Fluch-Frage spaltet die Radios

Familientauglich oder ungeschminkt? Die Song-Zensur im Radio wird immer subtiler

Stefan Ehrbar
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Schaden hat wohl keiner genommen, eine Entschuldigung gab es trotzdem. Als der britische Radiosender BBC Radio 1 diese Woche zweimal einen Song der Band Foo Fighters ausstrahlte, in dem das Wort «Fuck» unzensiert über den Äther ging, stockte den Senderverantwortlichen der Atem. Der Pop-Sender liess verlauten, die Senderleitung nehme die Situation «sehr ernst» und werde sie «genau analysieren».
Ein so weitreichendes Verständnis von politischer Korrektheit hat das Schweizer Radio noch nicht erreicht. Aber auch hierzulande greifen die Radiostationen gerne auf brave Versionen zurück. SRF-3-Musikchef Michael Schuler sagt, es komme etwas häufiger als früher vor, dass Plattenfirmen sogenannte «Clean»-Versionen zur Verfügung stellten, die ohne Fluchwörter auskommen. Normalerweise habe SRF 3 keine zensierten Songs im Programm. Werde nur eine solche Version zur Verfügung gestellt, probiere SRF, über andere Kanäle die unzensierte Version aufzutreiben.
Diesen Aufwand betreiben nicht alle. Die einst rebellischen Privatradios setzen zuweilen gerne auf familientaugliche Musik. Anstelle des Songs «Fuck You» des Sängers Cee Lo Green geht beim Berner Radio 1, beim Walliser Radio Rottu oder beim Bündner Radio Grischa beispielsweise die modifizierte Version mit dem Titel «Forget You» über den Sender. Normalerweise spiele sein Sender die expliziten Versionen, sagt Tobias Flückiger, Musikchef bei Radio Bern 1. Dies sei aber anders, wenn bereits der Titel des Songs explizite Inhalte aufweise.
Beim Zürcher Radio 24 (das wie die «Schweiz am Sonntag» zu den AZ Medien gehört) seien zurzeit maximal zehn zensierte Versionen im Programm, sagt Musikchef Christian Jäckli. Der Grund für die braven Versionen sei die konservative Haltung der amerikanischen Bevölkerung, wo ein Grossteil der gespielten Musik herkomme. «Dort sind die Hörer viel empfindlicher, wenn in einem Lied geflucht wird, als bei uns», sagt er. Um einem Bann durch die Radio-Stationen zu entgehen, würden deshalb entschärfte Versionen produziert.
In der Schweiz hätten die Sender zwar meistens die Wahl zwischen einer «explicit»- und einer «clean»-Version. Die Fantasie der US-amerikanischen Plattenfirmen mache es aber teilweise schwierig, überhaupt zu erkennen, dass es sich um eine zensierte Version handle, sagt Jäckli. In einem Song der Band Maroon 5 heisst es beispielsweise: «All those fairy tales are full of it, one more stupid love song, I’ll be sick». Nur wer die Video-Version im Internet anschaut, merkt, dass es sich im Original um einen «fucking love song» handelt, der «full of shit» ist. Ähnliche Beispiele gibt es zuhauf: Den Lily-Allen-Song «Not Fair» spielt fast kein Schweizer Radiosender in der Version, in der das Sexleben der Künstlerin explizit beschrieben wird. Und Schmusesänger James Blunt ist auch im hiesigen Radio viel öfter «flying high» als «fucking high» – Veränderungen, die in den Musikredaktionen vielleicht nicht einmal bemerkt wurden.
Dabei reklamieren hiesige Hörer so gut wie nie, wenn in Songs geflucht wird, und gar nicht, wenn es sich um einen englischen Song handelt. «Nicht, weil die Hörer kein Englisch könnten, sondern weil die Texte in der Regel nicht stark beachtet werden», sagt Musikredaktorin Connie Stadler vom Walliser Radio Rottu. Etwas anders präsentiere sich die Situation bei deutschsprachigen Titeln. Dort müsse der Sender besser aufpassen. Ähnlich klingt es beim Luzerner Radio Pilatus: Während man bei englischen Titeln in der Regel die ungeschminkten Versionen vorziehe, setze man bei deutschsprachigen Titeln auch mal auf eine entschärfte Ausgabe.
Eine klare Haltung wie der Ostschweizer Sender FM1 verfolgen die wenigsten Stationen. «Wir spielen Originalversionen», sagt Programmleiter Martin Oesch. Vor kurzem habe sich ein englischstämmiger Hörer höflich erkundigt, ob man wisse, was mit dem Song «Fuck You» überhaupt gemeint sei. «Wer Englisch als Muttersprache hat, der hört die Songs ganz anders», sagt Oesch. Bezeichnend sei, dass sich Hörer über alles Mögliche beschwerten. «An einem unanständigen Songtext», sagt Oesch, «hat freilich noch niemand Anstoss genommen.»
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