Fall Yasmin: «Die Justiz hat versagt»

Nach dem Freispruch für Verhütungspillen-Hersteller Bayer verarbeitet die Mutter von Céline das Erlebte jetzt in einem Buch

SaW Redaktion
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Mutter Claudia Pfleger mit Tochter Céline («Rundschau» 2013). Screenshot SRF

Mutter Claudia Pfleger mit Tochter Céline («Rundschau» 2013). Screenshot SRF

Schweiz am Wochenende

Ihr Kampf dauerte sieben Jahre. Diesen Mittwoch hat das Bundesgericht die Hoffnungen von Claudia Pfleger zerstört: Der Pharmakonzern Bayer muss ihrer heute 22-jährigen Tochter Céline keine Entschädigungen zahlen. Mit 16 erlitt die junge Frau nach Einnahme der Antibaby-Pille Yasmin eine Lungenembolie und ist heute schwerst behindert. «In solchen Dingen versagt unsere Justiz», sagt die Mutter. «Es wäre eine Riesenentlastung, würde sich der milliardenschwere Konzern Bayer auch nur anteilsmässig an den Kosten beteiligen», sagt sie. Nun müsse die Allgemeinheit zahlen, mittels Finanzierung der IV-Rente und Ergänzungsleistungen.
Über ihren Leidensweg will Pfleger jetzt ein Buch verfassen. Es soll noch dieses Jahr auf den Markt kommen, einen Verlag habe sie bereits. «Ich will beschreiben, was ein solcher Fall für die Angehörigen bedeutet und was sie alles in Spitälern und Heimen erdulden müssen.» Im Buch werde es auch um negative Reaktionen gehen. «Es gibt Leute, die sehr unangenehm sind. Sie behaupten, ich bereichere mich an Interviews und TV-Auftritten. Dabei gab es dafür nie Geld. Sich für eine Sache einzusetzen und sich deswegen Vorwürfe anhören zu müssen, ist Teil unserer Geschichte.» Auch Positives soll im Buch Platz finden. So hätten Fremde für Céline gespendet und die Familie unterstützt, etwa für Ausflüge mit der Tochter. «Das hat uns berührt.»
Trotz negativem Bescheid: Umsonst sei der Gang zur höchsten Instanz nicht gewesen. Pfleger hofft, dass ihre persönliche Tragödie die Öffentlichkeit sensibilisiert habe. Im besten Fall führe dies dazu, dass Ärzte junge Frauen ausführlicher über die Risiken der Pille informierten. «Ob jemand Gefahr läuft, eine Embolie zu erleiden, kann aus dem Blutbild abgelesen werden.» Aus Kostengründen würden solche Tests vor dem Verschreiben der Pille in der Schweiz aber nicht flächendeckend eingeführt – anders als etwa in Italien. Pfleger fordert, dass sich das ändert. Auf Zigarettenschachteln werde von Gesetzes wegen gross vor den gesundheitlichen Risiken gewarnt – im Gegensatz zu Packungen von Verhütungsmitteln. Céline habe Yasmin lediglich vier Wochen lang eingenommen. «Ich kenne niemanden, der durch Rauchen bereits nach dieser Zeit einen ähnlichen Schaden erlitten hat», sagt die Mutter. Bayer gebe die Todeszahlen bewusst nicht bekannt, weil diese die Kunden verunsichern könnten.
Yasmin, die von Bayer inzwischen unter dem Namen Yira vertrieben wird, gehört zur neuen, teureren und margenträchtigen Generation von Verhütungspillen. Diese sollen zu weniger Gewichtszunahme führen und zudem gegen Akne helfen. Allerdings ist das Thrombose-Risiko bei den neueren Pillen doppelt so hoch. Deshalb empfiehlt die Aufsichtsbehörde Swissmedic die Verschreibung der älteren Generation. Etwa eine von tausend Frauen erleidet gemäss der Online-Plattform «Infosperber» nach Einnahme einer neueren Pille eine Embolie.
Die Familie Pfleger will nach vorne schauen. Céline gehe es den Umständen entsprechend gut. Seit sie in einem Heim nahe der Familie wohne, sei sie aufgestellter und habe Freunde gefunden, obwohl niemand an ihr Überleben geglaubt hatte. Dass ihr Leben nun in einem Buch festgehalten werde, findet sie spannend. «Auch wenn sie nicht sprechen kann: Sie ist voll dabei, kann unseren Gesprächen folgen und will daran teilhaben», sagt die Mutter. «Céline kämpft sich zurück ins Leben.»
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