Drei Mütter sprechen über ihre Betreuungsmodelle, warum sie diese gewählt haben und was sie sich von Staat, Wirtschaft und Gesellschaft zum morgigen Muttertag wünschen.
Seit sie denken könne, sei die Musik ihr Lebensinhalt gewesen, sagt Sängerin Diamá. Dann kam im September 2015 Sohn Marco zur Welt, was die Prioritätenliste der jungen Dietikerin erst mal auf den Kopf stellte. «Mein Kind kommt nun an erster Stelle. Das heisst auch, dass man nicht alles minutiös planen kann wie vorher», sagt Diamá, die mit bürgerlichem Namen Claudia D’Addio heisst. Eigentlich sei sie ja jemand, der alles immer organisieren wolle. Auch wenn Baby Marco ihr immer wieder einen Strich durch die Rechnung mache. Werde er etwa unverhofft krank, dann brauche es viel Organisationstalent. Flexibilität in der Planung und verlässliche Betreuung seien ein Muss.
«Es pendelt sich ein»
Nach sieben Monaten ist der Familiennachwuchs bereits bestens in den Alltag integriert: «Ich frage mich, wie es eigentlich ohne Marco war.» Sie sei sich selber geblieben und habe es inzwischen auch geschafft, Aktivitäten, die ihr wichtig seien, wieder aufzunehmen. Dazu gehört auch die Arbeit an ihrer Musikkarriere. «Irgendwann pendelt sich alles wieder ein, nun eben mit einem Kind und mit einem anderen Zeitplan.» Man dürfe sich nicht stressen lassen, denn bei diesem Prozess brauche es Zeit, so die Mutter.
Nach vier Monaten Mutterschaftsurlaub nahm Diamá ihre Bürostelle zu einem 40-Prozent-Pensum wieder auf. Sie sei froh, neben der Musik und dem Muttersein diesen ganz normalen Job zu haben, der sie auf dem Boden halte. Auch suchte sie den Kontakt zu anderen Müttern nach der Geburt automatisch und habe so vom Erfahrungsaustausch profitiert. «Wenn man Mutter ist, wird man zur Kaffeetante», sagt sie und betont, wie wichtig es ihr sei, einen Teil ihres Lebens bewusst in einer Welt zu verbringen, die nichts mit der Unterhaltungsbranche zu tun hat.
Die drei Monate Mutterschaftsurlaub, die der Schweizer Gesetzgeber gewährt, hält sie für zu wenig: «Es dauerte ein halbes Jahr, bis ich mich als Mutter so richtig an das Kind gewöhnt hatte.» Nach nur drei Monaten das Kind bereits abgeben zu müssen, sei eine starke psychische Belastung für Mütter. Wenn Diamá arbeitet, gibt sie den Kleinen in die Obhut einer Tagesmutter. Ihr Ehemann arbeitet Vollzeit und hat zum Glück einen familienfreundlichen Arbeitgeber, der ihn auch hin und wieder früher gehen lässt, wenn Mami Diamá am Abend einen Auftritt hat. Einen gesetzlich geregelten Vaterschaftsurlaub hält sie für erstrebenswert. Schliesslich seien es beide Elternteile, die sich mit der neuen Situation zurecht finden müssten. So werde auch der Papa vom nächtlichen Babygeschrei geweckt und verdiene es, sich an den neuen Rhythmus gewöhnen zu dürfen. «Auch der Vater soll sich nach der Geburt ganz auf das Kind einlassen können», so das Fazit der jungen Mutter.
Musikalisch ist die Limmattalerin ebenfalls sehr beschäftigt. Gerade ist sie kurz vor der Veröffentlichung der fünften Singleauskopplung ihres 2015 erschienenen Albums «We’re not done». «Calling all Angels» wird das Duett mit dem Zürcher Drag-Künstler Jazzmin Dian Moore heissen.
Italienische Familienbande
Trotz Mutterrolle, Festanstellung und Musikproduktion macht die 36-Jährige nicht den Eindruck einer abgekämpften Frau. Den Grund sieht Diamá im Weiterführen der Aktivitäten, die sie schon vor der Mutterschaft gerne gemacht hat sowie im sozialen Zusammenhalt, der die italienische Kultur mit sich bringt. Zwar sind ihre Eltern nach Italien zurückgekehrt und fallen als Babysitter aus. «Jedoch haben viele meiner Freunde wie ich italienische Wurzeln. Deren Eltern sehen es als ihre vorbestimmte Rolle, sich um die Enkel zu kümmern und übernehmen den Hütedienst für mein Kind gleich mit.» So kann die Künstlerin, den kleinen Marco auch ab und zu spontan einer «Nonna» vorbeibringen.
