Noch vor kurzem als grösster CO2-Sünder der Welt verschrien, hat sich China zur Klimaretter-Nation aufgeschwungen.
Von Felix Lee aus Peking
In den vergangenen Tagen war Peking mal wieder eingehüllt in einer russigen Nebelschwade. Der Himmel färbte sich gelblich-grau, die Strassen leerten sich. Kaum einer wagte sich mehr ins Freie. Erstmals in diesem Jahr rief die Regierung Smog-Alarm der höchsten Warnstufe «Rot» aus. Fabriken mussten schliessen, jedes zweite Auto durfte nicht mehr fahren, die Schüler sollten zu Hause bleiben. Alte Leute ebenso.
Die Luftmessungen ergaben fast eine Woche lang konstant einen Wert von über 480 Mikrogramm Feinstaub pro Kubikmeter Luft. Das entspricht dem 18-Fachen von dem, was die Weltgesundheitsorganisation (WHO) für unbedenklich hält. An zwei Tagen lag die Kurve sogar bei über 500. «Beyond Index», stand dann auf den speziellen Apps, die die Luftqualität anzeigen. Betroffen war aber nicht nur die chinesische Hauptstadt. Fast eine halbe Milliarde Menschen in sechs Provinzen mussten die ganze zurückliegende Woche unter dieser giftigen Luft leiden.
Trotz dieser «Airpocalypse – wie die Pekinger die schlechte Luft bezeichnen – gibt es Grund zur Hoffnung, dass der Smog in China schon bald der Vergangenheit angehören wird. Und zwar dauerhaft.
Offiziellen Zahlen zufolge ist der Kohleverbrauch 2016 im Vergleich zum Vorjahr um rund 4 Prozent zurückgegangen. Es ist bereits das dritte Jahr in Folge, dass der weltweit grösste Emittent von klimaschädlichem Treibhausgas weniger Kohle verbrennt. 2015 lag der Rückgang bei 3,9 Prozent, 2014 bei 2,9 Prozent.
Dabei hatte Chinas Führung bei der Weltklimakonferenz in Paris vor einem Jahr noch heftig dafür gekämpft, sich auf keine konkreten Reduktionswerte beim CO2-Ausstoss festlegen zu müssen. 195 Staaten rangen um ein neues Klimaschutzabkommen. China, derzeit weltgrösster Emittent von klimaschädlichem CO2, liess sich nach langem Gezerre schliesslich darauf ein, seinen Ausstoss spätestens ab 2030 zu drosseln.
Gigantischer Aufwand
Das Jahr 2030 als Wendepunkt – dieses Ziel wirkte auf viele nicht besonders ambitioniert. Doch sollte nicht unterschätzt werden, welche Bedeutung die chinesische Schwerindustrie für das Land hat. Mehr als die Hälfte des weltweit verwendeten Stahls kommt derzeit aus China. Seine Schwerindustrie ist ein massgeblicher Wachstumstreiber. Der Aufwand, sich von dieser Industrie zu verabschieden, ist gigantisch. Auch hierzulande hatte der Abbau der Schwerindustrie für soziale Verwerfungen gesorgt. In einigen Teilen Europas wie etwa im Ruhrgebiet ist dieser Strukturwandel nach wie vor nicht beendet. Dass China nun den Wendepunkt längst erreicht hat – genau genommen 16 Jahre vor dem in Paris ausgehandeltem Ziel –, zeigt, wie ernst es der chinesischen Führung um den Klimaschutz ist.
Zwar bezieht China auch weiterhin fast zwei Drittel seiner Energie aus Kohle. Die Kohleverbrennung ist zugleich der Hauptverursacher des dichten Smogs, der Peking und die meisten chinesischen Grossstädte in der vergangenen Woche lahmgelegt hat. Zudem ist der Rückgang auf das in den letzten zwei Jahren schwächelnde Wirtschaftswachstum zurückzuführen. Sollte das Wachstum wieder deutlich anziehen, ist zu befürchten, dass auch der Energiebedarf wieder kräftig wächst.
Rekord beim Solarstrom
Zugleich hat sich in China im Sektor der erneuerbaren Energien zuletzt jede Menge getan. Allein 2016 haben die Chinesen Solaranlagen errichtet, die 30 Gigawatt Strom produzieren. Das ist ein neuer Rekord. Und auch bei der Windenergie legt China weiter kräftig zu: Bis 2020 sollen sage und schreibe 210 Gigawatt aus Windkraft kommen. Rund ein Fünftel aller Energie soll bis dahin aus nicht fossilen Quellen stammen. Kein anderes Land kann bei diesem massiven Ausbau mithalten. Der weltgrösste Klimasünder mausert sich zum grössten Klimaschützer.
Umweltorganisationen wie Greenpeace haben Chinas Fortschritte mehrfach gelobt. Zuletzt machte sich bei den Klimaschützern jedoch wieder Skepsis breit. Die erneute «Airpocalypse» zeige, dass China den Verbrauch von Kohle noch schneller zurückfahren und den Umbau der Wirtschaft entschlossener vorantreiben müsse, ist sich Greenpeace-Klimaexperte Dong Liansai sicher.
Seit dem frühen Donnerstagmorgen ist der Himmel in Peking aufgeklart, die Feinstaubwerte sind auf unter 100 Mikrogramm gefallen. Kalter Nordwind hat den Smog weggeblasen. Die nächste Welle soll kommende Woche aber schon wieder folgen. Die gute Nachricht aus China – sie ist da. Es dauert halt noch, bis sie wirklich umgesetzt ist.
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