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Aila Haavisto und ihre Altersresidenz sind umgezogen: Unweit vom Sparrenberg entfernt führt sie ihren Traum einer Senioren-WG fort. Für die einen ist ihr Angebot purer Luxus, für sie aber das nötige Minimum an Menschenwürde.
Die Autoreifen brettern über die kiesige Landstrasse und wirbeln Staub auf. Am Waldrand entlang spaziert eine Frau. In der Ferne kommt ein Hof in Sicht. Einige Pferde grasen auf der Weide, andere stehen angebunden vor dem Stall. Einem von ihnen passt ein Hufschmied gerade das Eisen an. Er blickt nur kurz von seiner Arbeit auf. «Das Heim? Ja, das ist da gleich hinter den Bäumen.» Vor der Villa schnattern zwei Gänse. Sie werden später als «Alarmanlage des Hauses» bezeichnet.
Die Haustüre zur Villa steht offen. Die Gäste klingeln trotzdem. Sofort schallt ein Bellen aus dem Haus und Hündin Sunny beschnuppert die Eindringlinge neugierig. Dann knurrt sie – eher wohlig als bedrohlich – und lässt sich streicheln. Der Australian Shepherd macht deutlich: Sie ist die heimliche Herrin des Hauses. Dann tritt die eigentliche Chefin um die Ecke. «Sunny», ruft Geschäftsführerin Aila Haavisto die Hündin zurück. Sie betont den Namen auf dem letzten Vokal, zieht ihn lang, sodass er etwas vorwurfsvoll klingt. Mit erstaunlicher Leichtigkeit hüpft der rundliche Hund auf einen Sessel und lässt sich von seinem Frauchen hinter den Ohren kraulen. Haavistos Händedruck ist fest. «Willkommen.
Sie nehmen sicher einen Kaffee. Setzen wir uns doch an den Speisetisch.» Die gebürtige Finnin schreitet um den schweren Holztisch, setzt sich hin und zupft ihr schlichtes Oberteil zurecht. Für das Foto wird sie es im Verlauf des Morgens gegen eine geblümte Bluse eintauschen. «Schauen Sie sich den Kronleuchter an», sagt Haavisto und zeigt nach oben. «Passt doch herrlich zu der wunderschönen Stuckatur.»
«Hier fühlen wir uns wie im Paradies», fährt die 56-Jährige unaufgefordert fort. Hier, das ist der Sonnenberg in Unterengstringen. Und hier, das ist das neue Zuhause der Villa Sparrenberg AG. Denn im August ist die Wohngemeinschaft umgezogen. Nur 400 Meter von der ursprünglichen Villa entfernt, haben sich die beiden Geschäftsführerinnen Aila Haavisto und Elvedina Agic mit ihrem Pflegepersonal und den Bewohnern ein neues Zuhause aufgebaut. Bald sind alle Zimmer besetzt: Fünf Bewohner kommen in den Genuss der familiären Pflege, die von der hauseigenen Spitex-Firma gewährleistet wird. Zudem bietet der Sonnenberg Platz für zwei Ferienzimmer, von denen eines bei Bedarf in ein Pflegezimmer umgewandelt werden könnte.
Wenn Haavisto vom Sonnenberg spricht, gerät sie ins Schwärmen. Sie erzählt von den grossen Zimmern, den kunstvollen Gemälden, dem gut gepflegten Parkett und all den Ideen, die sie hier verwirklichen will. Wie etwa eine Besenbeiz im Garten bei schönem Wetter oder ein Jodelkonzert. «Nicht mein Musikstil», sagt Haavisto. Sondern auf Wunsch einer Bewohnerin. Die Kulturveranstaltungen wolle sie auch am neuen Ort beibehalten.
