Der Grenzgänger

Der Jungjournalist im Gespräch mit dem Bergsteiger Andrea Vogel

SaW Redaktion
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Andrea Vogel erzählt in der Stube seiner Mutter in Grüsch im Prättigau von seinen Expeditionen. Foto: Speedy

Andrea Vogel erzählt in der Stube seiner Mutter in Grüsch im Prättigau von seinen Expeditionen. Foto: Speedy

Schweiz am Wochenende

Von Massimo Pirovino (14 Jahre)
Für Andrea Vogel fängt das Abenteuer dort an, wo andere längst aufgegeben haben: So hat er in der Schweiz an einem Tag elf Viertausender bestiegen, und auf seiner Grenztour Schweiz hat er das Land zu Fuss, auf dem Velo und schwimmend auf fast 2000 Kilometern umrundet. Im Gespräch erzählt Andrea Vogel, warum er oft bis an seine Grenzen oder darüber hinausgeht.
Wie entstand die Idee zur Grenztour um die Schweiz?
Andrea Vogel: Ich arbeitete damals als gelernter Kunststofftechnologe und entwickelte Kabelisolationen. Daneben führte ich Expeditionen durch. Meine Liebe zur Natur entwickelte sich immer stärker. Es kam mir vor, wie wenn ich einen Spagat machen müsste: Auf der einen Seite mischte ich Gift, belastete die Umwelt. Auf der anderen Seite setzte ich mich für die Natur ein. Das zerriss mich fast. Ich wollte etwas Sinnvolles tun für die ganze Gesellschaft. Meine Freude am Fotografieren der Natur war gross. Dabei merkte ich: Das bin ich. So kam mir die Idee, die Schweiz auf ihrer Grenze zu umrunden.
Sie haben vor dieser Tour schon einige grosse Berge bestiegen und Expeditionen unternommen. Inwiefern half Ihnen das?
Jede Tour, die du vor der nächsten Tour machst, bringt dich weiter. Du bist nach jedem Tag, den du gelebt hast, nicht mehr der gleiche Mensch. Du lernst immer dazu. Jede Tour davor, jede Expedition davor hat mich reifen lassen. Ich bin stärker geworden, innerlich ruhiger, mit der Zeit auch älter. Man hat mehr Lebenserfahrung. Wenn etwas Schwierigeres kommt, gehe ich es ruhiger an. Ich ziehe Kraft aus der Erfahrung.
Was war das Schwierigste und Gefährlichste an dieser Unternehmung?
Das Schwierigste war ganz klar, die Idee so weit zu entwickeln, dass ich sie ausführen und bis zum Schluss daran glauben konnte. Das Gefährlichste war, als ich mich einmal von einem Berg abseilte und plötzlich zehn Meter von der Wand entfernt an einem Seil hing, ausgerüstet mit einem schweren Rucksack und schweren Schuhen, auf 1500 Metern über Meer. Es drehte mich langsam an dem acht Millimeter dünnen Seil herum. Ich spürte, wie mich die Kraft verliess. Das Gerät, das am dünnen Seil bremste, hielt fast nicht. Das hatten wir nie getestet. Fast konnte ich es sehen, wie die Kraft schwand. Meine Hand begann sich langsam vom Seil zu lösen, und ich wusste: Wenn ich mich nicht mehr halten kann, falle ich runter und bin tot. In dieser fast ausweglosen Situation motivierte ich mich selber aufs Höchste, um wieder Kraft zu kriegen. Dann sah ich, wie sich meine Hand wieder schloss und ich wieder gut bremsen konnte. 200 Meter tiefer hatte ich es geschafft.
Gab es Momente, in denen Sie daran dachten, aufzugeben?
Nein, nie. Natürlich hätte es unzählige Gründe gegeben, um Gefahren zu erkennen. Wenn du immer Gefahren siehst im Leben und Angst hast vor etwas, dann machst du nie etwas. Angst lähmt. Viel stärker als Angst ist der Glaube an eine Sache. Wenn du überzeugt bist, etwas gut geplant hast, dann denkst du nicht mehr ans Aufgeben.
Wie fühlten Sie sich am Ziel?
Sehr erleichtert, aber ich war nicht euphorisch. Nach dem Rummel fühlte ich mich sehr leer. Ich dachte: «So, was mache ich jetzt?»
Wovor haben Sie am meisten Respekt, wenn Sie einen Berg besteigen?
Ich habe immer Respekt: Die Natur ist stärker als der Mensch. Ich habe sehr oft Angst, nicht nur in extremen Situationen. Aber Angst hat verschiedene Seiten. Wenn sie klein ist, dann bist du zu wenig konzentriert, und es kann gefährlich werden. Ist die Angst zu gross, kann sie dich lähmen. Auf einem Grenzgang brauchst du zu viel Energie für diese Angst, weil du so stark schwitzt und Flüssigkeit verlierst, sodass du in der Wüste schon nach einem halben Tag verdurstest. Deshalb ist beides nicht gut. Du musst die Angst im Griff behalten. Es ist ganz wichtig, dass sie dich nicht über- und nicht unterfordert.
Sie durchquerten auch die Wüste alleine. Was war daran speziell?
Die Tour gilt bei Fachleuten als schwierigste Wüstendurchquerung der Erde. Ich bin von Timbuktu im Süden bis nach Marakesh in den Norden gelaufen. Ich mache alle Projekte immer aus eigener Kraft, umweltfreundlich. Es waren 3000 Kilometer zu Fuss, durch Mali, Algerien und Marokko. Das hatte vor mir noch kein anderer Mensch gemacht.
Wie sieht Ihr Alltag heute aus?
Ich halte manchmal Vorträge. Und ich schreibe an zwei Büchern.
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