Einen stärkeren familiären Zusammenhalt wünscht die Sängerin auch der Schweizer Gesellschaft. In der heutigen Zeit sei eine rasche Rückkehr ins Berufsleben wichtiger als früher, da eine Mutter den Wiedereinstieg auch nach sechs Jahren noch geschafft hätte. Betrachte man die hohen Fremdbetreuungskosten, so sollten die Familienmitglieder umdenken, indem sie den Zeitaufwand für einander mehr als Selbstverständlichkeit denn als Bürde sehen.
Einen gemütlicheren Arbeitsplatz als jenen von Jeannette Benz könnte man sich kaum vorstellen, wähnt sich der Besucher doch eher in einem Wochenendhaus am See als in einer Arbeitsstätte. Sinngemäss heisst ihr Ladenlokal «Stubbe-Chic».
Seit November 2015 mietet die Weininger Mutter ein Atelier in Oberengstringen, wo sie auf Auftrag alte Möbel im beliebten «Shabby-Chic»-Stil veredelt. Das Umgestalten von Möbeln habe als Hobby angefangen, weil sie einen Ausgleich zur Arbeit gesucht habe, sagt Benz. Nachdem immer mehr Anfragen aus dem Bekanntenkreis kamen, beschloss Benz, aus dem Zeitvertreib ein Geschäft zu machen. Einen guten Mentor hatte sie bereits in ihrem Ehemann, der Vollzeit in einer Zimmerei als Projektleiter arbeitet.
Herausforderung Teilzeit
Zuvor arbeitete Benz im Aussendienst. Bis zu Nelios Geburt 2011 war sie zu 100 Prozent arbeitstätig. Der Familienzuwachs bedeutete für sie eine berufliche Umstellung: «Im Aussendienst ist es sehr schwierig, das Pensum zu reduzieren, weshalb ich für meinen damaligen Arbeitgeber nach der Mutterschaft nicht mehr tätig sein konnte.» Auf der Suche nach einem familienfreundlichen Arbeitgeber wurde die frischgebackene Mutter bei einem Vertreiber von Babyprodukten fündig. Für das neue Unternehmen war die Tatsache, dass Benz die Vermarktung von Schnullern, Babyflaschen und Milchpumpen mit der eigenen Erfahrung verbinden konnte, überaus wertvoll.
Eine Stelle zu 60 Prozent hatte sie dort inne, bis sie sich vor einem Jahr neu orientieren wollte. Als Nelio im letzten Herbst in den Kindergarten kam, nahm Benz eine 20-Prozent-Stelle als medizinische Praxisassistentin an. Der Rest der Woche dreht sich um Nelio und «Shabby Chic».
Kritische Stimmen
Ja, ein paar Bedenken aus dem Bekanntenkreis seien an sie herangetragen worden, als sie ihr Arbeitspensum verringerte, erinnert sich die Mutter. Mit «Was machst du dann?» oder «du wirst viel weniger verdienen!», drückten Freunde ihre Sorgen aus. «Für mich stimmte dieser Schritt aber damals», erzählt Benz, auch, weil sie durch die Selbstständigkeit flexibler arbeiten könne. So hat das Möbelatelier geöffnet, während Nelio am Vormittag im Kindergarten ist. Eine Stelle für nur einen Tag die Woche zu finden sei heute eine Seltenheit. Benz wünscht sich daher, dass von Arbeitgebern mehr Teilzeitstellen in verantwortungsvollen Positionen angeboten würden.
Drei Betreuerinnen in Form von zwei Gross- und einer Urgrossmutter kümmerten sich während der drei Arbeitstage von Mami Benz um den Kleinen. Ihre Zeit mit dem Enkel lassen sie sich auch heute, da die Mutter weniger arbeitet, nicht nehmen. «Kommt Nelio wieder einmal?» fragte das Weininger Grosi die Schwiegertochter erst kürzlich. «Wir haben grosses Glück, zwei Grossmütter zu haben, die sich um Nelio kümmern», so Benz. Da es aber viele Mütter gebe, die die Betreuung nicht familienintern regeln könnten, brauche es mehr bezahlbare Plätze in Kindertagesstätten.
