Das Symbol des Wiederaufschwungs

Mit 7,81 Sekunden Rückstand auf Ted Ligety erreichte Carlo Janka im letzten Jahr in Alta Badia das Ziel. Es war eine Demütigung. Die Zahl wurde zum Stigma. «Ich war», sagt Janka, «das Sinnbild der SkiKrise.» Inzwischen ist er das Symbol des Wiederaufschwungs.

Richard Hegglin
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Carlo Janka lässt wenige Emotionen zu – dies und die Rückkehr zu den alten Skischuhen helfen im auf dem Weg zurück an die Spitze. Foto: GAETAN BALLY/Key

Carlo Janka lässt wenige Emotionen zu – dies und die Rückkehr zu den alten Skischuhen helfen im auf dem Weg zurück an die Spitze. Foto: GAETAN BALLY/Key

Schweiz am Wochenende

Carlo Janka schwebte gestern nach der Abfahrt (21. Platz) mit dem Helikopter über das Grödner Joch ins Hochabtei-Tal, wie Alta Badia auf Deutsch heisst. Der Blick von oben auf die «Gran Risa», die Piste seines grössten Fiaskos als Skirennfahrer, weckt kaum Emotionen. So wie er ja auch bei Siegen kaum Regungen zeigt. Legendär ist die Szene, als ihm bei der Siegerehrung in Wengen 2010 Manuel Osborne-Paradis die Mundwinkel nach oben zog, um ihm wenigstens manuell ein Lächeln zu entlocken. Es sind genau solche Szenen, die Carlo Janka den Spitznamen «Iceman» einbrachten.
Auch Jankas Schwester Fabienne hatte sich einst genervt, als er 2009 in Val d’Isère WM-Gold im Riesenslalom holte: «Jetzt wird er Weltmeister und hebt als einzige Reaktion gerade mal die Hand. Am liebsten hätte ich ihn gewürgt.»
Der für sein Temperament bekannte Didier Cuche ist der Meinung, dass «ich mit Carlo Jankas Charakter ein halbes Dutzend Rennen mehr gewonnen hätte». Und Marco Büchel erzählt eine alte Geschichte von einem FIS-Rennen: «Carlo sass mit griesgrämiger Miene in der hintersten Ecke eines Restaurants. Ich wollte ihn trösten und erkundigte mich behutsam: Wie ist es denn gelaufen?» Jankas trockene Antwort: «Ich hab gewonnen ...»
Diese besondere Charakter-Eigenschaft kommt dem 27-Jährigen aus Obersaxen jetzt zupass. Düstere Erinnerungen perlen an Janka ab, obwohl die Saison 2012/13 durchaus präsent ist – und er sogar das Gefühl hat, er hätte sich geöffnet: «Früher war ich nach negativen Erlebnissen in mich gekehrt. Letztes Jahr bin ich das anders angegangen. Das hat mir schon im Verlaufe der Saison geholfen.» Es sei verständlich, sagt er, dass in Krisen der Beste den Kopf hinhalten müsse: «Aber ich konnte gut damit leben und hatte deswegen keine Probleme. Es ist mir gelungen, jedes Rennen sofort abzuhaken.»
Selbst für seinen Kumpel Daniel Albrecht, mit dem er einst das Zimmer teilte, ist Janka manchmal ein Rätsel: «Er wirkt nach aussen so cool, dabei ist er ein sehr sensibler Mensch. Er ist ein sehr Spezieller.»
So kehrt Janka auf die «Gran Risa» zurück, als ob nichts geschehen wäre: «Ich schaue mir mal die Piste an und versuche mein Möglichstes zu geben», sagt er. Meist präsentiert sich die «Gran Risa» als blankes Eisfeld, Bedingungen, die Janka auch in seiner besten Zeit als Weltmeister und Olympiasieger hasste: Ein 15. und 18. Rang bildeten dort seine besten Ergebnisse. Umso mehr überrascht, dass er vor einer Woche auf dem Eisfeld von Val d’Isère Zwölfter wurde: «Es war knapp an der Grenze, eisiger hätte es nicht sein dürfen.» Immerhin: Janka ist wieder auf dem Weg zurück, auch wenn er selber sagt: «Es gibt noch einiges zu tun. Um ganz vorne mitzufahren, braucht es noch einiges mehr. Aber auf dem Bisherigen lässt sich aufbauen.»
Was ist nun überhaupt anders als in der verkorksten letzten Saison? «Nicht viel», findet Janka mit seinem typischen Understatement: «Wir haben weniger trainiert und sind mehr Ski gefahren.» Wie bitte? Damit meint Janka den Verzicht auf die endlose Testerei mit den neuen Ski und die Konzentration auf die Basisarbeit des Skisports – das Skifahren eben. «Wir sind mehr gefahren und haben versucht, die Technik anzupassen, was wir im letzten Jahr verpasst haben. Es sind Fehler gemacht worden, aber es war schwierig, das während der Vorbereitung auf die letzte Saison zu merken.»
So hofft Janka, mittelfristig auch in der Abfahrt wieder den Anschluss zu finden. «In dieser Disziplin habe ich das grösste Defizit im Geradeausfahren. Mir fehlt der nötige Grundspeed. Ich habe noch mit der richtigen Position zu kämpfen. Und auch im Material liegt sicher etwas drin.»
Auf einen speziellen Aspekt kommt Ex-Markenkollege Albrecht zu sprechen: «Er fährt wieder mit der alten Bindung und den alten Schuhen, etwas, was ich schon vor vier Jahren angeregt hatte.» Früher war Albrecht der kongeniale Testpilot für Janka. Heute gibt er in Alta Badia auf Eurosport sein Debüt als Co-Kommentator: «Ich bin wahrscheinlich vor dem Rennen nervöser als Carlo.» Ein kleines Detail: In Alta Badia ist Albrecht als Athlet akkreditiert worden ...
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