Interview mit Peter Spuhler: «Wir wollen die U-Bahn von Mekka bauen»

Peter Spuhler trat Ende Jahr aus dem Nationalrat zurück, um seine Stadler Rail über die Krise zu retten. Jetzt meldet er sich zurück und sagt, wie es dem Unternehmen geht und was er von der 1:12-Initiative und dem Steuerstreit mit den USA hält.

SaW Redaktion
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Peter Spuhler: «Wir sind darauf angewiesen, dass wir auch in der Schweiz wieder grössere Aufträge gewinnen können.» Foto: Raffael Waldner

Peter Spuhler: «Wir sind darauf angewiesen, dass wir auch in der Schweiz wieder grössere Aufträge gewinnen können.» Foto: Raffael Waldner

Schweiz am Wochenende

Herr Spuhler, wir führen das Interview gleich neben dem Bundeshaus im Hotel Bellevue. Vermissen Sie den Politikbetrieb?
Peter Spuhler: Die Verantwortung habe ich gerne wahrgenommen, und es hat mir auch Spass gemacht. Es waren schöne Momente, Sprecher eines schwierigen Geschäfts zu sein und dabei den rhetorischen Zweihänder auszupacken. Ich vermisse die Politik schon. Ich war gerade vor ein paar Tagen im Bundeshaus, wo ich alte Kollegen von der Partei und von anderen Fraktionen traf.
Bereuen Sie Ihren Rücktritt?
Nein. Die wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen zwangen mich praktisch dazu. Ich musste mich entscheiden: Unternehmen oder Politik.
Wie brenzlig war die Situation?
Als ich aus dem Nationalrat zurücktrat, war die Auftragslage dramatisch schlecht. Unsere Werke waren zwar für das Jahr 2013 und 2014 sehr gut ausgelastet, aber danach klaffte eine grosse Lücke. Da war schnell klar, dass ich die Verantwortung für meine Mitarbeiter wahrnehmen muss und nicht mehr hier in Bern meinen persönlichen politischen Ambitionen frönen kann.
Momentan gehen die Wellen wegen des US-Deals hoch. Was ist Ihre Haltung dazu?
Die SVP hat richtig entschieden. Die Zielsetzung muss sicher sein, diesen Steuerstreit beilegen zu können. Es kann aber nicht sein, dass das Parlament über Vorlagen befindet, bei denen es den Inhalt nicht kennt. Wir müssen auch wissen, dass wir uns in einem Wirtschaftskrieg befinden. Es geht darum, welches Land am Ende wie viel Wertschöpfung mit dem Finanzsektor schafft.
Welche Fehler hat die Schweiz gemacht?
Wir haben uns in den letzten Jahren sehr dämlich verhalten. Wir sind konzeptlos und ohne Strategie in die Verhandlungen eingestiegen. Jetzt lautet die Frage: Welche Lösung bringt am schnellsten eine klare Situation für die betroffenen Mitarbeiter und Banken? Andererseits haben wir nach wie vor einen Rechtsstaat. Der Versuch von Eveline Widmer-Schlumpf, einen Deal mit dringendem Recht schnell über die Bühne zu bringen, geht natürlich nicht. Darum war es der richtige Entscheid, den das Parlament diese Woche gefällt hat.
Soll die Schweiz den automatischen Informationsaustausch einführen?
Allen ist klar, dass wir das Bankgeheimnis in seiner traditionellen Form nicht durchbringen werden. Mir stösst auf, dass wir alle unsere Trümpfe aus der Hand gegeben haben, ohne etwas dafür verlangt zu haben. Die Amerikaner verlangten einen einseitigen Informationsaustausch. Wir knickten immer sofort ein, während andere Länder wie Grossbritannien auf Gegenseitigkeit gepocht hatten. Da hätte ich eine grössere Widerborstigkeit zum Wohl des Landes erwartet.
Ist das Bankgeheimnis noch zu retten?
Im jetzigen Umfeld ist es fast nicht mehr möglich, das Rad zurückzudrehen. Aber wir dürfen auch nicht der Vorreiter sein und unseren Finanzplatz politisch aufgeben. Da erwarte ich vom Bundesrat und vom Parlament deutlich mehr Kampfbereitschaft. Unverständlich ist, dass heute praktisch kein Nationalrat mehr für den Finanzplatz eine Lanze brechen will, weil man ihn sonst als Bankenpolitiker abstempelt. Es ist aber im Interesse der Schweiz, dass wir einen starken Finanzplatz haben.
