Simon Ammann war der Superstar der Olympischen Winterspiele in Vancouver. «Ich bin zwei Wochen auf einer Wolke geschwebt», sagt er im Gespräch mit dem «Sonntag». Der Doppel-Doppel-Olympiasieger erzählt, wie er seinen grandiosen Höhenflug verarbeitet, warum er gerne Roger Federer treffen würde – und wie ihn seine Kindheit auf dem Bauernhof geprägt hat.
VON FELIX BINGESSER AUS WHISTLER
Simon Ammann, welcher Moment war für Sie der wichtigste in den letzten zwei Wochen?
Simon Ammann: Die ganzen Olympischen Spiele waren ein einziger toller Moment. Dabei geht es nicht nur um die Resultate und meine zwei Goldmedaillen. Es geht um das Erlebnis. Wir hatten vom ersten Tag an im Team eine wahnsinnig gute Stimmung. Wir hatten Spass, haben viele Streiche gespielt und waren trotzdem im entscheidenden Moment bereit. Die Erfolge sind auch gekommen, weil wir ein Erlebnis aus diesen Spielen gemacht haben.
Was für Streiche haben Sie gespielt?
Vieles. Schauen Sie hier meine Kappe an. Die habe ich getauscht, das ist eine Polizeikappe. Als ich beim Langlauf war, musste ich nicht einmal meinen Ausweis zeigen. Ich habe nur meine Kappe angetippt und wurde durchgewinkt. Ich konnte auch ein «Stop»-Schild ergattern. Und einen Spiegel, um den Unterboden der Fahrzeuge zu sehen. Einmal bin ich ausgestiegen und habe mit den Polizisten das Auto kontrolliert. Wir hatten sehr viel Spass. Gut, einmal geriet ich in die Radarfalle. Aber ansonsten sind die hier gut drauf. Die Kanadier haben eine spezielle Art von Humor. Das gefällt mir.
Das Theater um Ihre Bindung hat Sie nie irritiert?
Das war eine Inszenierung der Medien und der Trainer. Ich habe von keinem österreichischen Skispringer ein kritisches Wort gehört, unter uns gab es nie Misstöne. Skispringen kann und soll ein Gentleman-Sport sein. Die Trainer sollten nicht mehr mit so einer aggressiven Art jubeln, sondern sich einfach freuen an den Leistungen ihrer Springer. Aber sie sollten auch die Leistung der anderen Athleten respektieren. Von allen anderen Nationen bekamen wir auch vom Trainerstab diese Akzeptanz. Und das muss auch der Weg sein. Ich freue mich nicht, wenn ich mal einen schlechten Tag habe. Aber dann akzeptiert man das und gratuliert dem anderen. Wenn wirklich etwas falsch läuft, kann man das schon sagen. Aber wir haben uns immer innerhalb des Reglements bewegt.
Das Interesse der internationalen Medien war vor acht Jahren, als Sie als fliegender Harry Potter bezeichnet wurden, fast grösser als jetzt. Warum?
Weil wohl das gewisse «Etwas» gefehlt hat. Es ist halt so, sportliche Leistungen muss man mit dem Drumherum veredeln. In Salt Lake City vor acht Jahren war es mein Mantel. Diesmal wollte ich mit meiner weissen Sonnenbrille aufs Podest. Aber man hat es nicht erlaubt. Man ist da viel zu strikt. Die Leute lieben solche Accessoires. Wir haben uns sogar überlegt, ob wir meinen Mantel von Salt Lake einfliegen lassen. Es war dann aber doch zu kompliziert. Die Show ist doch ein Teil dieser Spiele.
Bundesrat Ueli Maurer hat gesagt, Sie seien für die Schweiz wichtiger als ein Bundesrat.
Ich weiss ja nicht, wie wichtig Politiker sind. Und einen Lieblingspolitiker habe ich auch nicht. Aber natürlich freut man sich über solche Komplimente und Reaktionen.
Haben Sie Angst davor, so bekannt zu werden, dass Sie den letzten Rest an Anonymität verlieren?
Zu einem grossen Teil habe ich mich ja schon daran gewöhnt. Mein Privatleben werde ich ganz sicher auch weiterhin bewahren und schützen. Man gibt als Skispringer schon sehr viel von seiner Persönlichkeit preis bei den Wettkämpfen. Das kommt von innen heraus, da ist nichts gespielt. Gerade bei Wettkämpfen sieht man ins Innerste eines Menschen. Das ist genug. Man darf nicht alles zulassen. Es wird von mir keine Homestory geben und wo ich meine Medaillen aufbewahre, muss auch nicht jeder wissen. Das muss man auch respektieren. Es bringt meiner Persönlichkeit und meiner Entwicklung nichts, wenn ich die Tür zu meiner Wohnung öffne. Im Gegenteil.
