«Die Credit Suisse braucht einen starken Patron»

Er verhalf der Plastikuhr Swatch zum Erfolg. Als Sanierer schrieb er Wirtschaftsgeschichte. Ernst Thomke (77) über serbelnde Banken, die Apple Watch und geizige Reiche.

SaW Redaktion
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Ernst Thomke beim Interview in Grenchen: «Ob ich nun 1 oder 10 Millionen verdiene, ändert an meinen Leben wirklich sehr wenig.» Foto: Mario Heller

Ernst Thomke beim Interview in Grenchen: «Ob ich nun 1 oder 10 Millionen verdiene, ändert an meinen Leben wirklich sehr wenig.» Foto: Mario Heller

Schweiz am Wochenende

Von Niklaus Vontobel und Jürg Wegelin
Ernst Thomke gibt kaum Interviews. Weggefährten sagen, er misstraue den Medien. Doch hat Thomke Vertrauen gefasst zum Autor der Nicolas-Hayek-Biografie «Mister Swatch», dem Journalisten Jürg Wegelin, der gemeinsam mit der «Schweiz am Sonntag» das Interview führt. Wir treffen Thomke oberhalb von Grenchen SO, im Wirtshaus «Chappeli». Davor liegt die berühmte Kapelle «Allerheiligen», direkt daneben, im ehemalige Pfarrhaus, wohnt Thomke, ein eingefleischter Atheist.
Herr Thomke, in den 80er-Jahren halfen Sie mit, die Uhrenindustrie aus einer lebensbedrohlichen
Krise zu führen. Wie steht die Branche heute da?

