«DIESE ZÄSUR TUT GUT»

Für Verkehrsminister Moritz Leuenberger hat der Vulkanausbruch auch positive Seiten. Er sagt im Interview, wieso die Eruption Stoff für Literatur ist, warum Menschen ohne Mobilität unglücklich werden – und er wagt Witze, obwohl er auf ein Scherzchen am Fernsehen «gehässigste Reaktionen» erhielt.

SaW Redaktion
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Schweiz am Wochenende

Von Patrik Müller und Othmar von Matt
Herr Bundesrat, haben Sie sich als Verkehrsminister jemals so hilflos gefühlt wie jetzt?
Hilflos? Das fühlte ich mich keinen Moment.
Nun, dieser Vulkanasche sind alle, auch die Regierungen, ohnmächtig ausgeliefert.
Wir sind jedem Naturereignis ausgeliefert. Die Menschheit hat es aber geschafft, die Folgen von Naturereignissen einigermassen zu planen – zum Teil musste dieses Verhalten mit staatlichen Massnahmen herbeigezwungen werden.
Wie meinen Sie das?
Die Menschen drängt es, Häuser ausgerechnet im Lawinenkegel oder im Erdbebengebiet zu bauen. Mit raumplanerischen Massnahmen, mit erdbebensicherem Bauen, mit Hochwasser-Renaturierungen kann man Natur-Eruptionen einigermassen beikommen. Aber natürlich nie total.
Lebt unsere Gesellschaft in der falschen Vorstellung, alles unter Kontrolle zu haben?
Der Mensch kann optimal schützen, aber nicht maximal und absolut. Es gibt immer Leute, die glauben, Politik und Technik hätten ihnen die totale Entfaltung all ihrer Wünsche zu ermöglichen. Das kommt sogar beim Vulkanausbruch zum Ausdruck. Manche Reisende verlangen, dass man subito wieder fliegen kann. Das Besondere ist diesmal aber: Niemandem wird die Schuld gegeben. Schuld hat weder der Vulkanminister von Island noch sonst jemand.
Nicht einmal der Bundesrat...
Ihm traut man ein so gewaltiges Ereignis sowieso nicht zu. Nicht einmal im Schlechten. (lacht) Als ich mich aber am Fernsehen ein bisschen lustig machte über die Folgen, reagierten viele Leute wahnsinnig gereizt.
Wie denn?
Ich hatte gesagt: Für einmal kann man von niemandem einen Rücktritt fordern – höchstens vielleicht von Petrus und dem lieben Gott selbst. Das gab im Internet gehässigste Reaktionen. Der vermeintliche Anspruch, jederzeit um den Globus fliegen zu können, ist tief verwurzelt. Da darf man sich offenbar keinen Witz erlauben.
Wenn der Mensch nicht mehr fliegen kann, ist das furchtbar.
Wir haben uns an eine grenzenlose Mobilität gewöhnt. Wir sehen sie als Selbstverständlichkeit, ja als Menschenrecht. Die Reaktion auf das Eintreten des Unmöglichen ist nun aber zweigeteilt. Die einen – «Grüne» im weitesten Sinne etwa – verspüren eine Art Bestätigung: Seht her, jetzt erteilt uns die Natur eine Lektion! Die anderen denken sofort an die wirtschaftlichen Folgen und verstehen nicht, dass man die Flugzeuge nicht unter den Wolken durchfliegen lassen kann.
Entscheiden eigentlich Sie als Verkehrsminister über die Sperrung des Luftraumes?
Da es sich nicht um einen politischen, sondern einen rein technischen Entscheid handelte, trifft das Bundesamt für Zivilluftfahrt diese Entscheidungen.
Auf Luftaufnahmen gleicht das Krater-Bild einem Totenschädel.
Jeder Mensch sieht, was er im Innersten fühlt. An einem Vortrag in Liestal sagte ich gestern scherzhaft, vielleicht sei die Wolke eine göttliche Rache dafür, dass der Flugverkehr noch immer keine CO2-Abgabe zahle. Es gab tosenden Applaus. Natürlich für den Witz, vielleicht aber auch für die politische Aussage. Es kommt bei jedem Naturereignis das Urgefühl hoch, es handle sich um Gottes Rache.
DerVulkanausbruch könnte auch ein Argument gegen die C02-Abgabe liefern: Da bläst die Natur so viel Kohlendioxid in die Atmosphäre, dass sämtliche gut gemeinten C02-Abgaben bestenfalls homöopathische Wirkungen haben.
Die Skeptiker des menschenverursachten Klimawandels stürzen sich dankbar auf solche Zeichen. Auch sie deuten es als einen Fingerzeig Gottes, dass man überhaupt nichts mehr gegen den Klimawandel tun müsse. Jeder kann die Naturgewalt für seine Zwecke interpretieren.
Vor Jahrhunderten glaubte man, solche Katastrophen seien dazu da, die Götter zu besänftigen.
