Die Händel des Martin Meyer

Der Plan, Markus Somm zum NZZ-Chefredaktor zu machen, war durchdachter als bisher bekannt.

Christof Moser
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War über Somm-Plan im Bild: Feuilleton-Chef Martin Meyer. Foto: RDB/Niklaus Stauss

War über Somm-Plan im Bild: Feuilleton-Chef Martin Meyer. Foto: RDB/Niklaus Stauss

Schweiz am Wochenende

Der NZZ-Verwaltungsrat um Präsident Etienne Jornod hat nicht – wie bisher allgemein dargestellt – unbedarft und politisch blind gehandelt beim putschartigen Versuch, den «Basler Zeitung»-Chef und Blocher-Intimus Markus Somm als Chefredaktor der «Neuen Zürcher Zeitung» zu installieren. Die rechtsfreisinnige Positionierung der Zeitung war beabsichtigtes Ziel und die Brisanz der Personalie Somm dem Verwaltungsrat bewusst.
Recherchen der «Schweiz am Sonntag» werfen ein neues Licht auf den missglückten Coup – und richten den Scheinwerfer auf Kreise, die in den Somm-Plan eingeweiht waren, bisher aber im Schatten geblieben sind. Dazu gehört ein einflussreiches Mitglied des NZZ-Redaktionskaders: Feuilleton-Chef Martin Meyer, kurz «mey». Der hervorragend vernetzte Publizist sollte übereinstimmenden Quellen zufolge zeitgleich mit der Ernennung Somms zum Chefredaktor als publizistischer Leiter der NZZ ausgerufen werden und den Somm-Schock in Redaktion und Öffentlichkeit als Stossdämpfer abfedern. Meyer war als einziger NZZ-Ressortleiter in das Ränkespiel involviert und über das Somm-Manöver informiert. Aber alles der Reihe nach.
Während sich NZZ-CEO Veit Dengler im Verlauf des Novembers bemühte, Mathias Müller von Blumencron, den früheren «Spiegel»-Chefredaktor und heutigen Digitalchef der «Frankfurter Allgemeinen Zeitung FAZ», als publizistischen Leiter der NZZ zu gewinnen, um den zuletzt auf der Redaktion kaum mehr präsenten Markus Spillmann von seiner Ämterkumulation als Unternehmensleitungsmitglied, Leiter Publizistik und Chefredaktor zu entlasten, war im Verwaltungsrat die Absetzung von Spillmann längst auf dem Tisch – und ein zähes Ringen über seine Nachfolge im Gang.
Jornod favorisierte Markus Somm, was im strategischen Führungsgremium der NZZ-Mediengruppe zu diesem Zeitpunkt noch heftige Gegenwehr auslöste. Der Durchbruch kam erst, als Ende November Müller von Blumencron das Jobangebot ausschlug – und den Weg frei machte für Martin Meyer.
Der heute 63-jährige studierte Historiker und Philosoph hat gemäss NZZ-Quellen nie überwunden, dass ihm 2006 Spillmann als Chefredaktor vorgezogen worden war, und liess – wie engere Bekannte sagen – nie einen Zweifel aufkommen, diese Scharte vor der Pensionierung noch auswetzen zu wollen. In Gesprächen mit Verwaltungsratsmitgliedern betonte er wiederholt, dass er Spillmann für eine Fehlbesetzung halte, und untermauerte diese Einschätzung auch gegenüber Jornod mit einem gewichtigen Kronzeugen: Ulrich Bremi, heute 86 Jahre alt, einstige Verkörperung des Zürcher Wirtschaftsfreisinns und von 1986 bis 1989 Fraktionspräsident der FDP.