Nun ist das aber alles nichts Neues. Im Sparrenberg galten dieselben Voraussetzungen: schöne, alte Villa, grosse Zimmer, familiäre Pflege, herrschaftliches Anwesen. Weshalb also der Umzug? Ein Schatten legt sich über Haavistos sonst so fröhliches Gesicht und sie wird zurückhaltend. Sie möchte lieber nicht darüber reden, gibt sie zu verstehen. Mit den Besitzern des Sparrenbergs, Erben der Christina Gräfin Podewils von Miller, die das Herrenhaus im Jahr 2011 übernommen haben, laufe derzeit noch ein Schlichtungsverfahren. Denn Haavisto ist nicht glücklich darüber, wie die Besitzer das imposante Haus verwalten. «Zwei Zimmer waren leider unbewohnbar», sagt sie.
Weil diese Zimmer nicht mehr belegt werden konnten, litten die Finanzen. Die Ausgaben blieben gleich, die Einnahmen nahmen ab. «Man braucht die gleiche Menge Personal für drei Personen wie für fünf», sagt Haavisto. Die letzten vier Jahre seien eine schwierige Zeit gewesen.
«Wissen Sie, der Sparrenberg war jahrelang mein Traum.» Wenn sie davon spricht, liegt Wehmut in ihrer Stimme. Und sie ist unmissverständlich traurig über den Verlauf der Dinge. «Ich möchte dieses Kapitel jetzt aber hinter mir lassen und nach vorne schauen.»
Zwei Jahre suchte Haavisto nach einer anderen Liegenschaft. Sie sollte ebenfalls alt sein, schön, eine Villa mit Garten und Geschichte. Ausserdem in der Nähe, damit der Umzug für die Bewohner nicht zu stressig wird. Nach langem Suchen wurde sie auf dem Gut Sonnenberg schliesslich fündig und fand damit gleichzeitig auch einen Gönner, der ihr Projekt unterstützen wollte. Christof Ruckli, der frühere Bewohner des Sonnenbergs, war so begeistert vom Prinzip der Senioren-WG, dass er als Aktionär einsprang und dem Team rund um Haavisto finanziell wieder auf die Sprünge half.
Mittlerweile unterstützen insgesamt sieben Aktionäre die Villa Sparrenberg AG. Dank ihnen ginge es dem Heim wieder gut. Und dank der Familie Albers, Besitzerin der Villa, und eben dank Christof Ruckli. «Ohne all die Unterstützung wären wir heute wohl nicht mehr hier.» Das betont Haavisto mehrmals.
«Kommen Sie, ich zeige Ihnen unser neues Zuhause.» Die Leiterin wickelt sich in eine weinrote Daunenjacke und führt um das Anwesen herum. Von der herrschaftlichen Villa aus erstreckt sich ein herrlicher Blick über das Limmattal. Im Dunst des Morgens wirkt es beinahe geheimnisvoll. «Hier kommen Tische und Stühle für die Besenbeiz hin», sagt Haavisto und zeigt auf die Hauswand im unteren Teil des Geländes.
Darunter befinden sich die Reben des umliegenden Biobauernhofs. «Wir haben ein gutes Verhältnis miteinander. Für die Bewohner ist die Lage natürlich toll.» Etwas weiter hinten an der Hausecke hält Haavisto wieder an. «Hier möchte ich einen Plattformlift bauen.» Das sei einfacher für den Rollstuhl.
Sunny jagt über die Wiese im grossen Garten. Dahinter versteckt sich ein Käfig mit Hühnern und Kaninchen. «Leider muss ich fünf Hähne zum Metzger bringen», sagt Haavisto, öffnet die Tür zum Käfig und tritt hinein. Die Nachbarn haben sich über das Krähen beschwert. Nur Amadeus und Lorenzo dürfen bleiben. Haavisto ahmt das fröhliche Gluckern der Hühner nach, während sie sich einen Weg durch das Federvieh bahnt und mit einem prächtigen, schwarzglänzenden Hahn zurückkommt. «Das ist Lorenzo.