Bald stimmen wir über die 1:12-, Mindestlohn- und Erbschaftssteuer-Initiativen ab. Welche Folgen hätten sie für die Wirtschaft?
Wir haben als kleines Land ein gutes Dutzend Weltkonzerne. Diese Firmen spielen – ob es uns passt oder nicht – in einer anderen Liga. Nehmen Sie den Fussball: Wenn Sie in der Champions League erfolgreich sein wollen, dann zahlen Sie auch andere Löhne.
Aber viele Politiker, selbst rechte, setzen sich nicht mehr für Millionen-saläre ein, weil sie von der Basis angegriffen werden.
Wir haben es fertiggebracht, mit grosser Unterstützung der Medien, dass wir eine Neidkultur gezüchtet haben, welche die gesamte liberale Wirtschaftsordnung demontiert. Wenn wir im Monatsrhythmus diesen wirtschaftsfeindlichen Vorlagen zustimmen, wird irgendwann ein Grosskonzern die Schweiz verlassen. Wenn 1:12 durchkommt, werden es die Pharmaindustrie, die Banken, aber auch Nestlé schwer haben, die notwendigen Talente einstellen zu können.
Werden Sie sich engagieren?
Absolut. Alle drei Vorlagen wären verheerend für unser Land. Gegen sie werde ich mich ganz sicher in Komitees und in der Öffentlichkeit engagieren. Wenn ich aufgefordert werde, gehe ich auch in die «Arena». Man muss ja nicht Nationalrat sein, um dort aufzutreten.
Welchen Einfluss hätte 1:12 auf Ihr Unternehmen?
Als Unternehmer wäre ich schwer davon betroffen. Bei 1:12 stellt sich für mich die Frage: Wie zahle ich meine Vermögenssteuer? Mein ganzes Vermögen ist im Unternehmen investiert, auf dem Substanzwert zahle ich jedes Jahr eine Steuer. Wenn mein Gehalt gedeckelt ist, werde ich diese Steuer nicht mehr bezahlen können oder ich muss sie auf einem anderen Weg finanzieren, zum Beispiel durch Aktienverkäufe. Zudem ist die Vorlage eine Katastrophe für die AHV.
Wieso?
Wenn wir breitflächig die Löhne deckeln, dann wird das bei der AHV zu Beitragsausfällen führen. Statt 5,05 Prozent AHV-Beitrag zahlt dann jeder Bürger 7 oder 7,5 Prozent. Ich mache ein grosses Fragezeichen, ob das der Schweizer Bürger schon realisiert hat.
Würden Sie bei einem Ja zur Erbschaftssteuer das Land verlassen?
Wir sind eines der ganz wenigen Länder auf dieser Welt, das überhaupt eine Vermögenssteuer kennt. Wenn wir jetzt hingehen und eine zweite Substanzbesteuerung erheben, diesmal auf dem Erbe, dann wäre das einmalig auf der Welt. Ich bin mir sicher: Zahlreiche mittelständische Unternehmer würden gezwungen, die Schweiz zu verlassen. Die Initianten haben keine Ahnung, was sie für ein Blutbad anrichten.
Im April gaben Sie erstmals einen Stellenabbau bekannt. 60 von 960 Stellen im Werk Altenrhein fallen weg. Drohen in den Schweizer Werken weitere Abbauschritte?
Fürs kommende Jahr konnten wir mit viel Mühe die Auslastungslücke schliessen. Letztes Jahr hatten wir einen Auftragseingang von nur etwa 750 Millionen Franken. In diesem Jahr haben wir bereits etwa das doppelte Auftragsvolumen hereingeholt. Noch immer schlecht sieht es aber für das Jahr 2015 und die folgenden Jahre aus.
Was, wenn es nicht gelingt, diese Auftragslücke zu füllen?
Wenn wir in der Schweiz in den nächsten 12 bis 18 Monaten weiter leer ausgehen sollten, dann wird es fast zwingend zu einem weiteren Stellenabbau und einer Verlagerung in andere Märkte kommen. Das könnten wir dann nicht mehr durch den Abbau von Temporärstellen auffangen. Dann müssten wir auch Festangestellte abbauen. Das wäre eine Katastrophe und hätte einen Knowhow-Abfluss zur Folge.