Realisieren Sie so richtig, welchen Stellenwert Sie nun haben und was Sie in der Schweiz ausgelöst haben?
So richtig sicher noch nicht. Ich weiss nicht, ob alles hängen bleibt. Es geht so schnell. Aber ich habe gelernt, was wichtig ist, auch in der Verarbeitung. Den Ausklang der Spiele habe ich intensiv erlebt. Wir haben viele Anfragen abgesagt, um den Erfolg in Kanada zu geniessen.
Es fällt auf, dass Sie sich noch immer fast kindlich und spontan freuen können.
Das ist meine Persönlichkeit. Ich versuche, echt zu sein. Wenn ich jetzt nicht mehr so oft «vollgeil» gesagt habe, dann ist das, weil sich die Dinge halt ändern. Es ist mir nach 2002 schwer gefallen, einen anderen Zugang zum Wettkampf zu finden. Geschafft habe ich das erst 2007.
Davor gab es eine Phase, in der Sie noch den «Simi» von 2002 gespielt haben. Aber das wirkte nicht echt.
Ich hatte Mühe damit, dass wir immer den gleichen Ansatz hatten. Erst vor der WM 2007 in Sapporo wurde alles anders. Ich habe begriffen, wie wichtig Lockerheit im Vorfeld ist. Man kann das mit der Abfahrt vergleichen: In den langen Kurven muss man leicht Druck geben, Geduld haben und spüren, wie sich der Speed aufbaut. Wenn man zu viel Druck gibt, funktioniert es nicht.
Sie hatten vor Sapporo schwierige Jahre?
Ich habe gesehen, wo die Fehler waren, und dadurch den Sport besser kennen gelernt. Aber viel mehr haben mir die letzten Jahre gebracht. Ich habe viele Dinge neu entdeckt, zum Beispiel beim Material. Das war ein langer Prozess mit vielen guten Leuten. Es ist wichtig, dass man von guten Leuten profitieren kann.
Es gibt Simon Ammann, den Bauernbub aus dem Toggenburg. Andererseits gibt es Superstar Simon Ammann, der in Schindellegi wohnt. Dort, wo die Reichen residieren. Sind auch Sie ein «Mehrbesserer» geworden?
Solche Sprüche musste ich mir schon anhören, als ich an den Zürichsee gezogen bin. Mein Ursprung prägt mich noch immer. Ich bin auf dem Bauernhof aufgewachsen und dazu stehe ich. Dieser Ursprung ist bei mir schon noch stark vorhanden. Meine Herkunft hat mich geprägt und stark gemacht.
Ihre Eltern liessen sich durch die Olympiasiege drei und vier nicht aus der Ruhe bringen. Ihre Kühe hätten trotzdem Hunger und müssten gefüttert werden, liessen sie ausrichten.
Diese Art bringt im Sport viel. Wenn man die Sache pragmatisch sieht und auch spezielle Situationen mit einem Spruch abhaken kann. Das ist gut, um die Relationen nicht zu verlieren. Das muss man pflegen, diese Art macht die Zukunft auch einfacher. Da fällt man nie von einem hohen Ross herunter. Darum muss man diese Art auch pflegen. Eine gewisse Abschottung wird ja dann halt vielfach als Arroganz interpretiert. Zu Unrecht.
Was hat Simon Ammann für eine Beziehung zu seiner Schweizer Heimat?
Ich bin nicht so ein Anhänger von patriotischen Klassierungen. Aber es gibt kein besseres Land und kein besseres Umfeld, um die Basis für solche Erfolge zu legen. Die Uhren in meiner Heimat Unterwasser laufen nicht so schnell wie an anderen Orten. Das schätze ich, gerade in der jetzigen Situation. Die Schweiz ist die beste Basis, um in die Welt hinauszuziehen.
Was war der beste Moment bei der Heimreise?
Es war ein unbeschreibliches Gefühl, als die Tür in die Ankunftshalle aufging. Einen solchen Empfang hatte ich nicht erwartet. Der beste Moment beim Heimflug mit dem Helikopter war der Anblick der Churfirsten. Als sich der Nebel über der Bergkette gelichtet hat, wusste ich, ich bin zu Hause.