Streicheln Sie ihn ruhig.» Selber grossgezogen. Deswegen gleicht er einem Schosstier. Für die Bewohner seien die Tiere sehr wichtig, vor allem Sunny. Sie habe eine spezielle Bindung zu den Menschen. «Die Tiere geben den Bewohnern Sicherheit und Ruhe. Das ist wichtig im Alter.» Haavisto stellt den Hahn zurück auf den Boden und hebt das Dach des Hühnerhäuschens an. Mit zwei kleinen Eiern in den Händen kommt sie zurück und schliesst die Käfigtür hinter sich. «Schau Sunny, das gibt morgen ein feines Rührei.»
Im oberen Stock des Hauses befinden sich die Zimmer und die Bäder. Haavisto zeigt das Zimmer, in das bald eine neue Bewohnerin einzieht. Pflegebett, Wolldecke, antiker Stuhl mit goldfarbenem Samt, ein Buch mit Märchen der Gebrüder Grimm. 420 Franken kostet das teuerste Zimmer pro Tag im Sonnenberg, etwas günstiger als damals im Sparrenberg. Das Ferienzimmer kostet 270 Franken. Der Ruf, dass sich nur Adlige ein Zimmer leisten können, kommt nicht von ungefähr. Ist der Sonnenberg also ein Luxus-Altersheim?
Auf diese Frage hält Haavisto im Rundgang inne und schüttelt den Kopf so vehement, dass ihre kurzen blonden Haare tanzen. Diesen Vorwurf hört sie nicht gerne, selbst wenn die Preise über dem normalen Durchschnitt liegen und die Villa damit zu den teureren Altersresidenzen der Schweiz gehört. «Diese Leute haben ihr Leben lang gekrampft. Ein Altersheim ist ihre letzte Station. Haben sie es da verdient, nur noch als Nümmerli bezeichnet zu werden?» Die Frage ist rhetorisch gemeint.
«Ich will meine letzten Tage nicht in einem Doppelzimmer verbringen und drei Stunden auf eine Pflegerin warten müssen, wenn ich mal umfalle.» Haavisto versichert, dass in diesem Preis alles inklusiv ist und keine versteckten Kosten mehr dazu kommen. «An einen schönen Lebensabend sollte man zudem kein Preisschild hängen», findet Haavisto. Familiär, gemütlich, herzlich. Diese Bezeichnungen träfen eher zu.
Die Leiterin führt zurück ins Erdgeschoss, wo der Tisch mittlerweile gedeckt ist; ein köstlicher Duft dringt aus der Küche. «Thai-Curry», sagt Elvedina Agic, die am Herd steht. Hier wird selbst gekocht. Die Zeit reicht noch kurz für einen Abstecher in den Keller, wo Haavistos Reinigungsfirma untergebracht ist. Hinter einer Holztür versteckt sich ein grosser Raum, ausgestattet mit weissen Sofas und kleinen Tischen. «Hier führen wir bestimmt einmal ein Fest durch», sagt Haavisto.
Zurück im Speisesaal steht die Vorspeise schon auf dem Tisch – Roast Beef mit selbstgemachter Tartar-Sauce. Nur eine Bewohnerin isst mit. Sie ist 91 Jahre alt, beinahe blind und hört nicht mehr gut. «Elsita», begrüsst Haavisto sie herzlich und drückt ihr die Arme. «Hast du Hunger?» – «Wie bitte?» – «Hast du Hunger?» – «Jojo.» Jojo sagt Elsita oft. Ihren richtigen Namen will sie nicht in der Zeitung lesen, der Spitzname tue es auch.
