Machtlos gegen Facebook

Schweizer Strafverfolger verlangen vom Social-Media-Konzern immer mehr Nutzerdaten – meistens scheitern sie.

Andreas Maurer
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Hier müssen Schweizer Ermittler ihre Gesuche einreichen: Europa-Sitz von Facebook in Dublin. Foto: Getty Images

Hier müssen Schweizer Ermittler ihre Gesuche einreichen: Europa-Sitz von Facebook in Dublin. Foto: Getty Images

Schweiz am Wochenende

Wer auf Facebook anonym Hasskommentare postet, muss sich vor dem Gesetz kaum fürchten. Von Jahr zu Jahr stellen Schweizer Strafverfolgungsbehörden mehr Anfragen an den Online-Konzern, um Benutzerdaten wie IP-Adressen zu erhalten. Über 60 Prozent davon lehnt Facebook ab. 2015 erhielt der Konzern gemäss eigenen Angaben 79 Anfragen von offizieller Seite aus der Schweiz. Nur in 30 Fällen rückte er Angaben heraus. Facebook ist stolz auf die tiefe Quote und wertet sie als Beleg, die Meinungsfreiheit zu verteidigen.
Der Schweiz fehlt ein direkter Zugang zu Facebook. Der Konzern ist hierzulande unsichtbar. Beim nationalen Sitz im Genfer Vorort Vernier steht nicht einmal ein Firmenschild. Facebook ist hier nur als Briefkastenfirma angemeldet, untergebracht bei der Wirtschaftsprüfungsfirma BDO. Die Facebook Switzerland GmbH besteht gemäss eigenen Angaben aus drei Mitarbeitern und ist nur für Marketing zuständig.
Facebook Schweiz im Visier
Schweizer Strafverfolger sind überzeugt, dass das Genfer Trio mehr Möglichkeiten hat als der im Handelsregister angegebene Zweck. Sie gehen davon aus, dass der Schweizer Ableger auf die zentral gespeicherten Daten zugreifen könnte. Dies zu beweisen, ist schwierig. «Wir müssten eine Hausdurchsuchung machen», sagt ein Staatsanwalt, «was aber unverhältnismässig wäre.»
Facebook setzt ein eigenes Rechtssystem durch. Es lässt ein internes Lösch-Team entscheiden, was den Benutzern zugemutet werden kann und was nicht. Anfragen von Schweizer Behörden nimmt Facebook nur am Europa-Sitz in Dublin entgegen, weil sich dort gemäss den Allgemeinen Geschäftsbedingungen die Server befinden. Der auf Cybercrime spezialisierte Staatsanwalt sagt: «Das kann für uns nicht bedeuten, dass eine Strafverfolgung nur über Irland möglich ist. Die UBS könnte sonst auch in ihren Geschäftsbedingungen schreiben, dass ihre Server zum Beispiel in Ouagadougou stünden, und daraus ableiten, dass ein Kläger die Daten nur dort anfordern könne.» Schweizer Staatsanwälte wollen das Prinzip der europäischen Cybercrime-Konvention durchsetzen, dass nicht der Speicherort der Daten entscheidend ist, sondern der Ort ihrer Verfügbarkeit.
Im Kanton Waadt versuchte die Staatsanwaltschaft, über die Schweizer GmbH an Benutzerdaten zu gelangen. Beim Präzedenzfall geht es um eine Beleidigung gegen den belgischen Essayisten Michel Collon. Er hätte 2015 im Lausanner Grossratssaal über Dschihadismus und «Charlie Hebdo» referieren sollen. Collon ist im französischen Sprachraum eine umstrittene Figur. Seine Gegner beschimpfen ihn als Verschwörungstheoretiker und als Antisemiten, weil er Israel kritisiert. Vor der Konferenz gingen die Wogen hoch. Die Kritiker erreichten, dass die Reservation des Parlamentssaals annulliert wurde. Aus diesem Umfeld wurde Collon auf Facebook beschimpft. Der Belgier reichte Strafanzeige gegen unbekannt ein, worauf die Staatsanwaltschaft Informationen über den Kontoinhaber bei Facebook Schweiz verlangte. Die GmbH wehrte sich und erhielt vor Bundesgericht Recht: Ein internationales Rechtshilfebegehren in Irland sei nötig.
Der lange Weg nach Dublin
Der zuständige Staatsanwalt Stéphane Coletta sagt, er prüfe nun, ein Gesuch in Dublin einzureichen. Voraussetzung dafür sei, dass die Ehrverletzung auch in Irland strafbar ist. In diesem Fall trifft dies vermutlich nicht zu. In Irland werden Ehrverletzungen wie in England, in den USA und Australien weniger streng verfolgt als in der Schweiz.
Erfahrungen mit dem Gang nach Dublin hat Medienanwalt Jascha Schneider. Er vertrat eine Frau, die auf Facebook diffamiert wurde. Das Basler Zivilgericht hiess eine superprovisorische Massnahme gegen Facebook Irland gut. Doch danach verstrichen mehrere Wochen, bis der Entscheid übersetzt und auf diplomatischem Weg von Basel nach Dublin übermittelt wurde. So lange blieben die Beleidigungen online. Schneider bezeichnet den Bundesgerichtsentscheid als konsumentenfeindlich: «Während international Gerichte ihre Bürger im Bereich Social Media schützen und die Gesetze zugunsten der Nutzer auslegen, stellt sich das Bundesgericht auf die Seite der Mediengiganten.»
Das Problem wird im Bundeshaus zum Thema. Politiker sind sensibilisiert, weil sie selber vermehrt Opfer von Online-Attacken werden. Der Waadtländer SP-Nationalrat Jean Christophe Schwaab verlangt in einer Motion, dass Schweizer Ableger von Internetkonzernen Personendaten herausgeben müssen. Dies berichtete die «Nordwestschweiz». So soll Facebook für die Schweizer Justiz fassbar werden.
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