EM 2012
Endlosdebatte um Van Persie und Huntelaar vor dem Spiel der Spiele

Holland ist gefordert. Heute ab 20.45 Uhr muss in Charkiw in der Gruppe B gegen den Erzrivalen Deutschland ein Sieg her, sonst droht die frühe Heimreise von der EM. Derweil wird Bondscoach Bert van Marwijk mit Ratschlägen eingedeckt.

Markus Brütsch, Danzig
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Als die Deutschen gestern Morgen ihr Quartier in Danzig verliessen, um nach Charkow zu fliegen, taten sie dies unbeschwert: Das Startspiel gewonnen, keinerlei Verletzungssorgen und mit Mario Gomez und Miroslav Klose zwei Klassestürmer an Bord, die auf Polemik verzichten, wenn die Ersatzbank ihr Platz ist.

«Beide müssen spielen»

Mit weit grösseren Problemen im Gepäck sind dagegen die Holländer von Krakau aus in die Ukraine gereist. Zwar sind auch sie nach der Genesung von Innenverteidiger Joris Mathijsen frei von Personalnot, doch droht in jenem Stadion, in dem sie gegen die Dänen 0:1 verloren haben, gegen den deutschen Erzfeind bereitsdas Ausscheiden. Und anders als Löw, wird Bondscoach Bert van Marwijk unablässig mit der Frage terrorisiert, weshalb er von seinen Superstürmern nicht alle beide aufstelle. Auch der Schalker Trainer Hub Stevens tut dezidiert kund: «Beide müssen spielen.» Schon vor Turnierbeginn hatte sich der einstige Weltklassestürmer und spätere Nationaltrainer Marco van Basten für eine solche Lösung stark gemacht.

Verrückt: Aus dem gewaltigen Luxus, über zwei Weltklassestürmer zu verfügen, um die sie vermutlich sämtliche Nationalcoaches der Welt beneiden, ist den Holländern ein Problem mit Sprengkraft erwachsen. «Ich sehe mich in einer zentralen Rolle», hat Robin van Persie wissen lassen. «Nach meinen Leistungen habe ich gehofft, mehr Vertrauen zu spüren», hat Klaas-Jan Huntelaar geklagt. Die Presseabteilung der Holländer hat es inzwischen dem Frieden zuliebe für angezeigt gehalten, dass Huntelaar vorderhand keine Interviews mehr gibt. Und Van Persie hat von sich aus nachgezogen. Öl ins Feuer zu giessen, würde keinem weiter helfen.

Beeindruckende Stürmer-Bilanz

Das Einzige, was in dieser Diskussion von niemandem bestritten wird, ist die Klasse der beiden Protagonisten. Diese ist, individuell betrachtet, noch über jene von Gomez und Klose zu stellen. Huntelaar ist mit 29 Toren in 32 Spielen Torschützenkönig in der Bundesliga, Van Persie mit 30 Treffern in 38 Partien der beste Goalgetter der englischen Premier League geworden. In 47 Pflichtspielen der letzten Saison hat Huntelaar für Schalke sagenhafte 48 Tore markiert, Van Persie in 48 Einsätzen für Arsenal beeindruckende 37.

Verständlich, dass viele Experten in Holland Van Marwijk förmlich zu dessen Glück zwingen wollen und ihn dazu drängen, endlich beide aufzustellen. Sie meinen dies allerdings nicht so, wie es Van Marvijk noch
Ende Mai gegen Bulgarien für versuchenswert gehalten hat. Als er Huntelaar in der Spitze agieren und Van Persie in der ungeliebten Rolle am linken Flügel auflaufen liess.

Nach der 1:2-Niederlage – Van Persie war der einzige Torschütze... – brach Van Marvijk das Experiment gleich wieder ab und beorderte Huntelaar in den beiden abschliessenden Testpartien wie auch im EM-Startspiel erneut auf die Bank. «Van Persie müsste eben die gleiche Position einnehmen, die Raul bei Schalke hinter Huntelaar eingenommen hat», moniert Stevens. Bedeutet: Nicht am Flügel, sondern zentral, und nicht in der Spitze, wie bei Arsenal, sondern zurück hängend. Als Huntelaar noch sprechen durfte, hat er gesagt: «Zwei gute
Stürmer können doch zusammenspielen.»

Van Marwijk: Konsequent oder stur?

Bisher ist Van Marwijk konsequent – andere sagen stur – seinen Weg gegangen. Ohne Autoritätsverlust und erfolgreich, sieht man einmal vom letzten Samstag ab. Immerhin ist die «Elftal» vor zwei Jahren mit diesem Coach Vizeweltmeister geworden und hat danach die EM-Qualifikation problemlos geschafft. Doch geht es nun aber in der Ukraine schief und fahren die Holländer vorzeitig in die Ferien, wird die geballte Kritik und Häme den 60-Jährigen unter sich begraben. Zwar hat der Verband seinen Vertrag bereits vorzeitig bis zur EM 2016 verlängert, doch eine Gewähr, bis dann im Amt zu bleiben, ist dies gewiss nicht.

Holland hat seine Probleme – und verschafft sich neue. «Warum», fragt Jos Luhukaj, der holländische Bundesligatrainer, «braucht es gegen einen Gegner wie Dänemark mit Van Bommel und De Jong zwei Sechser?»

Auch darüber liesse sich trefflich debattieren.