In der Tat. Danach ging man zum Monotheismus über: Da entsprach alles, was die Natur – auch in der Katastrophe – produzierte, dem Willen Gottes. Deshalb war es gewollt und auch akzeptiert. Es gab keine Auflehnung gegen solche Ereignisse. Mit der Aufklärung kam schliesslich eine ganz andere Dimension ins Spiel.
Welche?
Das Erdbeben von Lissabon im 18. Jahrhundert war eine der ganz grossen Weltkatastrophen. Damals gab es eine Polemik zwischen Voltaire und Rousseau. Voltaire sagte, die Natur sei verantwortlich, weil Gott nicht so viele Menschen ermorden würde. Und die menschliche Vernunft könne nicht alles. Rousseau hingegen schob die Schuld den Menschen selbst zu: Es sei ein Versagen der menschlichen Vernunft, Häuser in solch erdbebengefährdeten Gebieten zu bauen. Dieser Konflikt spielt bei jeder Naturkatastrophe eine Rolle, noch heute.
Im Unterschied zu Lissabon gab es wegen des Vulkanausbruchs bisher keine Toten.
Im Radio wird das Programm dennoch alle zehn Minuten für wichtige Durchsagen unterbrochen. Denn eine einmalige Katastrophe ohne Tote, aber mit grossen wirtschaftlichen Schäden, die unsere Gewohnheiten durchschneidet, empört uns. Im Gegensatz zu den permanenten Katastrophen: den Toten im Strassenverkehr oder den Hungertoten. Ich meine das aber nicht moralisch. Dass ein Knall mehr Aufmerksamkeit hat als dauerndes stilles Elend, ist klar.
Hätten Sie es für möglich gehalten, dass Vulkanasche derartige Folgen haben könnte?
Nein. Ich träume keine Horrorfilme.
Sie sind als Infrastrukturminister zuständig für das Strom- und Bahnnetz. Bringt Sie ein solches Ereignis nicht zum Nachdenken, was sonst noch alles geschehen könnte?
Wir haben Szenarien und machen Notfallübungen für das, was wir uns vorstellen können. Der Gotthard-Tunnel-Unfall von 2001 hatte gravierende Auswirkungen auf die Mobilität. Da man dies wiederholt geübt hatte, konnten wir den Unfall relativ gut bewältigen.
Ist die Wolke vielleicht auch ein Signal dafür, dass wir nicht mehr so grenzenlos mobil sein können?
Das glaube ich niemals. Wer jetzt im Flughafen auf einer Pritsche liegt mit einer Banane als Proviant mag darüber nachdenken. Doch in einer Woche ist das vergessen.
Wir können nicht zurück?
Nein. Natürlich wird man noch lange von der Wolke erzählen. Gehabte Leiden hat man gerne. Aber das ändert nichts am Mobilitätsdrang.
Die Verkehrsnetze sind am Anschlag. Die SBB rechnen mit doppelt so vielen Passagieren zwischen Zürich und Bern bis 2030. Irgendwann implodiert doch das System.
Das meint man seit Ewigkeiten. Als die Eisenbahn aufkam, warnten Ärzte vor Gesundheitsschäden, wenn der Mensch schneller als 30 km/h unterwegs ist. Wir glauben immer: Jetzt ist die Grenze erreicht! Aber sie schiebt sich immer weiter nach hinten. Der Drang, sich zu bewegen, die Mobilität, ist ein Ur-Sinn des Menschen. Das lässt sich sogar etymologisch erklären: Das Wort «Sinn» kommt von «Sent», was so viel bedeutet wie Weg, einen Weg suchen. Man sieht es auch bei der virtuellen Kommunikation, da gibt es einen gewaltigen Drang nach Bewegung, nach höherer Geschwindigkeit...
...und es gibt die Angst, dass es auch im Internet zu einem Zusammenbruch, ähnlich einem Grounding kommen könnte.
Das ist nicht ausgeschlossen. Aber was heisst das endlose Mobilitätsbedürfnis für die Politik? Wir können nicht Zen-Buddhismus predigen: Die Menschen müssen mehr zu Hause bleiben und sich entschleunigen. Nein, der Bewegungsdrang bleibt, und die Politik hat die Aufgabe, ihn so zu steuern, dass er nachhaltig ist und ihn auch künftige Generationen leben können. Und: Die Politik muss sicherstellen, dass alle Menschen das Recht auf Mobilität haben. Breitband-Internet soll es auch im Calancatal geben, nicht nur in Zürich. Autobahnen auch im Jura, nicht nur am Gubrist.
Verrückt ist, dass es beim Vulkanausbruch wieder Island trifft.
Schon von der Finanzkrise war dieses kleine Land übermässig betroffen. Das ist Stoff für Literatur! (denkt nach)
Hat die Vulkanasche einen Zusammenhang mit dem Bankenkollaps?
Vielleicht haben beide Ereignisse mit der peripheren Lage dieses Landes zu tun. Sicher ist, dass beide Ereignisse bedeutende Folgen für die Welt haben, obschon sie von einem kleinen und abgelegenen Land ausgehen.
Sie sind der Städter im Bundesrat. Was haben Sie eigentlich für einen Bezug zur Natur?