Familienhund Deseo freut sich, dass Nelio die Lust am Computerspiel verloren und sich stattdessen ihr zugewendet hat. Übermütig platziert sie einen dicken Hundekuss auf seiner Stirn. «Nein!» Ruft Nelio sogleich aus. «Meine Haare waren doch für das Foto mit Gel frisiert!»
Es ist nicht einfach für Katiuscia Melis, einen Termin zum Interview freizumachen. Ganz entgegen des Rufs, der Familienfrauen anlastet, ist die Unterengstringerin eine viel beschäftigte Frau. Sie widmet sich als Vollzeit-Mutter ihren Kindern Laila (6), Leandro (5) und Lia (2) und ist zudem Vorstandsmitglied im Elternverein Unterengstringen. Der Verein will dem Phänomen entgegenwirken, das viele Mütter kennen: dass sie sich mit ihren Kindern zu Hause verkriechen. Sei es, weil sie denken, das Kind störe im Kleiderladen oder Restaurant, sei es, weil sie niemanden in der Bekanntschaft haben, mit dem sie sich während der Bürozeiten austauschen können. Die Mutter-Kind-Treffen, «Chrabbeltreffen» genannt, verschaffen den Mamis Kontakt zur Aussenwelt, während ihre Kinder nebenher so laut quiecken können, wie sie wollen.
Die Manager-Mutter
Mit der Waldspielgruppe nutzt Sohn Leandro selbst eines der Elternverein-Angebote. Das fast gleichzeitig stattfindende Kinderturnen von Laila stellt hohe Ansprüche an die Koordinations- und Organisationsfähigkeiten der Mutter. Überhaupt sei der Elternjob gespickt von Herausforderungen, die jenen eines Firmenmanagers gleichen würden und sei daher ein sehr interessantes Jobprofil, sagt Melis. Nur, dass sich niemand für einen solchen Posten bewerben würde, wenn er unbezahlt sei. «Weil Mutter kein bezahlter Beruf ist, wird ihm zu wenig Wertschätzung entgegengebracht», findet Melis. Aus ihrem Umfeld erhalte sie kaum negative Reaktionen, weil sie zu 100 Prozent Familienfrau sei. Es störe sie aber, dass die Arbeit, die eine Mutter täglich leiste, generell abgewertet werde.
Diese Mentalität sieht sie auch als Grund, weshalb es für Väter schwierig ist, ihr Pensum zu reduzieren. Dem Wunsch eines Mannes, einen Teil des Wochenpensums der Familie zu widmen, würde von Arbeitgebern noch zu selten stattgegeben. Auch würden Männer, die in der Vergangenheit für den Verdienst gesorgt hatten, vonseiten der Gesellschaft noch weniger Wertschätzung als «Familienmann» erfahren als Frauen. Von Wirtschaft und Gesellschaft wünscht sich Melis, deren Ehemann Vollzeit arbeitet, einen Gesinnungswandel hinsichtlich der Vaterrolle. «Männer dürften nicht abgewertet, werden wenn sie sich vermehrt der Familie widmen», so Melis. Den Anfang aber müsste die Wirtschaft machen und mit mehr Teilzeitmöglichkeiten für Väter das reduzierte Pensum salonfähig machen.
Wiedereinstieg erwünscht
«Für meine Familie habe ich meinen erlernten Beruf gerne und freiwillig auf Eis gelegt», sagt die Mutter. Wenn die Kinder grösser seien, würde sie jedoch gerne wieder ins Arbeitsleben einsteigen. Dies sei aber sehr schwierig, wenn der Ehepartner weiterhin eine 100-Prozent-Stelle belege. Auch das Thema Vaterschaftsurlaub ist für Melis noch nicht vom Tisch, selbst wenn der Nationalrat vor kurzem eine entsprechende parlamentarische Initiative abgelehnt hat. «Natürlich müsste den Vätern mehr Familienzeit als zwei Wochen nach der Geburt gewährt werden, doch es wäre ein wichtiger Anfang.»