Hände weg von der Notbremse

Die SBB sprechen von drei Millionen Franken ungedeckter Kosten und wehren sich gegen die Transportpflicht. Trotzdem sind Fanzüge eine gute Sache.

SaW Redaktion
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Polizisten in der Schweiz empfangen am Bahnhof einen Extrazug mit randalierenden Fans. Foto: JEAN-CHRISTOPHE BOTT/Keystone

Polizisten in der Schweiz empfangen am Bahnhof einen Extrazug mit randalierenden Fans. Foto: JEAN-CHRISTOPHE BOTT/Keystone

Schweiz am Wochenende

Die FCZ-Fans sind auf der Heimreise aus dem Wallis. In Aarau zieht einer die Notbremse. Der Mob stürmt aus dem Wagen und auf die wartenden Aarau-Fans. Wüste Keilerei. Lebensgefährlich nahe an den Gleisen. Der Bahnhof Aarau im Ausnahmezustand. Und die ordentlichen Bahnkunden im Elend, weil sie vergeblich auf ihren Zug warten. So passiert in der Nacht von Samstag auf Sonntag am letzten Wochenende.
Die Beschränktheit der Krawallbrüder ist unfassbar. Und sie bedeutet Nahrung für jene, die gegen Fanzüge, das neue Stadion in Aarau, die Transportpflicht der SBB und für eine härtere Umsetzung des Hooligan-Konkordats sind.
Die SBB führen nach eigenen Angaben pro Jahr 250 Sonderfahrten durch und transportieren dabei 100 000 Fans. Die ungedeckten Kosten für Sicherheit, Littering, Perronräumungen auf passierten Bahnhöfen und Sachschäden in den Zügen und an Bahnhöfen beziffern die SBB auf 3 Millionen Franken. Aber über die Zahl von Missbrauchsfällen hüllen die SBB den Mantel des Schweigens. Einzig: Es sollen durchschnittlich drei Petarden pro Fanzug gezündet werden. Und natürlich das immer wiederkehrende Betätigen der Notbremse, was teilweise den Bahnverkehr lahmlegt, weil es zwischen 10 und 30 Minuten dauert, ehe der Zug weiterfahren kann.
Die SBB sind es leid, weiterhin Fanzüge dieser Art in ihrem Portfolio zu führen. Aus diesem Grund haben sie um eine Revision des Personenbeförderungsgesetzes gebeten, um nicht mehr verpflichtet zu sein, Fans zu transportieren. Doch der Nationalrat hat das Geschäft abgelehnt und an den Bundesrat zurückgewiesen. Die Resignation der SBB ist teilweise verständlich. Nur wird das Problem des Fantransports weder durch eine Gesetzesrevision gelöst, noch durch das starre Verharren in der Spur. Denn müsste die SBB die Fans nicht mehr transportieren, würde das Problem verlagert. Was zur Folge hätte, dass die Kontrolle völlig entgleitet. «Dass Dilemma ist, dass die kanalisierte Anreise der Fans ein Vorteil für alle Beteiligten ist. Das möchte man nicht aufs Spiel setzen», sagt Thomas Gander von der Fanarbeit Schweiz.
Klar ist: Die aktuelle Situation ist festgefahren. Es braucht Lösungen – und nicht nur Schuldzuweisungen und Bekenntnisse zum Dialog. Nun, wie sehen unsere Lösungsansätze aus?
1. Die Fans erhalten ihren eigenen Zug
Drehen wir die Zeit zurück. In die 1970er-Jahre. Als die jungen Männer lange Haare trugen und laute «Negermusik» (damals O-Ton vieler Eltern) hörten. Was den Jungen vielerorts fehlte, war Raum zur Entfaltung. Die Folge: Konflikte zwischen der Jugend und den Eltern, Konflikte zwischen der Jugend und den Schulbehörden, Konflikte zwischen der Jugend und der Polizei. Der Flächenbrand konnte vielerorts erst mit der Bewilligung autonomer Jugendhäuser unter Kontrolle gehalten werden. Und siehe da: In vielen Jugendhäusern herrschte eine bessere Ordnung als im Kinderzimmer.
Zu glauben, die heutige Jugend brauche keinen Freiraum, wäre naiv. Warum also den Fangruppen nicht altes, aber funktionstüchtiges Rollmaterial zur Verfügung stellen, das sie nach ihrem Gusto gestalten können und für das sie allein verantwortlich sind?
«Im Kern ist die Selbstverwaltung ein sinnvoller Ansatz», findet Gander. «Das Problem ist, dass diese Idee Provokationspotenzial beinhaltet. Deshalb finden wir das aktuelle Angebot mit neutralen Zügen gut.» Mag sein, dass eine als FCB-Fanzug gekennzeichnete Komposition in Zürich Animositäten weckt. Nur, das Beispiel Aarau zeigt: Wollen sich Fans zu einer Prügelei verabreden, finden sie immer einen Weg. Die SBB sagen, es lohne sich, über diese Idee als Zukunftsmodell nachzudenken. Aber: Das Rollmaterial sei knapp und ziemlich teuer.
2. Ein Bonus-Malus-System auf den Ticketpreis.
Dazu ein Beispiel: Ein YB-Fan ohne Halbtax-Abo zahlt für die Reise im Fanzug nach St. Gallen 66 Franken. Würde er in einem regulären Zug ein Retour-Ticket lösen, müsste er 134 Franken bezahlen. Bei dieser Preisdifferenz gäbe es für die SBB also genügend Spielraum, um fehlbare Fangruppen mit einem Vandalen- oder Notbremse-Zuschlag zu bestrafen.
Gander stimmt zu, dass ein Bonus-Malus-System eine logische Folge wäre, wenn man die günstigen Tickets in Betracht zieht. Und er findet, «dass man diese Idee mal genauer anschauen soll.» Die SBB bezeichnen ein Bonus-Malus-System als denkbaren Ansatz. In der aktuellen Situation sei eine Einführung aber nur schwer möglich. Und die SBB wollen auf jeden Fall verhindern, dass Fussballfans in Regelzügen zu Auswärtsspielen reisen.
3. Die Übersteuerung der Notbremse
Würde man die Notbremse übersteuern, wäre es am letzten Wochenende in Aarau nicht zu Randalen gekommen. Der Basler CVP-Nationalrat Markus Lehmann wird am Montag dem Bundesrat die Frage stellen: «Sieht der Bundesrat eine Möglichkeit, die vielen störenden Juxbremsungen von Fussballfans zu unterbinden indem die Notbremsevorschriften angepasst werden und man den ordentlichen Zugverkehr nicht mehr behindert vor und nach den Spielen? Und: Kann man die Notbremse übersteuern und den Fahrgästen mitteilen, dass man im Notfall die Zugbegleiter kontaktieren soll und dadurch wesentlich zu Sicherheit beiträgt und somit verhindert, dass Fangruppen sich treffen und Gleise nicht betreten werden können?»
Technisch ist das möglich. Die SBB sind derzeit aber machtlos. Den gesetzlichen Rahmen dafür müsste das Bundesamt für Verkehr schaffen. Dagegen gibt es eigentlich nichts einzuwenden.
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