Ernst Thomke: Im Luxussegment hat sie eine ausserordentlich starke Position, trotz der Wirtschaftskrise. Den Trend zur Smartwatch hat sie jedoch verschlafen und verpasst. Sie sieht darin eine blosse technische Spielerei. Mit Ausnahme von Tag Heuer, die ein interessantes Produkt auf den Markt gebracht hat.
Warum halten Sie die Smartwatch für wichtig?
Die Jungen brauchen Instrumente am Arm, auf denen die wichtigen Informationen drauf sind. Smartphones sind fantastische Computer, aber sie sind nicht praktisch. Ich weiss nicht, wie Sie das handhaben: Ich renne jeden Tag eine Viertelstunde dem Telefon hinterher. Jetzt gerade habe ich es wieder im Haus liegen lassen.
Das kommt uns bekannt vor.
Eben. Die wichtigsten Funktionen, die wir tagtäglich Dutzende Male brauchen, lassen sich am Handgelenk schneller und einfacher erledigen. Deshalb glaube ich, dass einige Funktionen ans Handgelenk wandern werden. Ähnlich wie die Uhr, die nicht mehr als Taschenuhr im Hosensack getragen wird.
Smartwatches werden zum Erfolg?
Sie sind heute schon einer. Vor fünf Jahren habe ich eine Prognose zu den Verkaufszahlen gewagt – diese ist bei weitem übertroffen worden.
Welche Folgen wird es haben, dass Smartwatches verschlafen wurden?
Damit wird die industrielle Basis geschwächt und auch die Führungsposition im elektronischen Bereich. Dramatisieren darf man das jedoch nicht. Es wird nicht wieder eine Krise geben wie in den Achtzigern, zumindest nicht eine so dramatische. Im Luxussegment bleibt die Schweiz stark.
Könnte man eine Smartwatch nicht auch als Luxus verkaufen?
Ähnliches ist ja probiert worden: Luxustelefone aus Gold zum Beispiel. Ohne Erfolg. Elektronische Instrumente taugen nicht zum Luxusgut. Es fehlt die Emotion. Sie sind keine persönlichen Schmuckstücke, mit denen man sich unterscheiden kann.
Die Smartwatch läuft der Schweizer Uhrenindustrie nicht den Rang ab?
Gewisse Uhrenmarken, die zu mittleren Preisen verkauft werden, wird es natürlich massiv treffen. Aber im Luxussegment hat sich die Schweizer Uhrenindustrie eine Stellung aufgebaut, die man schon fast als monopolistisch bezeichnen kann. Ihr Marketing und ihr weltweites Netzwerk an eigenen Verkaufsstellen macht es für Konkurrenten sehr schwierig. In die Luxusverkaufskanäle kommen sie oft gar nicht rein. Das haben Schweizer Uhrenhersteller allesamt hervorragend gemacht, das muss ich sagen.
Dass in China zuletzt deutlich weniger Schweizer Uhren verkauft wurden, ändert an Ihrem Urteil nichts?
Nein, sobald die Konjunktur wieder anzieht, werden Schweizer Uhren dort wieder sehr gefragt sein. Das macht mir keine Sorgen.
Was macht Ihnen Sorgen?
Die Profitabilität wurde durch Preissteigerungen erhöht, aber in die industrielle Basis wurde kaum noch investiert. Man ist stark im Marketing und in mechanischen Fertigkeiten, dem klassischen Uhrmacher-Handwerk. Aber der Massenmarkt und die Innovation wurden mehr oder weniger aufgegeben. Man verkauft fast die gleichen Uhrwerke wie vor dreissig, vierzig Jahren. Dabei wurden etwa die ersten digitalen Uhren hierzulande gebaut; Speicher, die Daten auch ohne Stromversorgung erhalten konnten; und wir waren in der automatischen Spracherkennung vorne dabei. Gerade für ein so kleines Land war das grossartig. Heute ist davon nicht viel übrig. Aber man hat natürlich viel Geld verdient.
Heute macht die Swatch-Gruppe mit Superbatterien von sich reden.
Da muss man die industrielle Massenproduktion abwarten. Ich bin skeptisch, dass sich Konkurrenten in Asien und in den USA einfach so überrollen lassen, obschon sie seit Jahrzehnten an neuen Batterien forschen. Aber es wäre natürlich fantastisch.
Fehlt es der Schweizer Industrie insgesamt an Innovationen?
Nein, da habe ich ein extrem gutes Gefühl. Ich unterstütze etwa ein Startup in Villigen AG, LeadXpro. Dieses wird mittels Free Elektron Laser (FEL), der zurzeit vom Paul-Scherrer-Institut gebaut wird, neuartige Methoden zur Strukturanalyse entwickeln. Damit werden dereinst Proteine analysiert, die sich an der Oberfläche von Zellen befinden. Über diese Proteine wird man in bestimmte Zellen, etwa Krebszellen, gezielt Moleküle hineinbringen können. Solche FELS gibt es zurzeit nur in ganz wenigen Ländern – in den USA, Deutschland und Japan und neuerdings in der Schweiz. Für die Pharmaindustrie, die mit der Chemotherapie in der Krebsbekämpfung an Grenzen stösst, könnte dies völlig neue Möglichkeiten eröffnen. Um die Schweizer Industrie mache ich mir keine Sorgen.
Auch der Frankenschock kann ihr nichts anhaben?
Nein, das ist wie ein Fitnessprogramm nach einem Herzinfarkt. Er wird unsere Industrie nur stärker machen.
Einige Unternehmen können nicht mehr in Innovationen investieren.
Natürlich haben einige zu kämpfen. Aber die Industrie als Ganzes wird es stärken. Nein, von dem Geplärre gegen die Nationalbank und dem ewigen Herumgehacke auf dem Präsidenten, Thomas Jordan, halte ich nichts. Jordan hatte schlicht keine andere Wahl als den Mindestkurs aufzuheben.
Könnten Schweizer Reiche mehr für die Innovation tun? Der Direktor des Forschungsinstituts Empa meinte kürzlich, sie täten zu wenig.
Da hat er recht. Das erzähle ich schon seit Jahren bei jeder Gelegenheit.
Warum ist das so?
Das müssen Sie die betreffenden Kreise fragen. Mich haben neue Technologien und Startups schon immer fasziniert.
Viele können wohl nicht beurteilen, ob sich eine Investition lohnt.