Ich schaue die Natur als prägend für die menschliche Seele an. In welcher Umgebung wir aufwachsen, prägt unser Denken mehr, als wir uns vielleicht bewusst sind. Der Städter neigt zu einer romantizistischen Betrachtungsweise; er sucht die Natur. Derjenige wiederum, der in der Natur wohnt, muss auch mal gegen sie kämpfen und sich behaupten. Die Alpen-Initiative wurde angenommen, weil städtische Gebiete stark zustimmten. Die Rothenturm-Initiative ebenfalls. Und die Auseinandersetzung um die Alpen-Konvention zeigt: Es sind nicht die Berggebiete, die sie wollen. Sondern die Städte.
Weil die Berggebiete die wirtschaftlichen Nachteile fürchten, die strenge Umweltschutzmassnahmen mit sich bringen.
Ja, aber das ist kurzfristiges Denken. Wenn wir die Natur ausnutzen, schädigt das langfristig den Tourismus.
Auch Sie selber sind von der Flugsperre betroffen: Am Montag müssen Sie in Brüssel sein...
Ich nehme am Sonntag voraussichtlich den Zug. Wahrscheinlich selbst dann, wenn man wieder fliegen dürfte.
Sie mögen die Bahn ohnehin lieber als das Flugzeug.
Ich fliege nicht so gern, das stimmt. Das sollte ich aber nicht öffentlich sagen. Gerade diese Woche war eine Delegation zu Besuch, die mir vorwarf, ich unterschätze die Bedeutung des Flugverkehrs. Was ich bestreite. Aber schauen Sie: Auf Strecken wie Zürich–Paris ist der Zug doch viel bequemer und meist auch schneller, wenn man an all diese Einsteige- und Kontrollschikanen denkt. Und dann muss man sich jedes Mal noch anschauen, wie man die Schwimmweste anzieht, obwohl es zwischen Zürich und Paris kein Meer gibt.
Sie sind nicht der einzige Politiker, dessen Reisepläne durch den Vulkan durchkreuzt werden. Bundeskanzlerin Merkel sitzt in Lissabon fest.
Leider bin ich in der Schweiz. Wissen Sie, wie ich es bereue, dass ich nicht gerade eine Konferenz auf Bali hatte?
Dann würden Sie die nächste Bundesratssitzung verpassen.
Den Sicherheitsbericht könnten wir dennoch ein viertes Mal beraten. Mit einer Videokonferenz! (lacht)
Das zeigt: Der Vulkan, diese höhere Gewalt, hat eine befreiende Wirkung.
Das stimmt. Ich merke bei mir, dass eine solche Zäsur guttut. Sie bringt eine gewisse Leichtigkeit in schwere Themen. Friedrich Dürrenmatt beschreibt in seiner Erzählung «Die Panne» einen Mann, der eine Autopanne hat – und bei dem wegen dieser Zäsur das ganze Leben neu aufgerollt wird. Sie reisst ihn aus dem Alltagsstress und seine eigene Schuld, die er verdrängt hat, wird ihm bewusst.
Der Vulkanausbruch und Naturkatastrophen, deren Häufigkeit zuzunehmen scheint, machen die Umwelt zu einem Mega-Thema. Hat das Folgen für die Politik?
Naturkatastrophen können die Sensibilität für Umweltfragen schärfen. Die Klimakonferenz in Kopenhagen war trotz allem ein Erfolg, auch wenn ich viel grössere Erwartungen hatte. Aber Länder, die zusammen 90Prozent des weltweiten Kohlendioxids ausstossen, einigten sich auf Massnahmen. Das wäre vor wenigen Jahren noch undenkbar gewesen. In der Schweiz haben wir jetzt eine CO2-Abgabe mit Teilzweckbindung, auch das war vor kurzem noch unmöglich. Im Moment erleben wir, dass die Umweltpolitik wieder Platz greift.
Bringt das den Durchbruch für weitere Projekte?
Ich bin überzeugt, dass eine ökologische Steuerreform kommt. Sie hat schon begonnen, obwohl sich viele dessen nicht bewusst sind. Die Staaten haben zu wenig Geld und hohe Schulden, sie müssen wegen des Steuerwettbewerbs die klassischen Steuern senken – die Schweiz reduzierte sie in den vergangenen zwei Jahren um 1,5 Milliarden Franken – und zugleich ist allen klar: Der Staat braucht Geld. Dieses kommt immer öfter über Umweltabgaben, zum Beispiel über die leistungsabhängige Schwerverkehrsabgabe (LSVA) oder die CO2-Abgabe. Diese sollte man zwar wieder zurückgeben, aber es gibt ganz klar den Druck, dass man mit solchen Einnahmen den Haushalt saniert. Zudem möchten wir ein «Mobility Pricing», das Einnahmen bringen soll, um die Bahninfrastruktur zu finanzieren – da werden sowohl die Bahn- als auch die Autofahrer einen Beitrag leisten müssen. Sie sehen: In kleinen Etappen schreitet die ökologische Steuerreform still und leise voran.
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