Trotz der jüngsten Grossaufträge, die zu einem guten Teil in der Schweiz abgearbeitet werden?
Ja. Wir sind darauf angewiesen, dass wir auch in der Schweiz wieder grössere Aufträge gewinnen können. Hier haben wir in den letzten Jahren mehr verloren als gewonnen. Wenn sich das nicht ändert, dann droht ein weiterer Stellenabbau. Nach wie vor haben wir zwei Drittel unserer 5000 Mitarbeiter in der Schweiz.
Eine der nächsten grossen Auftragsvergaben in der Schweiz ist diejenige für 29 Neat-Hochgeschwindigkeitszüge. Wie grosse Chancen rechnen Sie sich aus, dass Sie den Auftrag gewinnen?
Zu laufenden Ausschreibungen möchte ich keinen Kommentar abgeben. Da müssen Sie die SBB fragen. Als Schweizer Unternehmer hoffe ich schon, dass wir uns dieses Mal durchsetzen können. Wir haben ein sehr gutes Angebot eingereicht, sowohl technisch wie kommerziell.
Sind Sie überhaupt in der Lage, Züge mit einer Höchstgeschwindigkeit von 250 Stundenkilometern zu bauen?
Ja, wir haben in Norwegen praktisch identische Züge problemlos eingeführt. Dasselbe gilt für die schnellen Doppelstockzüge zwischen Wien und Salzburg.
Auf der Neat sollen künftig auch Doppelstockzüge fahren. Werden Sie ebenfalls mitbieten?
Ja, selbstverständlich werden wir bei allen Ausschreibungen in der Schweiz teilnehmen. Wir sind ein Schweizer Unternehmen, wir haben 3000 Mitarbeiter in der Schweiz. Da treten wir an. Technisch haben wir keine grossen Grenzen.
Wie stark sind Ihre beiden Schweizer Werke momentan ausgelastet?
Sehr gut. Im Moment sind wir bei über 100 Prozent. Im grössten Werk in Bussnang haben wir eine Kapazität von 1,6 Millionen Produktionsstunden. In diesem Jahr fahren wir 2,4 Millionen, müssen aber im nächsten Jahr wegen der tieferen Auslastung mehrere zugemietete Fabrikhallen aufgeben und wieder auf 1,6 Millionen runter. Die Kunst ist jetzt, dieses Niveau in den folgenden Jahren zu halten. Das wird schwierig.
Sie sind kürzlich ins U-Bahn-Geschäft eingestiegen und erhielten in Berlin den ersten Auftrag. Wo werden Sie weitere U-Bahnen bauen?
Wegen der reduzierten Ausschreibungen in unserem traditionellen Geschäft haben wir unser Produktangebot auf U-Bahnen ausgeweitet. Weitere Grossausschreibungen sind vor allem im arabischen Raum angekündigt. Wir wollen in Mekka, Dubai, Abu Dhabi und Dschedda U-Bahnen bauen. Auch in Grossbritannien nehmen wir an zwei Ausschreibungen teil, eine davon in Glasgow.
Ausgerechnet Sie als SVP-Mitglied wollen für die muslimischen Pilger eine Metro bauen. Haben Sie mit den Mitgliedern Ihrer Partei kein Problem?
Nein, sicher nicht.
Die letzten Grossaufträge kamen aus autoritär geführten Ländern wie Russland, Weissrussland und Aserbaidschan. Gibt es Länder, wo
Sie sagen, hier machen wir nicht mit?
Nein. Entscheidend ist: Gibt es volle diplomatische Beziehungen und verletzen wir keine Sanktionen? Wenn beides gegeben ist, sind wir dabei. Zudem: Unsere Produkte sind ja nicht für irgendwelche Regierungen oder einen Machthaber, sondern für das breite Volk. Ein Technologietransfer unterstützt den wirtschaftlichen Aufbau dieser Länder und letztlich die Demokratisierung.
Wie stark sind Sie mit den Staatspräsidenten von Russland und Weissrussland, Wladimir Putin und Alexander Lukaschenko, im Kontakt?
Es gibt immer wieder Treffen. Die Eisenbahn in Russland hat eine andere Bedeutung. Es ist der Lebensnerv für das Land. Man trifft sich schon. Letzte Woche habe ich beim Moskauer Bürgermeister die Verträge unterschrieben.
