Im Heli rauf, auf zwei Rädern runter

Heli-Biken ist anspruchsvoll: Die langen Abfahrten verlangen Kondition und fordern volle Konzentration. Das Angebot wendet sich an Geübte, die ein besonderes Erlebnis suchen. In Norditalien, nahe der Schweizer Grenze, kann man es sich gönnen.

SaW Redaktion
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Abenteuer auf höchstem Niveau: Der Helikopter bringt Bikes und Fahrer auf den Monte Varadega (2634 m), dann gehts los auf die 2000 Höhenmeter lange Abfahrt. Foto: Caroline Doka

Abenteuer auf höchstem Niveau: Der Helikopter bringt Bikes und Fahrer auf den Monte Varadega (2634 m), dann gehts los auf die 2000 Höhenmeter lange Abfahrt. Foto: Caroline Doka

Schweiz am Wochenende

Von Caroline Doka
Der kleine rote Punkt am Himmel über Tirano wird rasch grösser, das unverkennbare Geräusch lauter. Eben hat der Helikopter fünf Bikerinnen und Biker auf den Berg gebracht, nun ist er zurück im Tal und holt ihre Mountainbikes. Knatternd verharrt er über den Köpfen der Gruppe, die fasziniert zu ihm hochschaut. Der Fahrrad-Hänger mit den fachgerecht gesicherten Bikes wird am Heli befestigt, und schon schweben die Bikes den Bikern hinterher, hinauf auf den Berg. Sechs Flüge, dann sind alle oben.
Heli-Biken funktioniert wie Heli-Skiing, wird aber nur vereinzelt angeboten. Doch die Nachfrage besteht: Der HeliBike-Event von Vinschgaubike im Südtirol ist im Nu ausgebucht. Eine bunt zusammengewürfelte Gruppe aus Deutschen, Schweizern und Italienern findet sich im Bike-Hotel Bamboo in Latsch ein, ein Viertel davon Frauen. Nicht etwa eine Horde wilder Downhillbiker, sondern Freerider, die lange Abfahrten lieben und es gewohnt sind, das Bike auch mal zu tragen.
Beim dreitägigen Event ist das Helikopterfliegen für den letzten Tag sozusagen als Höhepunkt vorgesehen. Davor stehen knackige Touren auf dem Programm, bei denen hochgestrampelt wird. Eine davon führt auf den Schartl Kamm, eine schweisstreibende Angelegenheit, bei der das Bike am Schluss getragen werden muss, bevor es 2000 Höhenmeter bergab geht. Die Schnellen fahren vorne, die Langsameren reihen sich hinten ein, bald hat jeder seinen Platz in der Gruppe gefunden. Später sitzt man gemeinsam am Pool im tropischen Treibhausgarten des Bike-Hotels Bamboo und lässt das Trail-Abenteuer bei einem Apéro gemütlich ausklingen.
Das zweitägige Aufwärmen gehört zum Konzept des Heli-Bike-Events: «Nie würde ich mit einer Gruppe gleich am ersten Tag in den Heli steigen», sagt Organisator Matze Gruber. «Jeder muss sich erst einfahren, seinen Platz in der Gruppe finden, zur Ruhe kommen. Erst dann ist die Gruppe für den Challenge bereit.»
Am dritten Tag dann der Höhepunkt: Heli-Biken mit je einem Flug am Vor- und am Nachmittag. Doch es ist nicht etwa so, dass der Heli morgens vor dem Hotel landet, Gäste und Bikes an Bord nimmt und gegen die Berge schwenkt. Ein Transfer übers Stilfserjoch steht bevor, denn das Heli-Biken findet im Veltlin statt; im Vinschgau ist es wie in anderen Provinzen Italiens verboten. Im Veltlin dagegen will man dieses Segment ausbauen. «Wenn es nach den Verantwortlichen ginge, könnte ich jeden Tag eine Gruppe Biker bringen», sagt Matze Gruber, «aber das will ich nicht. Heli-Biken soll in unserem Angebot etwas Besonderes sein.» Mit zwei Events pro Sommer ist es das bestimmt.
In der Schweiz ist Heli-Biken erlaubt, wird aber selten angeboten. «Die Tendenz ist zwar steigend, doch ein Massengeschäft wird es wohl nie», meint Darco Cazin von Allegra-Tourismus, Entwickler von MTB-Regionen in der Schweiz und im Ausland. «Soll es auch nicht. Das lässt sich übrigens gut über den Preis und die Anzahl Gebirgslandeplätze steuern.» Anbieter müssen ausserdem mit Gegenwind rechnen: «Der Helikopter wie das Biken sind für viele ein rotes Tuch. Im Gesamtkontext sehe ich Heli-Biken als verschwindend klein und daher unbedenklich.»
Ganz ohne Skrupel stehen jedoch die Bikerinnen und Biker nicht auf dem Gebirgslandeplatz, wo sie fünf Minuten nach dem Abheben in Tirano gelandet sind – dafür mit umso mehr Faszination. «Einmal im Leben Helikopter fliegen war immer mein Traum», meint Günther, ein Münchner. «Ich habe gezögert. Muss man jetzt auch noch mit dem Heli auf den Berg? Aber nun habe ich mir den Traum erfüllt.» Er spricht der Gruppe aus der Seele: Jeder hatte leise Skrupel, sich fürs Heli-Biken anzumelden – und tat es schliesslich doch. Nicht, um sich wie in einem Bike-Park möglichst viele Abfahrten zu ermöglichen, sondern für ein ganz besonderes, einmaliges Bike-Erlebnis, bei dem der Helikopterflug im Mittelpunkt steht.
Kaum ertönt das Knattern der Rotoren, taucht schon der Helikopter hinter der Bergkuppe auf und nähert sich dem Gebirgslandeplatz. Fasziniert beobachten die Wartenden die Landung. Schreckensszenarien, nach denen Horden von grölenden Bikern aus dem Heli stolperten und wie Dampfwalzen auf ihren Bikes zu Tale preschten, finden hier nicht statt. Sobald alle bereit sind, macht sich die Gruppe an die letzten Höhenmeter zum Monte Varadega. Der Aufstieg ist steil, die Luft dünn, es kostet Substanz.
Auf dem Gipfel Knie- und Ellbogenschütze angezogen, Helm auf, Sattel runter – und losgehts dem Bike-Guide hinterher. Die Wege sind schmal, mit Absätzen, losen Steinen und Spitzkehren. Tornantissima, die Kurvenreiche, heisst dieser legendäre Trail, und beschert den Heli-Bikern sagenhafte 2000 Höhenmeter Abfahrt und 80 Kehren. Sie erreichen Tirano bereits zur Mittagszeit, rechtzeitig zum Lunch in einem Veltliner Lokal.
Am Nachmittag bringt der Helikopter Gäste und Bikes ein zweites Mal auf den Berg, diesmal zum Col d’Anzana an der Grenze zur Schweiz. Auf einem Panoramaweg geniesst die Gruppe den Weitblick über das Veltlin bis zum Ortler und den Bergamasker Alpen, dann gehts in vielen Serpentinen im Wald 1800 Höhenmeter ins Tal. Immerzu nur bergab zu biken, klingt verlockend, ist aber anspruchsvoll: Es geht an die Kondition und fordert auch nach fünf Stunden Trailvergnügen noch volle Konzentration. Und doch hat sich längst der Flow eingestellt, diese Leichtigkeit – das absolute Trail-Glück. «Mit den Heli-Flügen hat das nichts zu tun», sagt Günther, der Münchner. Trotz anfänglicher Bedenken war es ein einmaliges Erlebnis. «Und das wird es für mich auch bleiben.»
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