Der Soziologe François Höpflinger benennt die Gründe der Altersarmut und zeigt Lösungsansätze auf.
François Höpflinger*: Zum Teil, weil immer noch Generationen da sind, die Lücken bei der zweiten Säule der Altersvorsorge haben. Sie haben geringe Renten, weil sie noch nicht wie spätere Generationen vom Kapitaldeckungsverfahren profitieren können. Ein Hauptfaktor im Kanton Zürich ist zudem, dass die Mietkosten angestiegen sind. Das führt dazu, dass die Leute mit einer tiefen Rente ihre Wohnkosten nicht decken können. Man weiss, dass 34 Prozent der Mieter über 60 finden, sie bezahlten zu viel fürs Wohnen. Hinzukommen steigende Gebühren, Zahnarztkosten, die sie nicht mehr bezahlen können. Ein weiterer Punkt ist, dass die Ergänzungsleistungen zum Teil indirekt benützt werden, um Heimkosten zu finanzieren. Auch die Heimkosten sind gestiegen.
In einem gewissen Rahmen, ja. Aber wer Teilzeit gearbeitet hat und geschieden ist, wird auf einem tiefen Rentenniveau bleiben. Doch der Anteil derjenigen, die keine zweite Säule haben, wird sinken. Das sind jetzt 30 bis 40 Prozent, vor allem Leute in sehr hohem Alter.
Nein, das ist einfach ein Grund, warum Ergänzungsleistungen in vielen Fällen immer noch notwendig sind. Der Hauptfaktor sind wahrscheinlich die steigenden Mietkosten. Gleichzeitig muss man sehen: Wenn jemand privat wohnt und Ergänzungsleistungen beanspruchen muss, sind die Mietkosten auf 1200 Franken beschränkt. Wenn dieser Wert überschritten wird, etwa wegen Abbruchs der alten Wohnung, ziehen die Leute ins Pflegeheim. Dann bekommen sie unabhängig von den Kosten Zusatzleistungen. Das kann natürlich auch kostentreibend sein.
Dann müssen die Zusatzleistungen fast alles übernehmen. Da gibt es keine obere Grenze. Und wenn eine Obergrenze eingeführt würde, ginge es zulasten der Sozialhilfe. Das heisst: Für den Kanton oder die Gemeinde würde es auch nicht billiger.
Das ist schwierig. Sobald man ein gewisses Einkommen und Vermögen hat, muss man alles selber bezahlen. Das trifft den Mittelstand. Wenn man seine Pflege selber finanzieren muss, können ganze Vermögen verschwinden. Dann sind die Leute am Schluss auf Zusatzleistungen angewiesen. Durch vernetztes Haushalten lassen sich die Lebensunterhaltskosten senken, zum Beispiel, wenn zwei, drei Leute gemeinsam ein Auto haben oder gemeinsam einkaufen und zusammen einen Mittagstisch betreiben. Das kann die Lebensqualität erhöhen und die Ausgaben reduzieren. Allerdings sind in der Schweiz ein Grossteil der Ausgaben Zwangsausgaben: Krankenkassenprämien, Steuern, Miete, Energie. Da hat man nicht viel Spielraum. Bei den unteren sozialen Schichten sind bis zu 80 Prozent der Ausgaben Zwangsausgaben, die man gar nicht beeinflussen kann.
Das ist nicht so einfach. Im Moment decken die bedarfsorientierten Ergänzungsleistungen vieles ab.
Ja, ausser dass die anzurechnenden Mietkosten zu tief sind. Und: Man hat nicht gemerkt, dass man mit der neuen Pflegefinanzierung die Betreuungs- und Hotelkosten nicht abgedeckt hat. Auch Scheidungen können im Alter zur Armut führen. Aber die Ergänzungsleistungen sind ein flexibles System.
Eigentlich schon. Ausser, dass sich die Krankenkassen teilweise zurückgezogen haben und weniger übernehmen, als sie eigentlich müssten. Die Pflegekosten übernehmen sie. Aber man hat vergessen, dass auch Kosten anfallen, die nicht mit Pflege im medizinischen Sinn zu tun haben, sondern mit Betreuung. Und das wird nicht richtig abgedeckt.
In einer ersten Phase wahrscheinlich nicht, weil die Leute nicht länger beschäftigt werden. Wenn mehr Leute langzeitarbeitslos sind, sind die Kostenersparnisse auch nicht besonders gross. Von 100 Franken, die man bei den Ergänzungsleistungen einsparen würde, würden wahrscheinlich 60 bis 70 Franken wieder bei der Arbeitslosenversicherung abfliessen. Aber längerfristig ist es wohl schon die Lösung, auch für den Fachkräftemangel.
Der Arbeitsmarkt müsste sich anpassen: Die Unternehmen müssen in der Lage sein, die Leute länger zu beschäftigen und länger gesund zu behalten, sie länger zu motivieren und neue Karriereformen zu entwickeln.
*Der Altersforscher François Höpflinger (66) arbeitete bis 2013 als Soziologieprofessor an der Universität Zürich. Seit 2014 ist er Mitglied der Leitungsgruppe des Zentrums für Gerontologie an der Uni Zürich.