Keine Mehrwertsteuer für die Tourismusbranche

Die Aussetzung der Mehrwertsteuer für ein Jahr soll den vom starken Franken geplagten Tourismus entlasten. Berappen soll dies der Staat: mit Einsparungen beim Personal.

SaW Redaktion
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Ist er zu stark, wird die Wirtschaft schwach: Der Schweizer Franken. Foto: Key

Ist er zu stark, wird die Wirtschaft schwach: Der Schweizer Franken. Foto: Key

Schweiz am Wochenende

Der Krisengipfel zum starken Franken fand am Mittwoch statt. In Zürich trafen sich die Spitzen von Gastrosuisse und Hotelierverband mit Politikern. Schnell kamen die Teilnehmer überein, dass die Politik dringend handeln muss. «Die Situation ist sehr dramatisch», sagt BDP-Nationalrat Hans Grunder. «Der Schweizer Tourismus und die Gastronomie sind auf einen Schlag doppelt so teuer geworden wie im Ausland.» Dieser Nachteil lasse sich nicht mit Marketing-Massnahmen beheben. «Schnee ist und bleibt weiss», sagt Grunder. «Ob in der Schweiz, in Deutschland oder in Österreich.»
Stattdessen fordert Grunder «einen Befreiungsschlag» – den er in der Frühlingssession im Parlament gleich selber einbringen will: «Ich schlage vor, dass die Mehrwertsteuer für die Tourismus- und Gastronomiebranche befristet auf ein Jahr ausgesetzt wird», sagt er. Das würde den Staat zwar 800 Millionen Franken kosten, wäre aber «ein gewaltiges Signal an alle potenziellen ausländischen Gäste: In der Schweiz zahlt man keine Mehrwertsteuer.» Umso mehr, als in den meisten EU-Staaten Mehrwertsteuersätze von 16 bis 18 Prozenten zum Alltag gehören.
Grunders Vorschlag reiht sich ein in eine lange Liste von Forderungen, die eine Woche nach der Aufhebung des Euro-Mindestkurses im bürgerlichen Lager zur Unterstützung der Schweizer Wirtschaft im Kampf gegen die Auswirkungen des starken Frankens erhoben werden. Vieles lag bereits vor der Einführung des Mindestkurses auf dem Tisch und wird jetzt reaktiviert. So auch die Mehrwehrtsteuerbefreiung für Tourismus und Gastronomie, die 2011 vom Nationalrat in einem Zufallsmehr bereits einmal beschlossen und vom Ständerat nach der Mindestkurs-Festlegung wieder gekippt wurde. Jetzt will Grunder einen neuen Anlauf nehmen. Sollte die Politik nicht handeln, befürchtet Grunder einschneidende Konsequenzen. Tourismus- und Gastrobranche stünden «vor dem Abgrund», sagt er. «Mittelfristig ist die Hälfte der total 200 000 Stellen in diesen Sektoren gefährdet, wenn nichts passiert.» Grunder glaubt, dass mittelfristig «50 Prozent der ausländischen Gäste wegbleiben». Doch auch Gäste aus dem Inland ziehe es wegen des starken Frankens für Ferien ins benachbarte Ausland.
Zeitlich Befristete Steuererleichterungen zieht auch das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) von Wirtschaftsminister Johann Schneider-Ammann in Betracht – bei der Unternehmenssteuerreform III. Deren Vernehmlassung laufe noch eine Woche, sagt Eric Scheidegger, Leiter der Direktion für Wirtschaftspolitik. «Dann kann der Bundesrat in der Auswertung auch entsprechende Massnahmen prüfen. Kurzfristig Steuerausfälle sind in Kauf zu nehmen.» Auch Regulierungen sollen abgebaut werden. Eine Erhebung in zwölf Bereichen zeige, dass die Regulierungskosten 10 Milliarden Franken betragen pro Jahr. «Wir haben im Bericht über 30 Massnahmen erarbeitet», sagt Scheidegger. «Diese wollen wir politisch beschleunigen, damit wir wieder handlungsfähiger werden.» Das Seco denkt dabei vor allem an einen Einheitssatz bei der Mehrwertsteuer und an vereinheitlichte Baunormen. Der Einheitssatz wäre «relativ einfach» realisierbar, sagt Scheidegger. Und bei der formellen Vereinheitlichung der Baunormen «sollte ein politischer Konsens möglich sein».
Für Scheidegger ist – nach aussen – noch nicht klar, wer die Steuerausfälle bezahlen soll. Jemand muss dies jedoch tun: «Die Suche nach einer Gegenfinanzierung wird Priorität haben.» BDP-Nationalrat Hans Grunder seinerseits weiss bereits, wo er die 800 Millionen für die befristete Aufhebung des Mehrwertsteuersatzes hereinholen will: durch ein Einfrieren der Personalbudgets des Staates. «Tag für Tag stellt der Staat 10 bis 12 neue Beamte an», sagt Grunder. In den letzten vier Jahren seien 26 000 neue Stellen geschaffen worden.
Damit kündigt sich ein massierter Angriff der Bürgerlichen auf den Staat als Arbeitgeber an. Bereits die Wirtschaftsverbände hatten im Zusammenhang mit der Umsetzung der Masseneinwanderungs-Initiative eine entsprechende Forderung gestellt: Es brauche nun ein Nullwachstum bei der öffentlichen Hand. Auch der Staat müsse seine Produktivität steigern. Heute schnappe er der Wirtschaft ganz einfach das inländische Fachpersonal vor der Nase weg.
Die SVP nimmt diese Forderung der Wirtschaftsverbände auf und treibt sie weiter. «Es braucht generell einen Anstellungsstopp bei der öffentlichen Hand», sagte SVP-Präsident Toni Brunner gestern an der Delegiertenversammlung in Locarno. Zudem müssten verzerrende Vorteile der öffentlichen Hand auf dem Arbeitsmarkt wie Vaterschaftsurlaube, Ferien- und Freizeitregelungen, Pensionskassenleistungen abgebaut werden. Gleichzeitig will Brunner «Fehlentwicklungen stoppen», wie er weiter sagt – und denkt dabei an die Lohnpolizei für die Lohngleichheit von Mann und Frau, an die Frauenquote in Verwaltungsräten von börsenkotierten Unternehmen. Und natürlich an die Energiestrategie 2050.
In Locarno streckte Toni Brunner die Hand aus in Richtung FDP und CVP. Der SVP-Zentralvorstand habe beschlossen, den beiden Parteien ein Gesprächsangebot zu machen. «Es geht dabei um ein umfassendes Deregulierungs- und Revitalisierungspaket», betonte Brunner.
Flächendeckende Listenverbindungen zwischen SVP und FDP für die Wahlen 2015 sind zwar gescheitert. Die Hoffnung auf ein bürgerliches Paket hat die SVP aber noch nicht aufgegeben.
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