Sie sei zufrieden. «Aila und Elvedina sind sehr lieb zu mir.» Im Sonnenberg sind alle per Du. «Ihr Grosi ist auch im Heim? Sie soll doch hier herkommen. Hier ist es am schönsten», sagt Elsita. Auf ihrem samtenen Stirnband befindet sich eine glänzende Murmel, passend zu ihrem blaugrauen Wollpullover. Sie sitzt aufrecht am Tisch, isst langsam und kontrolliert. Auch im hohen Alter merkt man ihr die gute Stube an. Nach drei Gabeln wechselt die Seniorin zum Hauptgang. «Elsita, du bist die Knackigste an unserem Tisch», scherzt Haavisto. «Wie bitte?» – «Ich habe gesagt, du bist die Knackigste am Tisch.» – «Ou verreckte Cheib.» Gelächter. Nach dem Essen lehnt sich Elsita im Stuhl zurück und lässt sich die Sonne aufs Gesicht scheinen.
Die Pflegerinnen bringen das Dessert: Schwarzwäldertorte, Cremeschnitte, Vermicelles. Elsita lässt sich vom Gebäck nicht überzeugen. Sie verlangt ein Schoggistängeli. Beim Abschied süggelet Elsita zufrieden an der Schokolade und Sunny scharwenzelt ein letztes Mal um die Beine. Haavistos Händedruck ist fest – und herzlich.
Bereits die Güterkarte von 1726 zeigt eine direkte Verbindung zwischen dem Sonnenberg und dem Sparrenberg. Das ist kein Zufall: Bis ins 18. Jahrhundert hinein sind die Güter im Sonnenberg Teil des Sparrenbergs und somit ebenfalls im Besitz der Familie Hottinger von Zürich. Daten zur Baugeschichte liegen jedoch wenige vor. Wohl in den Jahren 1720 bis 1725 erfolgt ein Neubau des Sonnenbergs. Vermutlich will der damalige Besitzer des Sparrenbergs, Hans Conrad Hottinger, so sicherstellen, dass er zweien seiner Söhne ein Landgut vererben kann.
Über Heirat gelangt der Sonnenberg für viele Jahrzehnte in den Besitz der Zürcher Kaufmannsfamilie Schulthess, die in der Seidenfabrikation und im Bankgeschäft tätig ist. Durch Vererbung wird die ebenfalls alteingesessene Zürcher Familie Nüscheler Besitzerin des Landgutes. Noch um 1825 umfasst der Sonnenberg ein Wohnhaus, eine Scheune und ein Waschhaus. Umgeben wird es von drei Gärten und einem Hof. Unter Matthias Nüscheler erfolgen die ersten Um- und Neubauten. Er ersetzt 1834 die um 1720 erbaute Scheune. Zudem erstellt er nordwestlich des Landhauses ein Pächterhaus. 1873 verkauft die Familie das mit Hypotheken belastete Gut.
Es folgen innert kürzester Zeit verschiedene Besitzerwechsel. Unter anderem gehört der Sonnenberg auch der Schweizerischen Wagonsfabrik Schlieren AG. Infolge der Krisenjahre nach dem 1. Weltkrieg will das Unternehmen das Gut zur Nahrungsmittelproduktion für die Belegschaft nutzen. Das Vorhaben scheitert. In diesen Jahren werden in das Waschhaus Zimmer eingebaut. Es dient fortan als Gärtnerhaus. Das Pächterhaus mit Schopf wird zu einem reinen Wohnhaus umgebaut.
1924 verkauft die Wagonsfabrik den Sonnenberg wieder. Neuer Besitzer wird Wilhelm Anton Züblin, Ingenieur der Sulzer in Winterthur. 1941 erwirbt der Textilunternehmer Walter Schoeller den Sonnenberg. Der langjährige Zentralpräsident des Zürcher Grasshopper Clubs, dessen Ehe kinderlos bleibt, überschreibt wenige Jahre vor seinem Tod im Jahr 1979 das Gut der von ihm gegründeten Sonnenberg Liegenschaften AG, die das Landgut, auf dem sich heute unter anderem ein Bauernbetrieb befindet, verwaltet. (zim)