Haris Seferovic erlöst die Schweiz mit seinem herrlichen Tor in der 90. Minute. Er und Stocker sind die Gewinner des Abends – Blerim Dzemaili stürmt enttäuscht davon.
Das Ende scheint unvermeidbar. 89 Minuten sind gespielt. Bei den Schweizer Spielern ist jetzt Resignation zu spüren. Es kommt ihnen alles so bekannt vor. Wieder 0:0. Wieder keine Lösung gegen das Abwehrbollwerk Zypern. Wieder Chancen vergeben. Die Fans wähnen sich im falschen Film. Es ist ein Horrorfilm.
Plötzlich sucht sogar Zypern den Weg zum Tor. Etwas, das es den ganzen Abend nicht tat. Doch dann kommt der Ball zu Xherdan Shaqiri. Er läuft und schaut und läuft und schaut. Der Pass auf Haris Seferovic ist grossartig. Und der eingewechselte Stürmer lupft den Ball ins Tor. 1:0, die Erlösung. Der Horrorfilm erhält ein Happy End.
Jeder auf der Schweizer Bank stürmt auf den Platz. Die Erleichterung ist hörbar, sichtbar und spürbar. Der ersehnte Sieg ist Tatsache. Immer wieder ballt Stephan Lichtsteiner die Fäuste, schreit die Erlösung ins Publikum. Sieg! Und fast noch wichtiger: Nie mehr Zypern in dieser WM-Qualifikation!
Die Schweiz vergrössert damit ihren Vorsprung in der Gruppe E. Albanien liegt vier Punkte zurück, Island bereits fünf. Das bedeutet: Mit zwei Siegen im September zu Hause gegen Island und in Norwegen wäre die WM-Qualifikation bereits ziemlich sicher. Der Barrageplatz gar zu 100 Prozent.
Der späte Held Seferovic sagt nach dem Spiel: «Es geht wieder bergauf mit mir.» Das Tor ist auch eine Belohnung für den 21-Jährigen, der in seiner jungen Karriere schon einige Krisen erlebte. Mit 17 wechselte er von GC zur AC Fiorentina, spielte aber kaum. «Ich wollte das und ich wusste, ich gebe nie auf, auch wenn ich schwierige Zeiten durchmachen muss.»
Für die nächste Saison wünscht sich Seferovic einen Stammplatz bei einem Serie-A-Verein, «auch wenn ich nun bewiesen habe, dass auch Serie-B-Stürmer fürs Nationalteam brauchbar sind.» Das kann auch bei der Fiorentina sein, der er immer noch gehört.
Bis die Schweizer spät doch noch jubeln durften, mussten sie aber lange leiden. Ab der ersten Minute rannten sie an. Drmic sah seinen Versuch kurz vor der Linie abgewehrt, Gavranovics Kopfball prallte an den Pfosten. Drmic traf später nur das Aussennetz, die Schüsse von Shaqiri blieben alle hängen.
So lief das eben, immer deutlicher wurden die Parallelen mit dem 0:0 von Ende März in Larnaka. Den Innenverteidigern war die Nervosität in fast jeder Aktion anzusehen. Sobald sie das Spiel mit einem cleveren Pass ankurbeln sollten, sind sie überfordert.
Die rechte Seite mit Shaqiri und Lichtsteiner blieb ein grosses Rätsel. Ganz im Gegensatz zur linken mit Rodriguez und Valentin Stocker. Vor allem was Stocker bot, war grosses Kino. Er knüpfte nahtlos an seine guten Leistungen beim FCB an. Immer wieder setzte er sich am linken Flügel durch. Er servierte den Mitspielern schöne Pässe, ging in den Abschluss, erkämpfte sich Bälle. Stocker war der beste Mann auf dem Platz – bis ihn Michel Pont, der wegen Ottmar Hitzfelds Sperre coachte, völlig unverständlich vom Platz nahm.
Shaqiri war in der zweiten Hälfte besser als zuvor. Einmal scheiterte er unglücklich vor Zyperns starkem Torhüter Giorgallidis. Ein nächstes Mal aber kläglich. Das war in der 88. Minute. Dass ihm kurz darauf der herausragende Pass auf Seferovic gelang, schützte ihn vor allzu vielen kritischen Fragen.
Wie erwartet setzte Hitzfeld auf zwei Stürmer, die FCZ-Connection Gavranovic und Drmic. Im Mittelfeld setzte er erneut auf Inler und Behrami. Vor allem die Leistung des Captains gibt Rätsel auf. In Neapel schnappte ihm zuletzt Blerim Dzemaili den Platz weg. Es scheint Spuren hinterlassen zu haben. Vom Chef auf dem Platz der ersten Spiele in Slowenien und gegen Albanien war bei Inler nichts mehr zu sehen.
Der Leidtragende heisst Dzemaili. Erst in der 67. Minute wurde er eingewechselt. Nach dem Spiel stürmte er ohne Worte davon. Es ist zu befürchten, dass er sich überlegt, in Zukunft nicht mehr ins Camp einzurücken. Es wäre bedauernswert. Denn wer an einer WM Erfolg haben will, braucht gerade im Zentrum valable Alternativen.
Gegen Island ist Captain Inler gesperrt. Spätestens dann muss auch der persönliche Horrorfilm von Dzemaili ein Happy End bekommen.
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