Dafür gibt es gute Private-Equity-Unternehmen, die einen beraten. Nein, viele haben nicht die Mentalität dafür. Sie sind zu geizig. Andere sind behäbig. Gerade Finanzleute, die in den letzten Jahrzehnten aus dem Nichts zu Millionen kamen. Ich versuchte erst kürzlich, solche Leute für ein Startup zu gewinnen. Verstehen wir nicht, wollen wir nicht verstehen, war die Antwort.
Der Empa-Direktor kritisierte auch, in der Schweiz gebe es keine staatliche Unterstützung für vielversprechende neue Techniken, von denen man nicht weiss, wie man damit Geld verdient. Wie sehen Sie das?
Da hat er ebenfalls recht. Da hilft nur eines: Startups müssen sich verkaufen, verkaufen. Investoren überzeugen. Anders geht es nicht.
Sie wären dagegen, dass der Staat da in irgendeiner Form mithilft?
Da bin ich traumatisiert. Ich musste schon erleben, wie Behörden-Vertreter gute Ideen ablehnten, bloss weil das Geld nicht in das Budget ihrer eigenen Abteilung geflossen wäre.
Diskutiert wird etwa ein Staatsfonds, der in Startups investiert.
Das wäre etwas anderes, sofern das Geld nicht à fonds perdu investiert wird. Das könnte eine interessante Aufgabe für die Nationalbank sein: Wenn über alle Investitionen hinweg gesehen Geld verdient würde. Ohne diesen Druck entsteht nichts Rechtes. Das sieht man an unseren Bergbahnen.
Sie sind in zwei Bergbahnen investiert. Warum eigentlich?
Ich wollte zeigen, dass man auch Bergbahnen rentabel betreiben kann. Die Bergbahnen Engstligenalp in Adelboden könnten bereits eine Dividende auszahlen. Die Tschentenbahn hätte es auch gekonnt, aber die Beiz hatte schlecht gewirtschaftet.
Wie ist Ihnen das gelungen?
Wie eigentlich immer bei Sanierungen: Ich habe mir genau angeschaut, wofür das Geld ausgegeben wird und womit es verdient wird. Was die Stärken und was die Schwächen sind. Eine Sanierung ist etwas von Einfachsten, was es überhaupt gibt. Und das sage ich nicht aus falscher Eitelkeit, das ist so.
Was haben Sie konkret gemacht?
Bergbahnen geben zum Beispiel häufig zu viel Geld aus für Beschneiungen. Sobald es kalt wird, beschneien sie gleich alle Pisten. Wir führen eine kleine Statistik, die uns aufzeigt, wo Beschneiungen tatsächlich nötig sind. Wir schauen auch genau hin, ob wirklich jede Piste spiegelglatt präpariert sein muss. So kann man Unmengen an Geld sparen.
Reicht Sparen allein?
Sicher nicht. Es ist ein erster wichtiger Schritt, aber langfristig braucht es Innovation. Dabei gibt es nie irgendwelche fixen Rezepte. Es ist ein iterativer Prozess: Alle bringen Ideen ein, diese werden ausprobiert, man passt sie an. Wir bieten zum Beispiel Alpengolf an. Darüber haben erst alle gelacht. Aber wir verdienen heute einen Haufen Geld damit. Nicht mit dem Golf per se, aber wir bieten daneben in einem geräumten Kuhstall Raclette an.
Warum gibt es nur wenig erfolgreiche Sanierer?
Es haben eben wenige den Mut und vor allem das Durchsetzungsvermögen, etwas Unangenehmes bis zum bitteren Ende zu bringen. Häufig ist der Widerstand massiv und viele kapitulieren. Als ich damals zum Beispiel die kaum mehr rettbare Uhrwerk-Fabrik von Omega schliessen musste, ging ganz Biel gegen mich auf die Strasse, der Stadtpräsident inklusive.
Das macht Ihnen nichts aus?
Doch, aber es musste sein. Weil sonst das ganze Unternehmen in Schieflage geraten wäre. Ich hatte schon Streit mit einem Chef von mir, einem ehemaligen Politiker, weil ich ein Werk schliessen wollte, das seit Jahren rote Zahlen schrieb. Mein Chef meinte: «Du hast ja recht, wir sollten es schliessen, aber das ist politisch unmöglich.» Worauf ich erwiderte, das sei mir völlig egal. «Wenn wir das Werk nicht schliessen, musst du dir einen neuen Chef suchen.» Die Einsicht war da, aber niemand sonst wollte sie durchsetzen.
Ist der klassische Sanierer heute aus der Mode geraten?
Die Banken haben natürlich immer noch viele kleinere Sanierungs-Fälle. Grosse Industrieunternehmen wie damals SAH, Saurer oder Motor-Columbus lässt man heutzutage erst gar nicht mehr an den Rand des Abgrunds kommen. Aber es gäbe schon Konzerne, bei denen es zu tun gäbe. Gewisse Banken zum Beispiel.
Sie meinen die Credit Suisse?
Die Banken verweigern die Sanierung mit abstrusen Argumenten. Ihnen würden die guten Leute davonlaufen, wenn sie Löhne kürzen würden. Das ist eine faule Ausrede. Wer eine spannende Aufgabe hat und anständig verdient, wandert nicht in die USA oder nach Grossbritannien aus, weil ihm einer einen höheren Lohn bietet. Das habe ich in meinem ganzen Leben nicht erlebt.
Was schliessen Sie daraus?
Die Banken müssen die Löhne senken. Wenn ich Konzerne sanierte, kürzte ich immer als Erstes die Löhne in der Direktion. Teils dramatisch, um einen Drittel. Es geschah ganz selten, dass einer deswegen ging. Die anderen sahen es ein und arbeiteten mit grosser Begeisterung an der Sanierung mit.
Warum tun das die Banken nicht?
Das frage ich mich auch. Ich nehme an, sie verteidigen bloss den eigenen Lohn. Ich kann nicht nachvollziehen, wie jemand glaubt, Dutzende von Millionen verdienen zu müssen, während sein Konzern Milliardenverluste schreibt. Ich frage mich auch: Weshalb Bankververwaltungsräte und Manager unbedingt einen Lohn von 5 oder 10 Millionen brauchen. Ob ich nun 1 oder 10 Millionen verdiene, ändert an meinen Leben wirklich sehr wenig.
Was schliessen Sie daraus?
In der Credit Suisse braucht es einen starken Patron, der mit gutem Beispiel vorangeht und sich selbst den Lohn kürzt. So ein Patron könnte auch dem oberen Management die Löhne senken, ohne dass die guten Leute davonlaufen. Er würde ein starkes Team zusammenstellen, die Probleme erkennen und sagen: Das lösen wir jetzt zusammen. Geht es wieder gut, können wir darüber reden, was wir uns auszahlen.
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