Die Kursuntergrenze der Nationalbank hat Ihnen über die Eurokrise geholfen. Kann sie die Nationalbank jetzt, wo sich die Lage beruhigt hat, aufheben?
Dies wäre zu früh. Glücklicherweise hat sich der Kurs zu unseren Gunsten entwickelt. Durch die Inflation in der Eurozone ist auch die Kaufkraftparität von 1.38 auf 1.30 gesunken. Dies erhöht unsere Wettbewerbsfähigkeit. Ich hoffe, dass die Lücke zum aktuellen Kurs von 1.24 raschmöglichst geschlossen ist. Ich glaube, mit 1.24 kann man leben. Das Risiko sind aber Frankreich und Italien. Wenn es dort knallt, geht das Theater an der Wechselkursfront wieder los.
Bei unserem letzten Interview vor zwei Jahren sagten Sie: «Beim Rasieren denke ich an den Euro.» Und jetzt?
Die grösste Sorge im Moment ist sicher nicht mehr der Euro, sondern, dass wir genügend Ausschreibungen gewinnen können, um die Arbeitsplätze in der Schweiz zu erhalten.
Im vergangenen Jahr machte Stadler Rail rund 2,2 Milliarden Umsatz. Und dieses Jahr?
Dieses Jahr werden der Umsatz und der Betriebsgewinn etwa gleich sein. Aber wir haben natürlich schon Federn gelassen. Letztes Jahr haben uns die ganzen Währungsverwerfungen etwa 2 Prozent Marge gekostet.
Hat Ihr ältester Sohn Interesse, die Firma dereinst zu übernehmen?
Das kann ich noch nicht sagen. Mein Sohn ist jetzt 21 und studiert in London Betriebswirtschaft. Warten wir es mal ab.
Sie sind jetzt 54, bis Ihr Sohn Ihre Firmen übernehmen kann, dauert es noch mindestens ein Jahrzehnt.
Ja, mindestens. Eher fünfzehn Jahre.
Wie sieht Ihre Nachfolgeregelung aus?
Dass ich bis dann nicht die operative Verantwortung behalten werde, ist klar. Also wird es eine Übergangslösung geben. Also ein externes Management. Ich werde dann Verwaltungsratspräsident bleiben. Auf das hin arbeiten wir. Wir haben den einen oder anderen in der Unternehmung, der das Potenzial hat.
Wann ziehen Sie sich aufs Verwaltungsratspräsidium zurück?
Mein Ziel war, Mitte fünfzig. Jetzt ist es dann bald so weit (lacht). Ich würde sagen: In den nächsten drei bis fünf Jahren will ich mich aufs Verwaltungsratspräsidium zurückziehen können. In der jetzigen schwierigen Phase will ich auf jeden Fall selber operativ führen. Ich habe auch noch ein paar Sachen, die ich selber fertig machen will, zum Beispiel unsere Stellung im russischen Markt auszubauen.
Walter Frey plant seinen Rückzug vom ZSC-Präsidium. Wollen Sie sein Nachfolger werden?
Ich habe selber Eishockey gespielt und zusammen mit Walter Frey die Eishockeyabteilung des Grasshoppers-Clubs geführt. Die Fusion GC-ZSC war eigentlich meine Idee, Walter Frey war da am Anfang zurückhaltend. Aber es war der absolut richtige Weg.
Die Frage nach dem ZSC-Präsidium haben Sie elegant umschifft ...
Das Thema wurde schon verschiedentlich an mich herangetragen. Ich habe immer gesagt: Fragt mich, wenn ich nicht mehr Nationalrat bin. Jetzt bin ich es nicht mehr, aber ich habe als Unternehmer wirtschaftlich einige Herausforderungen. Ich bleibe dem Klub sicher verbunden, in welcher Form auch immer.
Also ausgeschlossen ist das Präsidium nicht.
Es ist eine grosse Belastung. Ich hoffe, dass Walter Frey zumindest als Ehrenpräsident weiter dabei bleibt. Lassen wir das mal offen.
Haben wir irgendeine Frage vergessen?
Sie haben mich nicht gefragt, ob ich Bundesrat werden möchte (lacht).
Also gut: Wollen Sie?
Nein, immer noch nicht.
Ist ein Comeback in die Politik möglich?
Das ist sehr, sehr unwahrscheinlich. Dass ich mich 2015 oder 2019 nochmals aufstellen lasse, glaube ich nicht. Irgendwann muss man sagen, es ist Schluss.
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