Bremi, der heute als Rechtsfreisinniger bezeichnet würde – ein Begriff, der in den 1980er-Jahren noch nicht existierte –, beklagte bei seinen regelmässigen Treffen mit Meyer den «verlorenen politischen Kompass» der NZZ, den er in jüngster Zeit vor allem im Inlandressort festzustellen glaubte. Dies soll sich zunehmend mit Martin Meyers Wahrnehmung gedeckt haben, einerseits geprägt von seiner Ablehnung gegenüber Spillmann, andererseits von Treffen mit Roger Köppel, zu dem der NZZ-Feuilletonchef seit einem «Weltwoche»-Interview im Oktober 2013 einen guten Kontakt pflegte. NZZ-Redaktionsmitgliedern fiel auf, dass Meyer just ab August 2014, als die «Weltwoche» einen Spillmann-Verriss publizierte, allen Ressortleitersitzungen konsequent fernblieb und Spillmann ihn gewähren liess. Doch vom Hals schaffte sich Spillmann Meyer damit nicht – im Gegenteil.
Irgendwann im Sommer 2014 begann sich die Kritik an Spillmann jeweils freitags um 12.15 Uhr im Zunftsaal des Hotels Widder beim Lunch des Stadtzürcher Rotary Club 1 – in dem neben Meyer und Bremi die NZZ-Verwaltungsräte Isabelle Welton, Christoph Schmid. Dominique von Matt und Carolina Müller-Möhl Mitglied sind – in konkrete Absetzungspläne zu verdichten.
Wie zwei Quellen übereinstimmend bestätigen, soll dort die Idee entstanden sein, Markus Somm als NZZ-Chef mit dem in der Zürcher Gesellschaft hoch angesehenen Meyer als publizistischen Leiter abzufedern. Bremi, der Markus Somm nicht zuletzt deshalb schätzt, weil ihn mit dessen Vater Edwin Somm eine langjährige Freundschaft verbindet, kam die Aufgabe zu, Wirtschaftsvertreter und Zürcher Freisinnige auf den Somm-Plan einzuschwören. Mit den «liberalen Persönlichkeiten», die Bremi organisierte, konnten nach der Absage von Müller von Blumencron bisher zweifelnde Verwaltungsräte von Somm überzeugt werden.
Mit diesen Recherchen konfrontiert, bestätigt Ulrich Bremi, «vereinzelt Gespräche zur NZZ-Chefredaktion» geführt zu haben. Martin Meyer wollte sich auf Anfrage nicht äussern.
Erwähnenswert sind zwei Details. Einerseits ein Leitartikel von Norbert Neininger, dem gut informierten Verleger der «Schaffhauser Nachrichten», der Ende Jahr in einem Leitartikel zum missglückten Somm-Manöver bei der NZZ geschrieben hatte, Gespräche zwischen Somm, Verwaltungsrat und Ressortleitern seien laut einem Beteiligten «gut und einvernehmlich» verlaufen.
Dies wurde innerhalb der NZZ mit hochgezogenen Augenbrauen registriert, weil die NZZ-Ressortleiter keinerlei Kenntnis vom Somm-Plan gehabt haben – mit einer Ausnahme: Martin Meyer. Andererseits hat der Zürcher Philosophie-Professor Georg Kohler vier Tage vor der offiziellen Absetzung Spillmanns am Rande der Aufzeichnung der Sendung «BaZ Standpunkte» durchblicken lassen, bei der NZZ komme es bald zu einer grossen Veränderung. Kohler ist Mitglied des Schweizerischen Instituts für Auslandforschung, in dem Martin Meyer als Präsident amtet. Auf Anfrage sagt Kohler, er habe «nur Gerüchte» weiterverbreitet.
«Mag das Feuilleton im deutschsprachigen Raum auch der Ort sein, wo Streitfragen ausgetragen, wenn nicht gar Polemiken lanciert werden, so tritt ein mey. doch selten Händel los und verwickelt sich ein mey. noch viel seltener selber in welche»: So stand es 2004 in einem legendär gewordenen «Weltwoche»-Porträt über Martin Meyer geschrieben. Weil er bei der Absetzung von Spillmann mitmischte, gilt er jetzt in der NZZ-Redaktion als «Verräter von der Falkenstrasse».
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