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An der Podiumsdiskussion über Vaterschaftsurlaub und Begrenzungsinitiative in Oberengstringen wird lautstark und emotional diskutiert.
Vor dem Oberengstringer Gemeindesaal weht am Montagabend ein kühler Wind. Drinnen am Abstimmungspodium dauert es jedoch nicht lange, bis die Debatte hitzig wird. Die Begrenzungsinitiative und der Vaterschaftsurlaub, über die das Stimmvolk am 27. September entscheidet, sind zwei Herzensanliegen der auf der Bühne repräsentierten Parteien. Auf der einen Seite die SVP-Politiker Benjamin Fischer und Therese Schläpfer, auf der anderen ihre SP-Kollegen Rosmarie Joss und Angelo Barrile. Moderiert wurde die Debatte von David Egger, Chefredaktor der Limmattaler Zeitung.
Zunächst kreuzen sie die Klingen zum Thema Vaterschaftsurlaub: «Wenn man sagt, die ersten zwei Wochen seien massgebend für den Beziehungsaufbau, ist das wenig glaubwürdig», sagt Kantonsrat Fischer, der Präsident der SVP des Kantons Zürich. Die Dietiker Kantonsrätin Joss wünscht sich für die Geburt ihres zweiten Kindes im Februar Vaterschaftsurlaub für ihren Mann. Beim ersten habe er extra zwei Wochen Urlaub genommen. Diese Ferien hätten ihm dann ein Jahr lang gefehlt.
Anders war es bei SVP-Nationalrätin Schläpfer. «Ich habe nach dem ersten Kind 50 Prozent gearbeitet. Mein Mann hatte als Selbstständigerwerbender nicht viel Freizeit. Aber ich denke, die Kinder haben nicht darunter gelitten.» Fischer nickt immer wieder. Er musste bereits drei Wochen nach der Geburt seines Kinds als Oberleutnant in den WK, weil sein Verschiebungsgesuch abgelehnt worden sei. «Vater werden ist kein Verschiebungsgrund. Das ist auch okay so.»
Der zweiwöchige Vaterschaftsurlaub soll wie bereits der Mutterschaftsurlaub über die Erwerbsersatzordnung (EO) entschädigt werden. Er wird folglich mit Beiträgen der Erwerbstätigen und der Arbeitgeber finanziert werden. Bei der Frage nach der Finanzierung der jährlich rund 230 Millionen Franken wird die Diskussion im Saal noch intensiver. SP-Nationalrat Barrile sagt: «Der Vaterschaftsurlaub würde die Arbeitnehmenden rund zwanzig Franken pro Jahr kosten.» Die zehntägige Absenz der Väter sei entgegen der Argumente der SVP finanziell und personell auch für KMUs verkraftbar. Zumal die Absenzen verglichen mit dem Fehlen aufgrund von Militär- oder Zivildienst verschwindend gering seien. «Der Vaterschaftsurlaub begünstigt kleine Betriebe, denn sie erhalten damit die Chance, Angestellten einen solchen Urlaub zu bieten», sagt Joss.
«Ist es nicht auch im Interesse der SVP, wenn es mehr Kinder gibt? Dann braucht die Schweiz weniger Zuwanderung», fragt Egger an die Adresse von Fischer. Die Schweiz brauche vor allem nur Zuwanderung, wo sie für unser Land auch Sinn mache, entgegnete dieser. Die folgende Diskussion über die Begrenzungsinitiative erhitzte die Gemüter noch weiter. Die Stimmen auf der Bühne wurden lauter und die Pausen zwischen den Argumenten immer kürzer. «Seid doch ehrlich, ihr wollt die Löhne senken und das effektivste Mittel gegen Lohnsenkungen sind die flankierenden Massnahmen», sagt Joss. «Angebot und Nachfrage bestimmen den Lohn», so Fischer. Deshalb sei es unfair, wenn Arbeitgeber aus Millionen von Fachkräften aus der EU wählen könnten.
Eines der Hauptargumente der SVP, die mit der Begrenzungsinitiative für eine massvolle Zuwanderung sorgen will, ist, dass mit dieser Vorlage eine 10-Millionen-Schweiz verhindert werden könne. «Natürlich kann man auch 20 Millionen in die Schweiz pferchen. Doch die Frage ist, ob man das auch will», sagt Fischer. Schläpfer ergänzt: «Wir müssen die Schlüssel der Schweiz wieder in die Hand nehmen.» Joss will sich auf Nachfrage nicht auf eine Obergrenze festlegen. Das sei nicht das Thema: «Es geht darum, ob wir die wirtschaftlichen Verknüpfungen mit der EU weiterhin haben wollen zusammen mit der Personenfreizügigkeit», sagt sie. Der Schweiz werde es bei einem Austritt kaum besser gehen als den Britten. «Dieses Brexit-Beispiel ist grotesk», reagiert Fischer. Dank dem Austritt hätten sich die Britten nicht am Zwei-Billionen-Corona-Rettungspaket beteiligt. Das sei ein Erfolg.
Wegen der sogenannten Guillotine-Klausel bedeutet die Auflösung der Personenfreizügigkeit für die Schweiz auch das Ende der bilateralen Verträge mit der EU. Das ist laut Fischer ein Fauxpas. Die Bilateralen seien wie eine Sekte: Wenn man merke, dass alles gestrichen werde, sobald man austreten wolle, müsse man das Ganze neu überdenken. «Einen solchen Vertrag zu unterzeichnen, war ein Fehler. Man muss ihn neu überarbeiten», so Fischer. Joss scheinen die Ohren bei solchen Aussagen zu gellen. Wolle man so etwas tun, riskiere man einen vertragslosen Zustand. Wenn ein Vertragspartner in einer Verhandlung mehr zu verlieren habe als der andere und zudem unter Zeitdruck stehe, habe er die Zwei auf dem Rücken. Zu glauben, die 27 EU-Staaten werden sich schnell einigen, sei unrealistisch. «Was ihr erzählt, ist eine Märlistunde», so Joss.
Bei der Frage, ob die Parteien ein Ja respektive Nein zum Vaterschaftsurlaub als sauren Apfel akzeptieren würden, wenn die Begrenzungsinitiative nach Wunsch entschieden würde, sind sich die Podiumsteilnehmer zum ersten Mal einig. Die Begrenzungsinitiative ist die wichtigere der beiden Vorlagen. Doch beurteilt wird sie unterschiedlich: «Wir konnten mit den Bilateralen viel rausholen, das würden wir bei einer Annahme alles aufs Spiel setzen», so Barrile. «Es ist Zeit für eine Neubeurteilung», kontert Fischer. Dafür würde er sogar vier Wochen Vaterschaftsurlaub in Kauf nehmen.