Vor dreissig Jahren startete Matthias Müller sein erstes Festival. Nun ist die Baloise Session ein durchkomponiertes Marketingprodukt.
Die 29. Ausgabe des Festivals nahm für ihn ein abruptes Ende. Statt weiter auf der Bühne die Stars des Abends anzukünden, lag er im Spital. Ein Hirntumor musste notfallmässig operiert werden. Für die 30. Ausgabe des Festivals, das am kommenden Mittwoch in traditioneller Clubbestuhlung im Messezentrum startet, steht Matthias Müller jedoch wieder auf der Bühne. Etwas weniger hektisch als zuvor, etwas gefasster vielleicht.
Auch den zeitweisen Ausfall des Gründers und Initianten hat das Festival überlebt. Was kein Zufall ist: Denn zum einen überlässt Müller (51) wenig dem Zufall und zum anderen ist er seit Jahren ein Spezialist, Vorsorge zu treffen und Risiken aus dem Weg zu gehen. «Berechenbar» ist das Wort, das Müller als Attribut für seine Arbeit gerne verwendet. Er wolle berechenbar sein für die Agenten, die ihm die Stars vermitteln. Aber auch für die Besucher, die im Voraus wissen, was sie erhalten, wenn sie bis zu 140 Franken für einen Konzertbesuch ausgeben, und die nicht enttäuscht sein wollen. Vor allem aber: berechenbar für die Sponsoren und Gönner.
Moritz Suter, Crossair-Gründer mit dem Hang zu überfliegenden Ideen, hatte ihn vor einigen Jahren aufgefordert, eine Vision zu entwerfen, wo sein Festival in fünf Jahren stehen werde. Müller sah sich dazu nicht imstande. Eine solche Zeitspanne ist für ihn nicht berechenbar. Er sei schon froh, wenn er das nächste Jahre überblicke. Visionäres Wachstum ist auch nicht sein Ziel; immer grösser, immer mehr sei gefährlich, gerade im Kulturbereich, sagt Müller.
Den Gönner-Verein, den Suter mit der Unternehmerin Esther Grether und anderen Basler Unternehmern auf die Beine gestellt hatte, nutzt Müller denn auch nicht, um grössere Risiken eingehen zu können. Er stehe vielmehr bereit, um sich einen Star zu leisten, der sich aus dem ordentlichen Budget nicht finanzieren liesse.
Sein Sicherheitsdenken liess ein für Kulturverhältnisse finanziell stabiles Festival entstehen, mit sich gegenseitig stützenden Elementen: Drei Viertel des Budgets in Höhe von rund 8,5 Millionen Franken bringen Sponsoren und Firmenkunden auf. Dies einerseits durch Vorauszahlungen der Sponsorengelder, andererseits über den Kauf von einem Viertel der für Firmen reservierten Tickets. Auch Unternehmen, die nicht als Sponsoren auftreten, können vorweg ganze Tische für ihre Kunden buchen. Im ausgeklügelten Müller-System sind diese jedoch teurer als im Einzelverkauf; schliesslich wolle er die eigentlichen Sponsoren nicht benachteiligen.
Drei Viertel der rund 1600 Tickets pro Konzert gehen in den freien Verkauf. Auch hier hat Müller sein Modell verfeinert. Denn vor Jahren stand sein Festival im Ruf, teure Stars vor einem uninspirierten Business-Publikum auftreten zu lassen. Die eigentlichen Fans blieben draussen vor, da im freien Verkauf kaum Billetts erhältlich waren. Von diesem Ruf hat sich Müller weitgehend befreit. Der feine Nebenaspekt: Erreichte das Publikum in den Anfangsjahren einen Altersschnitt von sechzig, so liegt er nun bei knapp über vierzig Jahren. Parallel dazu hat er die anfängliche Jazz-Programmierung zu Rock, Pop und allen Zwischentönen erweitert.
Zu den Eigenheiten des Festivals gehört, dass alle Konzerte in aufwendiger TV-Qualität aufgezeichnet und vermarktet werden. Ein Künstler, der nicht damit einverstanden ist, seine Rechte für fünf Jahre abzugeben, erhält kein Engagement. Ein direktes Geschäft sei dies zwar nicht, sagt Müller, der vor einem Jahr von der unberechenbaren SRG die Produktion übernommen hat. Doch die Agenten hätten Freude daran, dass sie mit den Clips neue Engagements für ihre Musiker fänden; die Sponsoren, dass sie ihr Logo auf den Bildschirmen wiederfinden, und schliesslich auch die Musikfans, die auf Youtube ihre Stars mit dem Festival in Verbindung bringen.
Müller ist jedoch nicht nur ein virtueller Beziehungspfleger. Er sucht die Nähe und findet sich überall ein, wo gesellschaftliche Nähe gesucht wird. Weniger, um sich selbst zu inszenieren, als um zuzuhören: Wenn jemand aus dem 40-köpfigen Gönnerkreis einen Musikerwunsch äussert, dann ist ihm dies Anlass, diesem nachzugehen. Es sei eben einfacher, später jemanden für einen Gönnerbeitrag zu gewinnen, wenn man ihm damit gleichzeitig eine Freude macht, sagt Müller.
Weite Wege muss Müller jeweils nicht gehen, denn das Festival ist ein regionales geblieben. Nicht nur kommt die Hälfte des Publikums aus den beiden Basel, auch die Drittmittel stammen aus der Region. Gönner-Verein-Präsident ist Bruno Gallo, Chef der Basler Scobag-Privatbank. Gallo war zuvor die Nummer zwei bei der Baloise, und diese wiederum ist nach dem Ausstieg von Avo Cigars zum Hauptsponsor aufgestiegen. Und wahrscheinlich ist es kein Zufall, dass ausgerechnet eine Versicherung zum titelgebenden Sponsor aufgestiegen ist.
Gleichsam eine Versicherung ist auch, dass die Messe als Mitsponsor nachgerückt ist. Denn das Verhältnis zum Vermieter des Konzertsaals war lange Jahre gespannt, gleichsam ein Risiko. Seit jedoch Messe-Chef René Kamm seine Baselworld-Geschäftspartner zum Konzert einladen kann, ist auch diese Front bereinigt, langfristig. Grosse Pläne macht Müller nicht. Auf die Frage, ob er das Festival aber auch in dreissig Jahren machen wolle, sagt er: «Ja, gerne.»
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