Man sagt, Sie seien jetzt in die Dimension von Roger Federer vorgedrungen. Haben Sie ihn eigentlich schon einmal getroffen?
Nein, noch nicht. Ich habe ihn schon zweimal live spielen sehen. In Athen bei den Olympischen Spielen war ich dabei, aber da habe ich ihm kein Glück gebracht. Auf jeden Fall hätte ich schon Interesse, ihn zu treffen. Sportler können immer voneinander profitieren. Sich im sportpsychologischen Bereich auszutauschen, kann schon inspirierend sein. Aber ich habe keine Lust, jetzt mit ihm irgendwo schnell ein Foto zu machen und anzustossen. Für einen solchen Smalltalk hat er einfach zu viel geleistet. Das wäre auch für ihn unwürdig. Wenn wir uns einmal kennen lernen, muss das auf einer anderen Basis sein. Grundsätzlich sind wir ja sehr verschieden. Ein Adam Malysz oder ein Janne Ahonen sind ihm wohl ähnlicher. Die waren auch über viele Jahre extrem konstant. Das kann man von mir ja nicht behaupten.
Es gibt Matti Nykänen, der dem Alkohol verfallen ist, es gibt Andreas Goldberger, der eine Kokainaffäre hatte, und es gibt einen wie Sven Hannawald, der unter Magersucht litt. Sind Skispringer ganz grundsätzlich Grenzgänger?
Wenn einer in Planica auf die riesige Schanze steigt, dann weiss man ja, dass dies nicht ganz alltäglich ist. Ihre Beispiele sind jetzt sicher nicht gerade die besten. Aber man braucht einen gewissen Spielraum. Kein Athlet ist gut, wenn er nie ausbrechen kann und mal eine Nacht lang weggeht. Das mache ich auch. Die von Ihnen angesprochenen Personen haben sich entschieden, es auf diesem Weg zu tun. Ich hoffe, dass ich es nie nötig habe, solche Dinge zu tun.
Wie kompensieren Sie denn die Adrenalinschübe nach der Karriere?
Man muss viele Sachen lernen. Früher habe ich mir immer gesagt: Das Fallschirm-Brevet machst du nicht, weil das vielleicht das Skispringen beeinflussen kann. Nun habe ich es im Sommer trotzdem gemacht. Aber das Gefühl des Wettkampfes mit seiner ganzen emotionalen Vielfalt kann man sich wohl nirgends anders holen. Sich so auf einen bestimmten Tag zu konzentrieren und darauf hinzuarbeiten. Und dann geht alles gut. Das ist schon Wahnsinn. Es geht einen Sekundenbruchteil, dann macht es päng und man ist der Sieger oder nicht. Dieses Gefühl ist einfach grossartig. Ich bin Spitzensportler und bringe viele Opfer. Aber ich hatte noch nie das Gefühl, etwas entbehren zu müssen.
Jetzt gibt es wieder Regeländerungen und Sie müssen eineinhalb Kilogramm zunehmen. Das fällt ihnen ja sehr schwer.
Ja, das ist so. Das müssen wir jetzt einmal diskutieren. Ich kann jetzt Verläufe und Veränderungen viel besser annehmen, weil ich jetzt auch viel mehr Routine habe.
Dann bleibt uns Simon Ammann noch eine Weile erhalten?
Vor acht Jahren war ich unbekümmert, damals ist einfach alles mit mir so passiert. Diesmal konnte ich alles im Kopf steuern, diesmal war alles genau geplant. Ich habe im Spitzensport alles erreicht. Wenn es halt dann nicht mehr aufgeht, dann kann ich das verschmerzen. Ich bin vierfacher Olympiasieger.
Was macht Simon Ammann in zehn Jahren?
Das weiss ich auch noch nicht. Aber ich möchte sicher mein Studium abschliessen, um einen ganz anderen Zugang zu haben. Es muss mal einen Wechsel im ganzen Lebensrhythmus geben. Ich weiss aber nicht, ob ich das schaffe. Aber versuchen werde ich es ganz sicher. Und dann muss man halt schauen, wie sich die private Situation weiterentwickelt.
Was ist eigentlich Ihre liebste Fernsehsendung?
«Watts» auf Eurosport. Das sind lustige Sportvideos, da gibt es immer etwas zu lachen.
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