, gehen die Fachleute mit dem Bundesamt für Gesundheit einig: Dieses empfiehlt Erwachsenen und Kindern ab sechs Jahren in den von ihm bezeichneten Gebieten eine Impfung gegen das FSME-Virus (siehe Karte). Die Empfehlung gilt nicht nur für Personen, die sich regelmässig im Wald aufhalten. «Obwohl dieser der geeignetere Lebensraum ist, können Zecken auch in Wiesen und Gärten leben. Es ist deshalb auch möglich, dass sie in städtischen Gebieten vorkommen», sagt Rahel Gäumann vom NRZK.
Hausarzt Satz unterscheidet bezüglich der Dringlichkeit einer Impfung zwischen verschiedenen Altersgruppen. «Je älter man wird, desto folgenschwerer kann eine Infektion mit dem FSME-Virus sein.» So liege für über 65-Jährige die Gefahr einer Invalidität nach einer Infektion bei 50 Prozent. «Dagegen werden Kinder bis sechs Jahre überhaupt nicht krank», sagt Satz. Eine Impfung empfehle sich deshalb erst ab diesem Alter. Wenn überhaupt: «Wird ein Kind zuvor mit dem Virus angesteckt, ist es zeitlebens immun.»
Die beiden häufigsten Krankheiten, die durch Zecken übertragen werden, sind die Lyme-Borreliose und die Frühsommer-Meningoenzephalitis (FSME). Das Borreliose-Bakterium, das in gewissen Gebieten bis zu 50 Prozent der Zecken in sich tragen, kann beim Menschen zu Gelenkbeschwerden und Lähmungen führen sowie diverse Organe, insbesondere die Haut, schädigen. Erste Anzeichen einer Borreliose sind Rötungen der Haut um den Zeckenbiss, wobei dieses Symptom gemäss Angaben des Bundesamts für Bevölkerungsschutz (BABS) aber nur bei etwa der Hälfte der Betroffenen auftritt. Behandelt wird Borreliose mit Antibiotika, ein Impfstoff dagegen existiert nicht.
Einen solchen gibt es dafür gegen das FSME-Virus, das eine schwere Hirnhautentzündung verursachen kann. Das Virus ist deutlich weniger stark verbreitet als die Borreliose, zwischen 0,5 und 3 Prozent der Zecken sind in bestimmten Gebieten damit infiziert. Für den Menschen ist eine Infektion mit dem Virus nicht in jedem Fall gefährlich: Nach einer ersten Krankheitsphase mit Fieber, Kopf- und Muskelschmerzen erfolgt gemäss Angaben des Bundesamts für Bevölkerungsschutz in den meisten Fällen eine spontane Heilung. Bei etwa 10 Prozent der infizierten Personen befällt und schädigt das Virus aber das zentrale Nervensystem, etwa 1 Prozent der Betroffenen stirbt an FSME.
Um zu verhindern, dass man von einer Zecke gebissen wird, empfiehlt das BABS für Spaziergänge durch Wälder und Wiesen das Tragen langer Hosen und geschlossener Schuhe; die Socken sollten über die Hosen gestülpt werden. Kleider, Schuhe und Körperteile, die mit Gras oder Gebüsch in Berührung kommen können, sollten mit einem Anti-Zeckenspray besprüht werden. Weiter empfiehlt das BABS, auf möglichst breiten Wegen zu gehen und von Zeit zu Zeit Kleider und unbedeckte Haut auf Zecken zu kontrollieren. Zu Hause sollte der gesamte Körper nach den Parasiten abgesucht werden. Wird dabei eine Zecke entdeckt, muss diese so schnell wie möglich entfernt werden. Das geht am besten mit einer spitzen Pinzette, wobei die Zecke nicht, wie oft angenommen, herausgedreht, sondern durch «geraden, gleichmässigen Zug herausgezogen» wird, wie das BABS in seiner Infobroschüre schreibt.