Vor 39 Jahren wurde Hanni Wenzel in St. Moritz erstmals Weltmeisterin. Gestern gewann ihre Tochter, Tina Weirather, den Super-G. «St. Moritz scheint ein gutes Pflaster für unsere Familie zu sein», sagt die Mutter.
Tina Weirather wurde gestern ertappt: Sie hat geschummelt. Den Text der Nationalhymne Liechtensteins kennt sie noch nicht. «Dabei habe ich nach meinem ersten Weltcupsieg versprochen, dass ich ihn lerne», verrät sie. Das war im März dieses Jahres. Gestern stand sie in St. Moritz wieder zuoberst auf dem Podest. Sie lächelte, sie lauschte – aber die Lippen blieben geschlossen. «Jetzt gibt es keine Ausreden mehr. Jetzt wird fleissig gelernt.»
Textsicherer war die 24-Jährige beim Geburtstagsständchen für ihre Mutter. Vor dem Rennen wurde gesungen. «Und das Geschenk habe ich auch nicht vergessen», erzählt sie. «Also eines, das verpackt ist.» Sie lacht, als sie das erzählt. Denn das grösste Geschenk machte sie der Mama wenig später – mit dem Sieg im Super-G.
Und diese Geschichte könnte besser nicht geschrieben werden. 1974 gewann Tina Weirathers Mutter Hanni Wenzel in St. Moritz als 17-Jährige WM-Gold im Slalom und Silber in der Kombination. Es war der Startschuss zu einer aussergewöhnlichen Karriere. Sechs weitere WM-Medaillen, viermal olympisches Edelmetall und 33 Weltcupsiege machten sie zur erfolgreichsten Sportlerin Liechtensteins. «St. Moritz scheint einfach ein gutes Pflaster für unsere Familie zu sein», sagt die stolze Mutter. Und auch Vater Harti Weirather, 1982 ebenfalls Skiweltmeister und sechsfacher Weltcupsieger für Österreich, freute sich mit seinen Frauen.
Dabei wäre die Feierlaune fast noch getrübt worden. Mit Startnummer 44 fuhr die Schwedin Kajsa Kling auf Rang 2 und verdrängte Anna Fenninger auf den dritten Platz. Tina Weirather gab da schon Siegerinterviews. «Das war knapp», sagte sie, die den Sieg in der Schweiz ungern noch abgegeben hätte. «In Liechtenstein gibt es ja kein Rennen und darum ist St. Moritz mein Heimrennen.» Den Antrag auf eine Einbürgerung lehnte sie trotzdem lächelnd ab. Mit einer Mutter aus Liechtenstein, die in Deutschland geboren wurde, und einem Vater aus Österreich – Tina Weirather besitzt auch die österreichische Staatsbürgerschaft – ist das Durcheinander schon jetzt gross genug. «Ich fahre für Liechtenstein, und das bleibt so», stellt sie klar. Schliesslich muss sie jetzt erst einmal diese Hymne lernen.
Der Schweizer Verband darf sich aber zumindest damit rühmen, einen Teil zum Erfolg von Tina Weirather beizusteuern. Sie trainiert mit dem Schweizer Team und ist somit ein fester Bestandteil von Swiss-Ski. «Ich fühle mich sehr wohl im Schweizer Team», sagt sie.
Die 24-Jährige befindet sich in der Form ihres Lebens. In Nordamerika stand sie zuletzt viermal auf dem Podest. Im Super-G von Lake Louise schnappte ihr Lara Gut den Sieg um nur gerade drei Hundertstel weg. «Ich trauere dem nicht nach. Ich bin glücklich, dass es jetzt mit dem Sieg geklappt hat», sagt Weirather, die auch Podestplätze zu schätzen weiss. Schliesslich hat sie in ihrer Karriere auch schon die Schattenseiten des Skisports kennen gelernt. Viermal wurde sie am Kreuzband operiert – zuletzt 2010. Doch 2013 ist ihr Jahr. Im Gesamtweltcup liegt sie auf Rang 2 – hinter Lara Gut.
Die Schweizerin musste sich gestern mit Rang 7 begnügen. «Ich bin zu stark auf den Ski gestanden», sagt Lara Gut, die trotzdem zufrieden war. «Natürlich würde man zu Hause gerne gewinnen. Aber ich hätte auch ausfallen können.» Der Druck auf die vierfache Siegerin der Saison war in St. Moritz enorm, der Rummel immens. «Ich habe mich davon nicht ablenken lassen. Wie schon oft gesagt: Ich kann nicht jedes Rennen gewinnen.» Eine leise Enttäuschung war das Resultat indes schon. Was zeigt, wie hoch die Erwartungshaltung an sie bereits ist – auch heute im Riesenslalom wieder.
Die Schweizer Geschichte des Tages schrieb gestern eine andere: Priska Nufer. Die 21-Jährige fuhr mit Startnummer 38 auf Rang 21 und realisierte ihr bestes Weltcupergebnis. «Einfach unglaublich», sagte sie – überwältig vom Interesse an ihrer Person.
Keine Lust auf Aufmerksamkeit hatte hingegen Fabienne Suter. Die 28-Jährige verschwand nach dem enttäuschenden 26. Rang wortlos aus dem Zielraum von St. Moritz. Dominique Gisin als 15. fand ihr Rennen «soso lala» und Fränzi Aufdenblatten (14.) ärgerte sich über einen Fehler, der sie den Vorstoss in die Top 10 kostete.
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