Achtzig Jahre nach der Entdeckung wird wieder mit LSD geforscht. Das Basler Unispital ist mit Drogenexperimenten weltweit an der Spitze dabei.
Von Simon Jäggi
Stefan W. erlebt an diesem Montagmorgen im Juli einen aussergewöhnlichen Start in den Tag. Um acht Uhr erhält er im Basler Universitätsspital ein Glas Wasser und eine Kapsel. Darin enthalten: 100 Mikrogramm Lysergsäurediethylamid, kurz LSD. Drei Stunden später liegt der Student ein Stockwerk unter der Erde in einem Kernspintomographen, die psychoaktive Substanz entfaltet ihre volle Wirkung. Ringsum sieht er kaleidoskopische Muster in allen Farben, die enge Röhre dehnt sich zu einem endlosen Raum, Sekunden werden zu Minuten. «Bitte schliesse für den nächsten Test deine Augen», dröhnt die Stimme des Untersuchungsleiters über die Kopfhörer. Sind seine Augen geöffnet oder geschlossen? – Stefan W. kann es nicht mehr mit Sicherheit sagen. Er befindet sich im Rausch der Droge und die Forscher vom Universitätsspital schauen ihm dabei mitten ins Gehirn.
Seit zwei Jahren erforscht ein Team der Universität Basel die Wirkung von LSD auf gesunde Menschen. Stefan W. ist eine von zwei Dutzend Personen, die an der diesjährigen Studie teilgenommen haben. Bei einer ersten Studie schickte das Universitätsspital sechzehn weitere Versuchspersonen auf einen halluzinogenen Trip. In den vergangenen Jahren hat sich Basel damit zu einem der weltweit führenden Standorte für die Erforschung von LSD entwickelt; nirgendwo sonst wurde die verbotene Substanz an so vielen Menschen erprobt wie hier.
Treibende Kraft hinter dieser Entwicklung ist der Klinische Pharmakologe Matthias Liechti, der am Universitätsspital Basel die Forschungsgruppe für Psychopharmakologie leitet. Die professionelle Erforschung von LSD sei überfällig, sagt er. «Psychoaktive Substanzen werden von vielen Menschen konsumiert und vereinzelt auch in therapeutischen Studien eingesetzt, aber es fehlen Grundlagendaten. Als Medikamentenspezialist bin ich daran interessiert, wie psychoaktive Substanzen pharmakologisch auf den Menschen wirken und im Gehirn ihre Wirkung entfalten.» Mit der ersten Studie wurde untersucht, wie LSD auf die Psyche, die Hormone und den Blutspiegel wirkt. Die zweite Studie konzentriert sich zusätzlich darauf, wie Bewusstseinsveränderungen die Aktivität des Gehirns beeinflussen.
Der Versuchsteilnehmer Stefan W. bleibt nach der Untersuchung im Kernspintomographen zwanzig Stunden unter Aufsicht im Spital, füllt Tests und Fragebögen aus. Wie fühlen Sie sich, was spüren Sie, fühlen Sie sich Ihrer Umwelt näher, vertrauen Sie mehr? Durch eine Venenkanüle am Arm nimmt ein Betreuer immer wieder Blut ab, untersucht Hormon- und LSD-Konzentrationen im Blut. Der Blutdruck wird gemessen, die Körpertemperatur, die Pupillenweite, dann kommt der nächste Test. Nach sechzehn Stunden Untersuchung legt er sich im Spitalzimmer ins Bett. Als er am nächsten Morgen erwacht, sind die Halluzinationen vorbei.
Für Liechtis Forschung interessieren sich viele Therapeuten, die auf eine Zulassung von psychoaktiven Substanzen hoffen. Die Schweizer Gesellschaft für psycholytische Therapie setzt sich seit langem für eine Rückkehr von LSD in die Psychotherapie ein. Interesse zeigt auch die Pharmaindustrie, in der die Erforschung von Psychopharmaka in den vergangenen Jahren mehrheitlich zum Stillstand gekommen ist. Liechti sagt: «Der Einsatz psychoaktiver Substanzen in Kombination mit einer Psychotherapie könnte eine Alternative zu klassischen Medikamenten sein.»
Für seine Studie erhält Liechti auch Mittel von Pharmaunternehmen. Er erklärt: «Die Firmen zahlen diese Studie nicht direkt. Sie finanzieren aber beispielsweise eine Laboruntersuchung im Rahmen einer Zusammenarbeit. Manchmal bleibt dann etwas Geld für weitere Projekte übrig.» Eine solche Partnerschaft besteht unter anderem mit Roche, in deren Labor die Wirkung von LSD und neuer Halluzinogene auf Hirnrezeptoren untersucht wurde.
Mit seiner Forschung bringt Liechti das LSD an seinen Geburtsort zurück. Die halluzinogene Wirkung des Stoffes entdeckte der aus der Region Basel stammende Albert Hoffmann am 19. April 1943. Der Chemiker hatte die Substanz zuvor versuchsweise zur Anregung des Kreislaufs hergestellt, bis zu jenem Tag aber nie am Menschen erprobt. Nach Hoffmanns Entdeckung brachte Sandoz LSD unter dem Namen Delysid auf den Markt. Psychiater nutzten es weltweit, um Blockaden ihrer Patienten zu überwinden und sie an unverarbeitete Traumata heranzuführen.
Als sich LSD unkontrollierbar verbreitete und die Zahl von Drogenpsychosen wuchs, verboten die USA den Stoff in den 60er-Jahren. Wenige Jahre später wurde er weltweit für illegal erklärt, die medizinische Forschung kam zum Erliegen. Erst seit wenigen Jahren wird in der Schweiz wieder mit dem Wirkstoff geforscht, unter anderem in Zürich, wo dieses Jahr eine erste LSD-Studie angelaufen ist.
Die ersten Ergebnisse aus Liechtis Studien fallen hinsichtlich der Verträglichkeit positiv aus. Bei niemandem wurden körperliche Probleme beobachtet, die Mehrheit der Teilnehmer erlebte den Rausch als angenehm. Auch die bereitliegenden Beruhigungsmittel mussten nie eingesetzt werden. Dennoch glaubt Liechti nicht, dass LSD in den nächsten Jahren wieder auf den Markt kommen wird. Das finanzielle Interesse daran sei immer noch sehr gering. Bei anderen psychoaktiven Stoffen sehe das anders aus, etwa bei MDMA (Ecstasy), dessen Wirkung er in früheren Studien ebenfalls untersucht hatte.
Liechti ist überzeugt, dass die Erforschung von psychoaktiven Substanzen noch lange nicht abgeschlossen sei und viel Potenzial berge. Seine nächste Studie ist bereits in Planung.
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